Plagiatsvorwurf an der LMU:Wohlwollende Bewertung

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Der Bewerbungsvortrag, das sogenannte Vorsingen, ist der Schlüsselmoment im Berufungsverfahren. (Foto: Catherina Hess)

Gegen den Bewerber für einen Lehrstuhl kursiert ein Plagiatsvorwurf. Die Ludwig-Maximilians-Universität München beruft ihn dennoch. Sie beruft sich auf die Prüfung durch eine andere Uni. Doch was genau wurde dort eigentlich geprüft?

Von Sebastian Krass

Es ist ein wichtiges Schreiben, aber auch ein Schreiben, das Fragen aufwirft: Im Frühjahr bat die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München die Kollegen einer anderen deutschen Universität um die Prüfung eines schweren Vorwurfs. Ein Kandidat für einen LMU-Lehrstuhl soll in seinem Bewerbungsvortrag, beim sogenannten Vorsingen, plagiiert haben. Die Uni, an der der Kandidat beschäftigt war, untersuchte also die Angelegenheit und kam zum Ergebnis, dass es bei dem Vortrag zwar einen "Mangel", aber "kein wissenschaftliches Fehlverhalten" gegeben habe.

Auf dieser Basis entschied die LMU letztlich, den Bewerber auf den vakanten Lehrstuhl an der Fakultät für Psychologie und Pädagogik zu berufen. Nur, wie kam das Gutachten der anderen Uni zustande? Und wie aussagekräftig ist es? Und ist das, was die Uni da schreibt, nicht auch diskutabel?

Ins Rollen kam die Angelegenheit durch den Autor eines Fachartikels, sein Name ist Werner Gebhard. Er wies schon von Ende November 2013 an darauf hin, der Bewerber habe auf gravierende Weise gegen wissenschaftliche Regeln verstoßen.

Er äußerte den Vorwurf zunächst direkt nach dem Bewerbungsvortrag, bei dem er im Saal war, und einige Tage später per Brief an die Vorsitzende der Berufungskommission. Der Bewerber, sagt Gebhard, soll in seinem didaktischen Lehrvortrag, das ist quasi die Simulation einer Vorlesung, Inhalte aus dem damals noch nicht veröffentlichten Artikel verwendet haben, ohne die Quelle in der Präsentation kenntlich zu machen.

Bewerber verwendete Eulenspiegel-Text aus dem Internet

Der Bewerber hatte Zugang zu dem Text, weil er als Redakteur für die Zeitschrift arbeitete, die den Artikel später veröffentlichte. Er erklärt, er habe nur eine Mathe-Textaufgabe übernommen, die schon in einem Lehrbuch erschienen war.

Dem widerspricht Gebhard: Der Vortragende habe auch das "dramaturgische Highlight" seines Artikels - nämlich, wie sprachgestörte Kinder jene Mathe-Textaufgabe falsch verstehen - für sich instrumentalisiert. Zudem habe er das Vertrauensverhältnis zwischen Redakteur und Autor verletzt. Die Anschuldigungen sind auch deshalb so gravierend, weil das Vorsingen ein Schlüsselmoment im Berufungsverfahren ist und somit hohen akademischen Symbolwert hat.

Weil sich die Vorwürfe gegen das Mitglied einer anderen Uni richteten, beauftragte die LMU Mitte 2014 jene Hochschule, die Vorwürfe zu prüfen. Das ist so vorgesehen, obwohl sich das vermeintliche Vergehen im LMU-Kontext ereignet hat.

Diese andere Uni erklärt, man habe "nach Sachlage und unter Einbeziehung der an der LMU gesammelten Informationen geprüft". Eigene Recherchen gab es offenbar nicht. Der Hauptbelastungszeuge Gebhard sagt, er sei nicht um eine Stellungnahme gebeten worden. Der Beschuldigte wurde nach eigenen Angaben auch nicht gehört. Es ist nicht einmal klar, ob das entscheidende Dokument, nämlich der belastende Brief Gebhards, zu den Akten gehörte. Auf eine explizite Nachfrage dazu antwortet die Uni nur: "Wir haben alle notwendigen Quellen und Aussagen geprüft."

Zum Ergebnis der Prüfung schreibt sie, der "Mangel" liege "in der Methode des Vortrags". Dazu dürfte auch eine Passage aus der Till-Eulenspiegel-Geschichte gehören, die ohne Quellenangabe blieb. Der Bewerber sagt auf Nachfrage, er habe sich diesen Text aus dem Internet geholt. Die prüfende Uni schreibt, nach ihrer Auffassung diene ein didaktischer Vortrag "in erster Linie der Lehre und Illustration". Eine schriftliche Quellenangabe sei "wünschenswert, ist jedoch in diesem Kontext nicht zwingend erforderlich". Auffällig waren in der in der schriftlichen Präsentation auch mehrere Tippfehler, der erste gleich im Titel des Vortrags.

