Peinliche Straßenschilder:Problematische Helden

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"Fenster in die Vergangenheit" und "Wüste Schlachten, verfängliche Lieder", beides vom 9. Juni:

Vom Regen in die Traufe

Die Umbenennung der Meiserstraße im Jahre 2010 war überfällig. Der protestantische Landesbischof Hans Meiser war schon Ende der Zwanzigerjahre ein Mitläufer der Nazis und hat kraft seines Amtes (auch) dazu beigetragen, dass mancher Protestant früh und mit gutem Gewissen zu Hitler gefunden hat. Mit der Um-Benennung nach der Ehefrau von Martin Luther wollte der Stadtrat offensichtlich der protestantischen Seite entgegenkommen und hat - nach meiner Kenntnis auf protestantischen (!) Vorschlag und Drängen - sich für "Katharina-von-Bora-Straße" entschieden. Luther war bekanntlich in späteren Jahren ein maßloser Judenhasser. Seine Worte dafür können wir uns sparen; sie werden auch schon bei den Vorbereitungen zum Luther-Jahr 2017 verdrängt. Katharina von Bora hat in ihrem Judenhass ihren Ehemann aber noch übertroffen! Als Luther in Eisleben schon auf dem Sterbebett lag, schrieb sie ihm einen Brief in einem judenfeindlichen Jargon, den man nicht wagt zu zitieren (nachzulesen aber in: Weimarana, Band 11, 1900, Weimar). Richard Wagner wird heute noch mit seinen antisemitischen Äußerungen meist hasserfüllt zitiert. Wenn Straßennamen "informieren, erinnern und ehren" sollen, dann muss diese Straße erneut umbenannt werden. Abgesehen davon, dass außer Protestanten wohl ohnehin niemand weiß, wer Katharina von Bora war, wird ohne Grund an sie erinnert und sie zu Unrecht geehrt - einer der "problematischen Fälle", wie mir scheint. Dr. Jürgen Dreher, München

Allzu hohe Ansprüche

Immer wieder taucht nicht nur in München die Frage auf, wie man mit Straßennamen von Persönlichkeiten umgehen soll, wenn zusätzlich zu den Verdiensten schwarze Flecken in deren Biografie bekannt werden. Jetzt soll eine Historikerkommission alle Straßennamen Münchens überprüfen. Beim Gang durch die Straßen kommen mir dazu - inspiriert von Brecht - Fragen eines (Straßenschilder-)lesenden Städters.

Der verdiente Politiker: Sind wir sicher, dass er seine Kinder nicht verprügelt und seine Frau nicht vergewaltigt hat?

Die verdiente Wissenschaftlerin: Können wir ausschließen, dass sie ihr Kindermädchen in den Selbstmord getrieben hat, weil dieses schwanger geworden war?

Der siegreiche Feldherr: Ist es sicher, dass er nur den Tod der gegnerischen Soldaten zu verantworten hat (Grund der Ehrung!) und nicht auch eigene Soldaten aus Nachlässigkeit oder falschem Stolz unnötig in den Tod getrieben hat?

Die wohltätige Prinzessin: Wer weiß, ob sie nicht ihren Schwestern und Untergebenen das Leben zur Hölle gemacht hat?

Der verehrte Kirchenreformer: Hat er nicht übel gegen Juden gehetzt?

Der gütige König: Hat er nicht doch einen Diener einkerkern lassen, als dessen Homosexualität bekannt geworden war?

Der hochgeschätzte Pfarrer: Wissen wir ganz genau, dass er niemals einem Buben zu nahe gekommen ist?

Vielleicht verlangen wir zu viel. Weil wir selbst nicht immer Vorbild sind, sollen es wenigstens die toten Prominenten auf unseren Straßenschildern gewesen sein. Aber eine beachtliche Lebensleistung auf einem Gebiet schützt doch nicht vor Fehlern aller Art auf anderen Gebieten, weshalb wir besser nicht die ganze Person mit all ihren Schwächen, sondern eine bestimmte Leistung zum Vorbild erklären sollten. Schon wieder fällt mir Brecht ein, der übrigens - und wohl nicht wegen seines allzeit vorbildlichen Verhaltens Frauen gegenüber - zum Namenspatron eines Münchner Mädchen(!)-Gymnasiums erkoren wurde: "Traurig das Land, das keine Helden hat!" - Nein, traurig das Land, das Helden nötig hat! Dr. Josef Noderer, München

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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