Offene Fragen:Einfach mal graben

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SZ Grafik (Foto: Stammstrecke)

Ob der zweite Tunnel gebaut und finanziert werden kann, ist immer noch offen - doch im Oktober will die Bahn zumindest mit den Vorbereitungen beginnen

Von Marco Völklein, München

Schon kurz nach dem Oktoberfest soll es losgehen. Dann will die Deutsche Bahn erste Bagger anrollen lassen und auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof damit beginnen, Fernwärme- und andere Leitungen zu verlegen. Die "Sparten", wie Fachleute das Zeug im Untergrund nennen, sind dort dem geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel im Weg. Mit den Vorarbeiten wollen die Bahn und der Freistaat demonstrieren: Es tut sich was beim zweiten Tunnel. Gegner allerdings sind skeptisch. Solange die Finanzierung nicht geklärt ist, bleibt die Röhre erst mal eine Fiktion.

Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?

Momentan sieht es so aus: Eine rechtsgültige Baugenehmigung liegt nur für den mittleren der drei großen Bauabschnitte vor, nämlich für den zwischen Stachus und Isar. Für die beiden anderen Abschnitte östlich und westlich davon hat das Eisenbahnbundesamt als zuständige Genehmigungsbehörde zwar die Planfeststellungsbeschlüsse erteilt, also die Genehmigungen. Doch in beiden Abschnitten wird gegen die Baubescheide geklagt. Die juristische Auseinandersetzungen befinden sich derzeit in unterschiedlichen Stadien.

Wie ist die Gefechtslage vor Gericht?

In der übernächsten Woche, am 28. Juni, zieht der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) extra in einen größeren Verhandlungssaal im Verwaltungsgericht an der Bayerstraße - um gewappnet zu sein für einen möglichen Publikumsandrang. Dann werden sieben Klagen mündlich vor dem 22. Senat verhandelt, reserviert ist der Saal für zwei Tage. Geklagt haben Hoteliers, Gewerbetreibende und Anwohner rund um den Hauptbahnhof, also im westlichen Abschnitt. Sie wollen sich gegen den Tunnel beziehungsweise die Baustelle vor ihrer Tür wehren. Im östlichen Abschnitt indes, also im Bereich von der Isar bis zum Leuchtenbergring, haben Anwohner und Gewerbetreibende noch bis Mitte Juli Zeit, Klagen einzureichen. Die Haidhauser Bürgerinitiative sowie Geschäftsleute haben dies bereits angekündigt. Verwaltungsjuristen gehen davon aus, dass es dann noch etwa ein Jahr dauern wird, bis die VGH-Richter auch diese Klagen verhandeln.

Darf die Bahn mit den Vorarbeiten am Hauptbahnhof dennoch loslegen?

Ja. Denn das Eisenbahnbundesamt hat erst im Januar auf Antrag der Bahn den "Sofortvollzug" erlaubt - allerdings nur für die geplanten Spartenverlegungen auf dem Bahnhofsvorplatz. Möglich ist zudem, dass die Bahn mit ähnlichen Vorarbeiten im Herbst am Marienhof beginnen wird. Bislang ist das aber noch offen.

Und wie steht es um die Finanzierung?

Für die Vorarbeiten hat der Freistaat der Bahn die Kostenübernahme zugesichert. Um aber irgendwann mit den Hauptarbeiten beginnen zu können, müssen sich zuvor Land und Bund auf ein Finanzierungskonzept einigen. Aktuell werden die Kosten auf etwa drei Milliarden Euro geschätzt, Kritiker gehen davon aus, dass es am Ende vier oder noch mehr Milliarden werden könnten. Das Problem ist: Momentan hat auch für ein Drei-Milliarden-Euro-Budget vor allem der Bund seinen Anteil nicht beisammen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) versichert zwar stets, er kenne "kein Limit"; konkrete Zusagen hat er aber noch nicht gegeben, geschweige denn, dass der Bundestag Haushaltsmittel freigegeben hätte. Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) will nun bis zum Herbst eine Lösung finden. Die Opposition im Landtag ist äußerst skeptisch, dass er dies schafft.

Hat denn zumindest der Freistaat seinen Anteil beisammen?

Im Grunde ja. Herrmanns Vorgänger Martin Zeil (FDP) hatte schon 2012 fast eine Milliarde Euro zusammengekratzt; zudem hat der CSU-Minister in seinem Haushalt über die vergangenen Jahre gut 500 Millionen Euro an "Ausgabenresten" gebunkert. Dieses Geld war eigentlich für den Bahnausbau vorgesehen, wurde aber vom Land nicht ausgegeben. Der Landtagsabgeordnete Markus Ganserer (Grüne) kritisiert dies: Statt Geld für ein Projekt zu horten, das eh nicht komme, sei es besser, die Mittel in kleinere Verbesserungen bei der Münchner S-Bahn sowie den Bahnausbau im gesamten Freistaat zu investieren.

Und was passiert, wenn die Politiker die Finanzierung nicht hinkriegen?

Das ist die große Frage. Pessimisten raunen bereits jetzt: Sollten sich der Bund und das Land bis zum Herbst nicht einigen, werden sie die Sache eben weiter vertagen - beispielsweise ins Frühjahr 2017. Tunnelgegner wie Ganserer oder der Münchner Abgeordnete Michael Piazolo (Freie Wähler) fordern, das Tunnelprojekt jetzt zu beerdigen und lieber auf Alternativen zu setzen, etwa einen Ausbau des Süd- oder des Nordrings sowie auf zahlreiche Verbesserungen auf den Außenästen im gesamten S-Bahn-Netz.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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