NullAchtNeun:Schade ums Schild

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Münchner Eigenheiten sterben aus: Der kurzbeinige "Zamperl", der "Schandi" und die Verbotsschilder als Manifestation des Grantelns müssen der neuen Zeit weichen.

Joachim Käppner

Oft klagen Traditionalisten, dass München nicht mehr München ist. Dass früher alles besser war, typisch münchnerisch eben. Dass die Zugereisten leider auch noch versuchen, Bairisch zu sprechen. Dass die Grantler im Biergarten aussterben und die jugendlichen Missetäter "Scheiße Mann, die Bullen!" rufen statt wie damals in der herrlichen Lausbubenzeit "Schnell weg, der Schandi kommt!"

Schilder wie diesen sterben in der Folge der neuen Grenzenlosigkeit aus - und mit Ihnen ein Stück Münchner Grantltums. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Dass die Beine der Dackel immer länger werden, wo doch ein Münchner Zamperl kurzbeinig zu sein hat (weshalb einst das berühmte Münchner Amtsgericht einen Angeklagten, der einen Polizisten als "Sie Zamperl" geschmäht hatte, mit der bemerkenswerten Begründung verurteilte: In München sei "Zamperl" wegen des hohen Traditionswerts des Begriffs zwar eigentlich kein Schimpfwort, in diesem Fall aber schon, weil der Beamte sehr klein gewachsen war für seinen Stand).

Um den kulturpessimistischen Zug dieser Kolumne zu verstärken, müssen wir leider einen weiteren Verlust an Authentizität melden: Das Münchner Verbotsschild stirbt aus, wahrscheinlich aufgrund rotgrüner Libertinität, deren Folgen für diese Stadt ebenfalls unser ständiges Thema sind. Mit den Schildern verschwindet ein Regelwerk für den Alltag.

Die heutigen Großverbote für rußende Autos oder Raucher können die spezielle, den Alltag kleinteilig regulierende Vorschrift nicht ersetzen. "Ballspielen in jeder Form verboten!", herrschten die Schilder, "Kinder auf dem Rasen nicht erlaubt! Zuwiderhandlungen werden geahndet." Wo liest man das heute noch? Und was ist die Folge der neuen Grenzenlosigkeit? Viele ältere Eigenheimbesitzer unserer Stadt müssen leider die Gerichte bemühen, um ungezügelte Auswüchse kindlichen Daseins in der Nachbarschaft wie Rufen, Hüpfen, Kicken und einfach Dasein zu unterbinden.

Wo sind sie hin, die Verbote? "Müllhäuschen nur von 10-11 Uhr benutzen!", "Baden von Hunden im See strengstens untersagt" oder "Das Anlehnen von Rädern an der Mauer ist nicht erlaubt!" Wer untersagt noch das schändliche Aufhängen von Wäsche auf dem Balkon? Wer verpflichtet Autofahrer, niemals rückwärts einzuparken? Wer weist die enthemmten Eichhörnchenfütterer auf unseren Friedhöfen in die Schranken?

Wie so oft, findet man die wahren Werte noch auf dem Lande. Tief im Höllental, fern unserer ordnungslosen Zeit, liegt eine Wanderhütte, in der wir jüngstens 17 Verbotsschilder lasen. Schließen wir von ihnen auf das Menschenbild des Wirts, so muss dieser den Gast als eine Art multiple Zumutung begreifen, einen Menschen, der brüllend den Raum betritt, Dreckklumpen an den Schuhen, der mit Unrat um sich wirft, seine Unterwäsche auf den Ofen hängt und sich in jeder Hinsicht breit macht. Aus diesem Grund ist es dort untersagt, der Registrierkasse näher als einen Meter zu kommen.

Dort herrscht noch Ordnung - und jenes Recht, das dem Münchner doch so lieb war: nämlich den Mitmenschen in all seinem Unverstand zu ermahnen.

© SZ vom 19.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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