Präsent im Zentrum:Einer Frau sei Dank

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1799 entstand im Ballsaal der Residenz das erste protestantische Gotteshaus. Eine Gedenktafel erinnert nun an den Ursprung der evangelischen Gemeinde Münchens

Von Martin Bernstein, München

Eine evangelische Kirche in der Münchner Altstadt ist derzeit kein Thema mehr. Das war vor rund 30 Jahren noch anders. Damals hatten führende Münchner Protestanten damit geliebäugelt, in die ehemalige Augustinerkirche in der Fußgängerzone einziehen zu können. Immerhin hatte dort vor 500 Jahren Luthers Lehrer und Freund Johann von Staupitz gepredigt - und dass der spätere Reformator selbst auf seiner Romreise dort Station gemacht haben soll, wurde lange Zeit eifrig kolportiert. Doch im Reformations-Gedenkjahr 2017 sind solche Überlegungen selbst schon Geschichte. "Wir sind in der Innenstadt präsent", sagt Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler selbstbewusst, "durch unsere vielfältigen Angebote".

Und seit Mittwoch sogar im katholischen Machtzentrum des historischen Altbayerns, in der Residenz. Eine kleine Gedenktafel an der Wand nur, aber eine große Geschichte, auf deren Beginn sie verweist. Dort nämlich, an der Stelle des erst 1958 in historisierenden Formen geschaffenen Comité-Hofs, entstand 1799 das erste protestantische Gotteshaus der Stadt. Für die evangelische Kurfürstin (und spätere Königin) Karoline von Baden und deren Gefolge ließ ihr Gatte Maximilian, der nachmalige erste König von Bayern, das frühere Ballhaus zur Kirche umbauen. Daran erinnert jetzt eine Tafel im Wandelgang und - für jedermann frei zugänglich - in den nächsten drei Wochen eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Protestanten in München, die mit dem "Wunder von 1799" ihren Anfang nahm. Denn schnell wurde aus der 900 Personen fassenden Hofkirche für das fürstliche Gefolge der Mittelpunkt der rasch wachsenden evangelischen Gemeinde Münchens.

Die Gedenkstunde findet im Comité-Hof statt. (Foto: Florian Peljak)

Protestanten gab es in München freilich schon viel früher. Dass der erste namentlich bekannte ausgerechnet Arsacius Seehofer hieß, hindert Markus Söder nicht daran, ein Grußwort zu sprechen und darin gleich eine protestantische Selbsteinschätzung zum Besten zu geben: "Anstrengend, aber fleißig." Söder muss es wissen. Der bayerische Finanz- und Heimatminister ist nach eigener Aussage nämlich nicht nur so etwas wie "der Lordsiegelbewahrer des Hauses Wittelsbach" - er ist auch engagierter lutherischer Christ und Mitglied der evangelischen Landessynode.

Mit Psalm 84, den Kabinettsprediger Ludwig Friedrich Schmidt zum Gegenstand seiner ersten Predigt in München nahm, beginnt Stadtdekanin Barbara Kittelberger ihr Grußwort: "Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott." Dieses Gotteshaus haben Münchens Protestanten einer Frau zu verdanken. "Heute sind Frauen in kirchenleitenden Positionen selbstverständlich und gestalten in München unsere evangelische Kirche - gemeinsam mit Männern", so Kittelberger. Eine dieser Gestalterinnen ist Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler. Sie betont, wie wichtig in einer immer schneller werdenden Zeit "Oasen der Ruhe" seien: "Die Taktung ist hoch. Arbeit, Shoppen, Konzert, Kino, Disco, Theater, Fußball, Biergarten - vieles bringen Menschen heute an einem Tag oder einem Wochenende unter einen Hut."

Kabinettsprediger Ludwig Friedrich Schmidt (li.) gilt neben Karoline von Baden als entscheidend für die Entstehung einer evangelischen Gemeinde. (Foto: Landeskirchliches Archiv/Pustet Verlag)

In vielen Kirchen könne man tagsüber Menschen mit Einkaufstüten oder Aktentaschen sehen, die zehn Minuten lang dem Trubel entkommen wollten. "Unsere Stadt braucht diese heiligen Räume, die erfüllt sind von Ruhe und Stille", sagt Breit-Keßler. Kirche in der Stadt sei aber auch eine Rückkehr zu den Anfängen. Die Bibel ermutige zum Engagement für das Gemeinwesen. Münchens Protestanten - seit Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich etwa elf bis 14 Prozent der Stadtbevölkerung - tun das. Mit Beratungsstellen, Seelsorge, Konzerten, aber auch mit Obdachlosenarbeit, Hilfen für misshandelte Frauen und Kinder sowie Angeboten für Kriegsflüchtlinge. Auch wenn es bisweilen unpopulär sei: Christen müssten Tatsachen ins Auge schauen und sich Wahrheiten stellen. Das, so Breit-Keßler, sei eine der Lehren Martin Luthers.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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