"Ping Pong d'amour":Gnotzt nicht so romantisch!

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Slapstick ist eine Strategie, dem Leistungsprinzip eine lange Nase zu drehen: René Polleschs "Ping Pong d'amour" an den Kammerspielen.

Ch. Schmidt

Manchmal genügt es, einen einzigen Buchstaben zu verändern, um aus einem idealistischen Begriff einen materialistischen zu machen. "Wohnwonnen", sagt der Schauspieler Bernd Moss - gemeint ist "Wohlwollen", aber Moss täuscht zeitweise einen Sprachfehler vor. Indem er uns ein N für ein L vormacht, überführt er den Jargon des Gutmenschen in jenen der Werbung und entlarvt ihn dadurch.

Es geht um die Seele: "Ping Pong d'amour" an den Kammerspielen. (Foto: Foto: Arno Declair/oh)

Schließlich haben, insgesamt betrachtet, die Wohnwonnen über das Wohlwollen obsiegt. Letzteres fristet ein euphemistisches Nischendasein in der Schaum- und Weichmacherrhetorik, welche die gesellschaftlichen Härten einseifen soll - und damit ist, dem Autor und Regisseur René Pollesch zufolge, das ganze Gerede von der Seele als pure Propaganda enttarnt.

Viel geht es um die Seele in "Ping Pong d'amour", dem neuen Pollesch-Abend an den Münchner Kammerspielen. Und also auch um den Schauspieler, dem es als Innerlichkeitsprofi obliegt, die Illusion aufrechtzuerhalten, es gäbe da etwas Unverfügbares namens Seele, das dem Wettbewerbskapitalismus widersteht - aber gerade dadurch hilft, ihn zu ertragen.

Doch die Bühne als Ort der Wahrheit soll im Pollesch-Theater nicht mehr die Verhältnisse camouflieren. Das sei "in diesem transzendenten Jugendstilrahmen", pardon "Jugendstinrahmen", "nicht zu haben", sagt Bernd Moss. Er spielt damit auf das Schauspielhaus der Kammerspiele an, in das Pollesch nun expandiert ist, nachdem seine beiden vorigen Münchner Arbeiten sich noch im kleinen Werkraum unter Eingeweihten verströmt hatten.

Wer aber fürchtet, beim Wechsel vom Neben- zum Hauptspielort gehe auch ein Stück Subversion verloren, wird aufs Unterhaltsamste eines Besseren belehrt. Nicht nur, weil Pollesch diese Migration bereits in Berlin und Wien erfolgreich überstanden hat; sondern auch weil ebenhier schon einmal einer dem bürgerlichen Einfühlungstheater den Kampf ansagte. Es war Bertolt Brecht gewesen, der einst Verbotsschilder auf die Kammerspielbühne gestellt hatte: "Glotzt nicht so romantisch!".

Wie Brecht ist auch Pollesch in Wahrheit ein Romantiker, der sich wie die drei Münchner Schauspieler mit ihren schwarzen Panzerknackermasken nur zynisch maskiert hat, um mittels Ironie auf die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit zu deuten. Und wie bei Brecht greift bei Pollesch der Inhalt seiner Kritik auf die Darreichungsform über: "Ping Pong d'amour" ist, der Titel deutet es an, eine Screwball-Komödie, allerdings eine manisch überdrehte, deren Witz stets einen Wahn zu überlisten sucht und im Gelächter den Schmerz bannt.

Drei entfesselte Schauspieler erbringen spielend den Beweis, dass die Abstraktionen der Diskurstheorie humorfähig sind, Pointen die einzige Waffe, um nicht zu verzweifeln, und dass Slapstick eine Strategie ist, dem Leistungsprinzip eine lange Nase zu drehen. Als Gast wurde Martin Wuttke engagiert, gestählt in Theaterschlachten unter Frank Castorf und geübt, im übertourigen Pollesch-Theater ohne Schleudertrauma zu bestehen.

Im Jockey-Dress aus Satin gibt Wuttke den abgetanzten Film-Star, der um Liebe winselt und aberwitzige Guerilla-Techniken eines nichtidentifikatorischen Theaters ersinnt. Wuttke ist der Spielmacher des Abends, der macht, dass die Gags zünden - und man zugleich die Wut erahnt, die jede Pointe ablöscht. Bernd Moss ist sein Sidekick, der über die Geschichte der Nasshygiene referiert und virtuos an der Tücke des Objekts scheitert, während Katja Bürkle als flamboyante Diven-Zicke in wechselnden Kostümen und Attitüden weibliche Rollenbilder abwirft, als häutete sie sich.

Die Glamour-Bühne von Janina Audick ist eine hypertrophe Promi-Villa mit genoppten Polsterwänden, einer langen Showtreppe und einem ausfahrbaren Solarium hinterm Kamin. Angedeutete Handlungsfäden erweisen sich hier als ebenso lose wie die Identitäten, die sich vexatorisch verflüssigen. Letztlich ist alles nur Versatzstück, Spielmaterial, dessen Zweckfreiheit die Theatermittel von ihrem Dienstleistungscharakter erlöst.

Neu ist, dass auch Pollesch sich stärker von einer konkreten Vorlage gelöst hat und seine Themen lockerer denn je umspielt, um zu zeigen, das jede Realität, zumal die auf der Bühne, nur eine Konstruktion seit. So wurde aus Polleschs didaktischem Posthumanismus ein ansteckender Showtreppenwitz zwischen rapider Körper- und Hirnakrobatik.

© SZ vom 16.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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