NullAchtNeun:Es gilt das gesprochene Wort

Lesezeit: 2 min

Was geht mich mein Geschwätz von gestern an: Warum manche Politiker keine Protokolle der Ratsausschuss-Sitzungen im Internet veröffentlicht sehen wollen.

Joachim Käppner

Zu den unbeliebtesten Aufgaben unter vielen unbeliebten Aufgaben in der Elterninitiative Fröschleinkinder gehört das Erstellen des Protokolls. Der Protokollant hält die Beschlüsse der Elternschaft für die Nachwelt fest, wenn es denn Beschlüsse gibt, sowie die Debatten, die es immer gibt. Claudius moniert, Erzieherin Evelyn habe die Stimme erhoben, als Mike die kleine Sarah in die Matschkiste geschubst hat. Erhoben, jawohl!

Der Münchner Stadtrat (Foto: Foto: ahed)

Für Mikes Entwicklung seien autoritäre Anwandlungen des Personals nachteilig... Der geschulte Protokollant wird die Mitschrift hier einstellen - aus Selbstschutz. Sonst wird er nach Versenden des Protokolls via Rundmail Abende damit verbringen, auf die verschiedenen, per Telefon, Mail, Post und gezielter übler Nachrede gestreuten Zweifel an der Korrektheit der Gesprächswiedergabe zu reagieren.

Andererseits bietet das Protokoll die Gelegenheit, jene an ihren Ansprüchen zu messen, die Versprechungen oder Drohungen an die anderen Eltern gerichtet haben. Man werde ein System erdenken, hatte Karl-Uwe verkündet, um stets verspätete Kinder zu notieren und gegebenenfalls abzuweisen. Nichts ist je geschehen.

In diesem Fall ein Glück, seit Karl-Uwe aber mitbekommen hat, dass ihn die anderen Väter heimlich IM Uwe nennen, sinnt er auf neue Sanktionen. Und seit etwa dem Ende der Kaiserzeit diskutieren die Fröschleinkinder, das heißt: ihre Eltern, über ein neues Leitbild, das die Kleinkinderziehung in eikritischer Distanz zu den gesellschaftlichen Verhältnissen anhalten soll.

Schließlich kann es nicht angehen, dass die Fröschleinkinder einfach Spaß haben und spielen, was sie aber trotzigerweise tun. Annettabella laut Mitschrift: "Ohne Leitbild können wir dichtmachen..." Dank des Protokolls vom 10.4.2007 muss sich Anettabella, eine kämpferische Italienerin von seltsam ziellosem Zorn, aber vorhalten lassen, dass sie selbst doch einen Grobentwurf verfassen wollte.

Genau aus Furcht vor solchen Vorhaltungen will die Münchner SPD, jene Speerspitze der bürgernahen Demokratie, lieber keine Protokolle der Ratsausschuss-Sitzungen im Internet veröffentlicht sehen, wie es die Grünen gerne hätten. Was etwa ist die Strategie, welche hinter den verschiedenen Schildern an der Alten Post steckt, auf denen das Radfahren erlaubt und zwei Meter weiter verboten wird? Das wäre aus Internet-Protokollen, vielleicht, zu erfahren.

Eine gute Verwaltung aber folgt bekanntlich der Devise: Was geht mich mein Geschwätz von gestern an. Die Rechtsabteilung des Rathauses warnt gar, das freie Wort müsse die Chance haben, "zu verhallen", statt für ewig notiert zu werden. Doch wer einmal bei grünem Tee unter den Eltern der Fröschlein saß, der weiß: Das Wort verhallt nie. Es wird Dir ewig nachgetragen.

Seinerzeit, vor zehn Jahren, verschlug es einen eher, nun ja, wertkonservativ eingestellten Kollegen in eine Elterninitiative zu Frankfurt-Bornheim. Der Geist linken Rebellentums war dort noch sehr lebendig, kreiste aber seit geraumer Zeit so intensiv wie ergebnislos um die Frage veganer Mittagskost. Dann kam der Kosovokrieg, und die Ini verfasste einen Aufruf gegen deutsche Kriegstreiberei, die Regierung Schröder im Allgemeinen und die Verrätergrünen im Besonderen.

Zufällig war der Protokollant unser Kollege, der die Sache gänzlich anders sah und nicht unterschrieb. In der Mitschrift notierte er seine Position: "Einsatz von Bodentruppen und Luftwaffe im Kosovo: zu wenig, zu spät." Er musste nie wieder Protokoll führen.

© SZ vom 25.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: