Platzmangel:Kreative Bescheidenheit

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Junge Künstler müssen hart kämpfen, um in München zu bestehen. Über Typen, die manchmal an Stadt und Vermietern verzweifeln

Von Elisabeth Kagermeier

Hackbällchen, Sekt, selbst gedrehte Zigaretten: Das Angebot auf dem Bürgersteig vor einer schicken Galerie in der Münchner Baaderstraße ist zugleich schräg, klassisch und leger. Vier junge Münchner Künstler - Kalas Liebfried, Stefan Natzel, Patrik Thomas und Matthias Reitz-Zausinger - haben hier an einem Dienstagabend im Mai zur Vernissage geladen. Mit Flyern, Facebook und allem drum und dran. Aber die Galerie bleibt geschlossen. Die angekündigte Veranstaltung findet hier nicht statt. Etwa 120 Leute kommen an diesem Abend zusammen. Die Menschentraube steht auf dem Bürgersteig - bis ein Reisebus kommt und die Gäste an die Landsberger Straße zwischen Laim und Pasing fährt.

"Das Münchner Publikum braucht eben sein Taxi", sagt Kalas, 27, im Nachhinein über den Abend und lacht. Ursprünglich wollte er tatsächlich in den edlen Räumen an der Baaderstraße ausstellen - doch die Galeristin sagte kurzfristig ab. Vielleicht war es ihr doch zu heikel, dieses Experiment mit der jungen Kunst, vermutet Kalas. Also hat Kalas mit seinem Mitbewohner seine Altbauwohnung in Laim umgebaut: keine Möbel mehr, stattdessen ein Zimmer mit einer Ausstellungsfläche und eines, das sie zum Kinosaal für ein Screening umfunktioniert haben.

(Foto: Was macht München mit dir)

Der Akademiestudent Kalas ist einer der jungen Künstler, die der viel diskutierte Platzmangel für Subkultur in Münchens Innenstadtbereichen kreativ gemacht hat. Doch die Altbauwohnung als Ausstellungsort wirft auch kritische Fragen auf: Gibt es in München tatsächlich keinen Raum mehr für junge Kunst, außer in den eigenen Wänden? Bleibt der Subkultur nur der Rückzug ins Private? Es gebe sehr wenige Möglichkeiten, findet Kalas. Man sei selbst gefragt: "Wer das nicht macht, geht unter". Auf das umkämpfte Pflaster reagieren Kulturschaffende unterschiedlich, nicht jeder startet Guerilla-Aktionen wie Kalas, um sich gegen den Platzmangel zu wehren.

An Münchens Rand gehen, das sieht auch Anna Sofie Hvid, Architekturtheoretikerin und Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste, als Lösung - allerdings nicht im Privaten, sondern Hand in Hand mit städtischen und kulturellen Institutionen. Die müssten jedoch wesentlich mehr wagen und selbst anstoßen. München müsse die Region mehr einbeziehen und sich den Freiraum da suchen, wo es ihn noch gebe. "Urbanität und Kultur müssen sich nicht immer gegenseitig bedingen", sagt sie.

Künstler Kalas Liebfried hat seine Ausstellung in seine Wohnung verlegt. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein Beispiel für einen Wandel könnte laut der Architekturexpertin das Stadtviertel Johanneskirchen werden. Dort soll eine Mischung aus Asylunterkunft und Ateliers entstehen. Anna Sofie Hvid ist in beratender Funktion am Projekt beteiligt, derzeit steckt es allerdings noch in Genehmigungsprozessen fest. Doch auch wenn diese Hürde genommen wird, könnte die Idee vor einer Zerreißprobe stehen: Viele Kollegen würden dort kein Atelier haben wollen, weil es so weit draußen ist, glaubt die 27-Jährige. Ihre Ansprüche an Innenstadträume müssten Kreative künftig herunterschrauben. Bescheidenheit statt Rebellion, lautet Anna Sofies Devise.

Dem will sich Thomas Manglkammer, Anfang 30 und Gründer des "Kreuz 16" und des "Herr Hotter", nicht anschließen. Er glaubt: Es gibt auch im inneren Stadtbereich Flächen - wenn auch begrenzt. "Aber die, die es gibt, sind alte Gebäude, die tolle Geschichten erzählen. Dort könnte man die besten Ideen aufziehen", sagt der Veranstalter. Das Problem sei der mangelnde Mut von Vermietern und der Stadt. "Man lässt Flächen lieber leer stehen, anstatt temporär eine kulturelle Nutzung zu genehmigen", sagt er. Der Jungunternehmer spricht aus Erfahrung. Der Clubbetrieb im Bunker "Herr Hotter" musste stoppen, nachdem nebenan Luxuswohnungen gebaut wurden. Seitdem bringt Thomas immer wieder Projekte auf den Weg - und stößt auf viele Hürden.

Architekturtheoretikerin Anna Sofie Hvid findet, dass Kreative mehr an den Stadtrand gehen sollten. (Foto: Robert Haas)

"Meine Konzepte sind alle neu und wenn ich sie vorstelle, sind die Reaktionen immer ähnlich: Das kennen wir nicht, das muss schlecht sein." Ein paar Jahre später gebe es ähnliche Projekte in Berlin. "Und dann heißt es: Toll, so etwas brauchen wir unbedingt auch." Ein Beispiel: ein Dachgarten für Kleingärtner und Gastronomie in der Münchner Innenstadt. Thomas kämpft schon seit Jahren dafür - mittlerweile wird mit dem Klunkerkranich in Berlin-Neukölln ein sehr ähnliches Projekt auf dem Parkdeck eines Einkaufszentrums umgesetzt. Doch die Besitzer in München ließen ungenutzte Innenstadtflächen auf Dächern aus Angst vor Anwohnerbeschwerden lieber brach liegen, sagt Thomas. Mit den Vermietern, der Stadt und den Nachbarn gibt es für ihn drei Aspekte, die es ihm in München schwer machen. "Die Stadt versteckt sich hinter der Bürokratie und den Nachbarn - doch eigentlich scheut sie neue kulturelle Ideen und hat kein ausreichend großes Interesse, Subkultur zu fördern", sagt er. Trotz der Frustration sagt er: "Rebellion bringt in dieser Stadt nichts." Stattdessen brauche man einen langen Atem. München dürfe sich nicht wundern, wenn die Kreativen abwandern.

Der junge Designer Philipp Weber ist gegangen. Er tingelte in München von Zwischennutzung zu Zwischennutzung, zuletzt im Kreativquartier - bis es dem Gewinner des Münchner Design-Förderpreises zu bunt wurde. Für sein aktuelles Projekt braucht er einen Koksofen und zusätzliche Fläche an der frischen Luft neben dem Atelier - kein leichtes Gesuch. Schließlich begann er in Berlin ein Masterstudium, obwohl er eigentlich in München mit dem Bachelor zufrieden gewesen wäre. Der Grund: Die Uni dort stellt Werkstätten zur Verfügung. Nun pendelt er zwischen München und Berlin. Für ihn bedeutete die kreative Suche nach Orten, die Stadt in Teilzeit zu verlassen. "Hätte ich im Kreativquartier bleiben können, hätte ich mich keinen Zentimeter bewegt", sagt er. Dennoch will er bleiben. "Ich bin trotzdem Münchner und will die Stadt für ihre Bewohner verändern", sagt er. Er kämpft weiter.

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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