NullAchtNeun:Rollende Ranzen

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Ranzen verziert mit Pferden oder Rennautos, der Diddl-Maus, Harry Potter, dem FC-Bayern-Wappen und so fort: Im Vergleich zu heute war das Schülerleben früher ein Kinderspiel.

Nadeschda Scharfenberg

Ach, was war die Welt einfach damals. Mitte der Achtziger, als mit der Einschulung der Ernst des Lebens begann, wussten wir noch nichts von Pluralismus, kultureller Vielfalt und dergleichen. Die Menschheit teilte sich simpel in zwei Gruppen: die Amigos und die Scouts. Ein Blick auf den Ranzen genügte, und schon war klar, ob der Träger zu den Tollen oder zu den Ollen gehörte.

Rucksäcke und Ranzen von ungefähr 27 Herstellern: Schwierige Zeiten für Kinder. (Foto: Foto: AP)

Sarah mit der dicken Brille schulterte allmorgendlich ihren Scout. Die vorlaute Annette, die im Kindergarten beim Familie-Spielen immer die Mutter sein durfte, protzte schon lange vor dem ersten Schultag mit ihrem dunkelblauen Amigo. Keine Frage, was Mama kaufen musste: genau so ein Exemplar. Die Farbwahl fiel leicht, denn es gab nur vier Töne. Dunkel- und mittelblau, rot, olivgrün. Wie einfach die Welt war!

Die Scouts versuchten einiges, um ihre Tornister aufzuwerten. Sie priesen die signalfarbenen Reflektoren, lobten den flexibleren Stoff: Er biete mehr Platz für dicke Bücher. Ein tragendes Argument. Selbst der Name der Rückendrücker musste im Klassenkampf herhalten.

Scout, das klingt cool! Amigo, wie miefig! Da entgegneten wir, dass Amigo die Abkürzung für "Ami go home" sei. In unserer Stadt waren zwar die Franzosen stationiert, aber davon verstanden wir nichts. Geschichtsunterricht gab es erst in der Post-Amigo-Zeit.

Auf dem Gymnasium musste es dann eine Leder-Tasche sein, die man lässig unter den Arm zu klemmen hatte (Sarah schleppte ihr Exemplar bis zum Abi auf dem Rücken). Das Leder bot Platz für Meinungsäußerungen aller Art. Lehrer X ist doof. Atomkraft - nein danke. Nie mehr zweite Liga. Kein Blut für Öl. Ilove New Kids on the Block. Nazis raus.

Da war die Welt schon komplizierter geworden, und am kompliziertesten wurde sie, als es galt, einen Teil des Gekritzels wieder loszuwerden. Selbst Scheuerpulver und Ceran-Kochfeld-Schaber versagten beim Versuch, die verblasste Liebe zur Boygroup aus der Öffentlichkeit zu tilgen. Auf dem Leder verblasste leider gar nix.

Aber im Vergleich zu heute war das Schülerleben damals ein Kinderspiel. Wie viele Nachtstunden mögen sich die Kleinen im Bett wälzen und sich das Hirn zermartern über Marke und Muster ihrer Schultasche. Es gibt Ranzen und Rucksäcke von ungefähr 27 Herstellern, verziert mit Pferden oder Rennautos, der Diddl-Maus, Harry Potter, dem FC-Bayern-Wappen und so fort.

Und das ist noch nicht alles. Neulich, ausgerechnet in der Flughafen-S-Bahn, stieg eine Horde zahnspangiger Teenager zu. Ihre Schultaschen trugen sie nicht auf dem Rücken, sondern zogen sie, rummdadidumm, auf Rädern hinter sich her - wie eine Fraktion EU-Parlamentarier auf dem Weg zur Sitzungswoche in Straßburg.

Der Trend geht zum Trolley, school's big business, nichts ist mehr leicht. Drückt die Last des Lernens so schwer, dass die schmalen Schülerschultern sie nicht mehr tragen können? Die Auswahl an geräderten Tornistern ist übrigens noch klein - aber das wird sich sicher bald ändern.

© SZ vom 23.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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