NullAchtNeun:Mantel mit Fensterplatz

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Wenn eine Frau im Zug drei Sitzplätze beansprucht, um sich und ihren Krempel unterzubringen, dann handelt es sich sicher um eine Hoch-zu-Ross-Münchnerin.

Harald Hordych

Es geschah im Intercity von Zürich nach München, nur eine Kleinigkeit, aber wie sehr hatte man darauf gewartet, endlich etwas zu finden, das für das Phänomen München als Symbol herhalten kann. Welches München? Ein ganz spezielles München, nämlich das Hoch-zu-Ross-München. Das snobby München. Warum das Wort "Phänomen" erwähnt wird? Wenn man sich über etwas sehr Banales nicht ärgern will, ist es wohl immer das Beste, es geschwind zum Phänomen zu erklären. Weil man dann philosophischen Abstand gewinnen und die Sache mit den Augen des Weisen betrachten kann, der bekanntlich lieber lacht als weint, allein schon aus Gesundheitsgründen.

Im Zug von Zürich nach München: Es füllte sich der Zug mit Menschen und Lebensmaterial, die Dame aber blickte ruhig zum Fenster hinaus. Im Bild: Ein Intercity Express. (Foto: Foto: dpa)

Diesmal ging es um jene nervige Art von Snobismus, die München bisweilen intensiv ausstrahlen kann. Ein Zuviel an Selbstvertrauen, das schnell in lästige Selbstgefälligkeit übergeht. Wobei man ja fatalerweise nie weiß: Ist das jetzt gerade ein typischer Münchner oder ein Fremder, der auf das Münchnerische noch einen fetten Klacks importierter Selbstverliebtheit draufhaut.

Die Dame im Intercity von Zürich nach München hatte reserviert und sich gegenüber auf zwei Plätzen ausgebreitet. Nun, der Zug war nicht leer, aber auch längst nicht voll. Dort die Tasche, der gülden schimmernde Mantel mit Pelzkragen und die Markentüte. Das war in Ordnung, der Mensch braucht Platz, und wenn er ihn sich ohne grobe Gewaltanwendung nehmen kann, dann verbieten sich alle Proteste.

Drei Plätze für sich und ihren Kram

Dann fasste die Dame einen Entschluss, der überraschend kam. Sie erhob sich und befestigte den Mantel am Fenster auf der anderen Seite des Großraumabteils. Die Vermutung lag nahe, dass sie nun einen Platzwechsel vollziehen wollte. Aus welchen Gründen war nicht ersichtlich, aber es schien nur eine Frage von Sekunden, wann die Markentütenluxuskrempelkarawane die Seiten wechseln würde. Doch nichts dergleichen geschah.

Die Dame änderte sonst nichts an ihrem Kruschelarrangement und blickte entspannt zum Fenster hinaus. Es dauerte lange, bis klar wurde, was da gerade passiert war: Die Dame wollte ihren Mantel in die geordnete Hängeposition bringen, ohne sich dabei am eigenen Fensterplatz um die schöne Aussicht zu bringen. Summa summarum, errechnete man in Windeseile, waren das also drei Plätze, die sie für sich und ihren Kram in Anspruch nahm.

Sicher nur für kurze Zeit, so zunächst die wohlmeinende Annahme. Es füllte sich indes der Zug mit Menschen und Lebensmaterial, die Dame aber blickte ruhig zum Fenster hinaus, während sich auf der anderen Seite, wo ihr Mantel ebenfalls die Aussicht genoss, niemand auf den von ihrem Kleidungsstück reservierten Platz setzte. An dieser Aufteilung änderte sich nichts mehr.

Und so begann das Grübeln darüber, wofür sich manche Menschen eigentlich halten, im Zweifelsfall für etwas Besseres, was den ihnen zustehenden Platz in der Welt, zumindest in der Zugwelt angeht. München, was glaubst du eigentlich, wer du bist?, grummelte ich grollend vor mich hin, während sich der Zug füllte.

Dann kam Augsburg. Die Dame befreite ihre drei Plätze von den Sachen, die sie im Abteil verteilt hatte und entschwand für alle Zeiten aus diesem Zug und aus meinem Leben. Augsburg! Nicht München. Sieh mal an. Was typisch ist für München, ist also auch typisch für Augsburg und - folglich also - alle Welt. Das ist phänomenal.

© SZ vom 03.01.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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