NullAchtNeun:Wiesn und Weltkultur

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Dirndl, Bier und Riesengaudi: Es gibt die Forderung, dass das Oktoberfest Weltkulturerbe werden soll. Warum das gar keine gute Idee ist.

Wolfgang Görl

Das Oktoberfest gilt, neben der Weißwurst und dem MVV-Tarifsystem, als der bedeutendste Beitrag Münchens zum kulturellen Erbe der Menschheit. Nirgendwo sonst gibt es diese erregende Mischung aus Hochkultur (Blasmusik, Braukunst) und Volkskultur ("Who the fuck is Alice", Bier), und das lockt Menschen aus aller Welt an, sogar aus Kontinenten, in denen Kängurus kulturell den Ton angeben. Gerade bei Bildungsbürgern ist die Wiesn so gut eingeführt, dass nicht einmal das Kulturreferat es wagen würde, sie zugunsten eines Platzkonzerts der Philharmoniker abzuschaffen.

Sieht so ein Weltkulturerbe aus? Szene auf dem Oktoberfest (Foto: Foto: AFP)

In Schaustellerkreisen aber scheint man dem Frieden nicht recht zu trauen, denn warum sonst ist aus ihrer Mitte soeben die Forderung laut geworden, das Oktoberfest unter den Schutz der Unesco zu stellen, und zwar als "immaterielles Kulturerbe"? Die Wiesn stünde dann in einer Reihe mit der Querhornmusik der ivorischen Tagbana-Gemeinde oder dem Slovácko Verbunk, dem Tanz der tschechischen Rekruten.

Das klingt zunächst verheißungsvoll, bei näherer Betrachtung kommen allerdings Zweifel auf. Man würde ja die Wiesn dem Diktat der Unesco ausliefern, wo doch die Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten Münchens seit den Zeiten Heinrichs des Löwen ausgeschlossen ist. Und mit diesen Unesco-Leuten ist nicht gut Kirschen essen, die nehmen den Schutz von Kulturgütern tatsächlich ernst.

Die tschechischen Rekruten könnten ihren Kulturerbe-Status gleich wieder in den Wind schießen, würden sie den Slovácko Verbunk mit einigen Hiphop-Figuren moderner gestalten. Natürlich müsste auch die Wiesn bleiben, wie sie ist, einschließlich der Dirndl von Frau Weishäupl. Keinesfalls würde es die Unesco dulden, wenn ein anderer als Christian Ude den Anstich vornähme. Ude wiederum müsste sich stets auf zwei Schläge beschränken, andernfalls würde der Kulturerbe-Status auf das Karlsfelder Siedler- und Seefest übergehen.

Wesentlich heikler ist die Bierpreis-Frage. Die Trinkerfraktion neigt zu der Ansicht, jegliche Preiserhöhung sei eine unzulässige Veränderung, und überhaupt wäre der Tradition am besten gedient, würde man das Bier, wie beim ersten Oktoberfest im Jahr 1810, für drei Kreuzer anbieten. Dagegen machen die Wirte geltend, dass es sich bei der alljährlichen Bierpreiserhöhung um ein schützenswertes Ritual handelt, das zur Wiesn ebenso gehört wie die Querhornmusik zur Tagbana-Gemeinde. De facto sei die Bierpreisspirale ein immaterielles Kulturerbe par excellence, und nur deshalb werde die Maß immer teurer.

Egal, wie der Disput ausgeht: Unbestritten ist, dass sich die Wiesn nicht vor anderen Eingeborenen-Kulten verstecken muss. Wer das Oktoberfest besucht, gerät in rauschhafte Zustände, die von Ethnologen als bayerische Sonderform der Spiritualität gedeutet werden. Zur Selbstkasteiung stehen Katapulte, Rotationsapparate und eine Guillotine zur Verfügung. Noch zu prüfen wäre, ob auch Raufen und wildes Bieseln zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit zählen.

© SZ vom 17.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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