NullAchtNeun:Das Glück im Unglück

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Mit seinem Faschingsumzug kann München nicht einmal dem Xantener Blutwurstsonntagszug Paroli bieten, doch nach Aschermittwoch geben die Münchner Gas.

Wolfgang Görl

Helau, der Münchner Faschingszug hat mal wieder alle Erwartungen erfüllt: Die Narren, angeführt vom obersten Damischen Ritter, dem Herzog Kasimir, hatten ihren Spaß und die Münchner auch. Letztere allerdings in den eigenen vier Wänden, beim Skifahren, im Wirtshaus oder sonstwo - überall, bloß nicht beim Faschingszug.

Auf dem Nockherberg: Hier feiern die Münchner. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Nur 6000 Zuschauer zählte die Polizei, damit könnte München nicht einmal dem Xantener Blutwurstsonntagszug Paroli bieten, von der Kölner oder Düsseldorfer Konkurrenz ganz zu schweigen. Hinzu kommt, dass unter denjenigen, die für Herzog Kasimir Spalier standen, vermutlich 3000 Exil-Kölner sowie andere Narren mit Migrationshintergrund waren.

Daneben gab es noch 2997 Münchner, die nur die Bestätigung suchten, dass das Ganze ein Schmarrn sei, sowie drei Eingeborene, die Faschingszüge, warum auch immer, lustig finden.

Diese erschreckende Bilanz ist am wenigsten den Damischen Rittern anzulasten. Die tun, was sie können, scheitern aber an der eigentümlichen Natur des hiesigen Menschentyps. Für den Münchner nämlich beginnt der Fasching am Aschermittwoch, also genau dann, wenn für den Rheinländer alles vorbei ist. Zu keiner Zeit geht es in München lustiger zu als in den Fastenwochen, da kann nicht einmal das Oktoberfest mithalten.

Während andere Volksstämme Buße und Enthaltsamkeit betreiben, gestaltet der Münchner die Fastenzeit als dionysische Sause, bei der schon als Abstinenzler gilt, wer nicht mindestens fünf Maß Starkbier bewältigt. Als Fastenspeise sind Schweinshaxn und Schlachtschüssel gut eingeführt, das "Prosit der Gemütlichkeit" ersetzt den Narrhalla-Marsch, und wenn dann noch Politiker und andere Tröpfe derbleckt werden, verliert selbst der grantigste Münchner die Kontrolle über sein Gesicht und lacht - eine Gemütsäußerung, die in der offiziellen Faschingszeit vollkommen ausgeschlossen ist.

Volkskundler sehen in diesem antizyklischen Verhalten einen Beweis für die These, dass der Münchner tiefere Einblicke in das Wesen der Dinge hat als andere Menschen, ausgenommen die Wiener. Man weiß hier um die Vergänglichkeit des Daseins, man hat jahrhundertelang Fürsten kommen und gehen gesehen, hat den Niedergang der Monarchie und des TSV 1860 erlebt, und auch die opulente Darstellung des Jenseits in alten Münchner Kirchen ist darauf ausgelegt, dem Betrachter das diesseitige Leben zu vermiesen.

So etwas schlägt aufs Gemüt, weshalb sich der Münchner ebenso wie der wesensverwandte Wiener nur wohlfühlt, wenn er einen Anlass zum Unwohlsein hat. Sich einfach so des Lebens zu erfreuen, hält er für viel zu oberflächlich, sobald es aber düster zugeht, blüht er auf. Deshalb die tief empfundene Sehnsucht des Münchners nach dem Aschermittwoch: Endlich darf er sich ein paar vergnügliche Tage genehmigen. Und endlich gibt es wieder ein Bier, bei dem man nach der ersten Maß betrunken ist.

© SZ vom 21.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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