Eher lockerer Umgang mit Quellenangaben

Und wie steht die LMU zu Quellenangaben? Die Antwort fällt gewunden aus: "Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die Prinzipien für gute wissenschaftliche Praxis natürlich für alle Vortrags- und Textformen gelten." Zu diesen Prinzipien gehört, jede Quelle vollständig und nachvollziehbar zu benennen - also auch in einem Lehrvortrag, der ja zudem Vorbildcharakter für Studenten hat.

Der inzwischen an die LMU berufene Bewerber sieht das weniger streng: "Bei einem didaktischen Vortrag müssen Quellen, die wissenschaftliche Inhalte wiedergeben, selbstverständlich präzise angegeben werden", erklärt er. "Bei Inhalten, die ausschließlich illustrierenden Charakter besitzen, ist eine mündliche Angabe der Quelle meines Erachtens ausreichend. Das habe ich während meines Vortrags getan." Aber wo verläuft die Grenze zwischen wissenschaftlichen und illustrierenden Inhalten?

Es gibt ein zweites Gutachten zu dem fraglichen Bewerbungsvortrag, erstellt vom Justitiar des Verlags C. H. Beck. Beauftragt hat ihn der Fachverband Deutsche Gesellschaft für Sprachbehindertenpädagogik (DGS), der das Berufungsverfahren aufmerksam verfolgt. Es handelte sich nämlich um den Leuchtturm-Lehrstuhl für die Branche, heißt es dort. Die DGS hält den Ablauf des Verfahrens für unsauber und kritisiert das öffentlich. Ihr Gutachter erkennt in Teilen des Vortrags ein Plagiat und sieht wissenschaftliches Fehlverhalten.

Letztlich hat sich die Berufungskommission der LMU für den kritisierten Bewerber ausgesprochen, und zwar "sehr eindeutig", wie deren Vorsitzende, die Pädagogik-Professorin Annette Leonhardt, sagt. Aber auch die Arbeit der Kommission wirft Fragen auf. Leonhardt erklärt, man habe das Schreiben Gebhards von Dezember 2013 in der Kommission "zur Kenntnis genommen und diskutiert" und dem Senat der LMU weitergeleitet. Wann genau dies geschah, lässt sie offen.

Die Richtlinien der LMU sehen aber vor, dass der "konkrete Vorwurf" eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens "unverzüglich" beim LMU-internen Ombudsmann zu melden sei. Da es in diesem Fall um das Mitglied einer anderen Universität ging, stellt sich die Frage, warum Leonhardt nicht analog unverzüglich die Prüfinstanz dieser Uni einschaltete. Das tat die LMU erst Monate später.

LMU-Professor findet Vorgang "ziemlich verstörend"

Auch in der Fachszene hat das Berufungsverfahren Verwunderung ausgelöst. Die Vorsitzenden der Konferenz der Dozenten für Sprachheilpädagogik schreiben in einem offenen Brief von "Irritationen" darüber, dass die Berufungskommission "trotz uns bekannter hochkarätiger" Bewerber nur zwei Kandidaten zum Vorsingen einlud. Eine Frage zu den Gründen dafür lässt Leonhardt unbeantwortet, mit Verweis auf das "interne" Verfahren.

Nach der Berufungskommission war es am Senat der LMU, über die Personalie zu befinden. Es habe eine "sehr eingehende" Diskussion gegeben, sagt LMU-Präsident Bernd Huber. Mit welchem Kenntnisstand diskutiert wurde, bleibt aber im Dunkeln. Letztlich verließ das Gremium sich auf das Urteil der anderen Uni. Der Senat habe der Personalie "mit klarer Mehrheit" zugestimmt, sagt Huber. Im Oktober sprach LMU-Präsident Huber den Ruf aus.

Dieses langwierige und umstrittene Berufungsverfahren löst inzwischen auch außerhalb der betroffenen Fakultät Unruhe aus. Der Informatik-Professor François Bry, der seinen Blog öfters nutzt, um die LMU-Leitung zu kritisieren, schreibt, er sehe nach Lage der Dinge ein wissenschaftliches Fehlverhalten beim Bewerber. Und er finde es "ziemlich verstörend, dass universitäre Instanzen den Fall anders bewerten".

© SZ vom 04.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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