Null acht neun:Tanz niemals aus der Reihe!

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Man muss weder Brauchtumsbajuware noch Kulturpessimist sein, um Mottopartys abzulehnen. Denn nicht mal Rainer Langhans würde sich als Rainer Langhans verkleiden

Von Rudolf Neumaier

Oft steckt der Horror in einer pdf-Datei: Man muss bei solchen Anhängen mit dem Schlimmsten rechnen, wenn Geburtstagseinladungen per Mail eintreffen. "Ich werde 40. Und das feiere ich mit dir. Motto: 70er Jahre. Kostümpflicht!" Vielen Jubilaren reicht es nicht mehr, mit Glückwünschen, Geld oder Gutscheinen überhäuft zu werden. Sie fordern gnadenlos Gaudi ein. Dazu geben sie strengste Dresscodes vor: eine bestimmte Dekade des vergangenen Jahrhunderts zum Beispiel, zum Glück bisher noch nie die 1930er und 40er. Oder "Hollywood". Oder "Flower Power". Beliebt ist auch "Oktoberfest". Das heißt, dass die Gäste entweder als Filmfigur oder als Hippie oder in Dirndl/Lederhose erscheinen müssen, wenn sie nicht aus der Reihe tanzen wollen. Dieser demütigende Mummenschanz heißt dann Mottoparty. Und wehe, du kommst nicht!

Offenbar verlernen die Menschen allmählich, ganz einfach zu feiern. Überfordert es sie, sich gemeinsam Nudelsalat einzuverleiben sowie Bier und Spirituosen dazuzuschütten, während Partykrachermusik aus einer BR-Edition läuft, wenn nicht gerade Freunde der Jubilare Einlagen darbringen und sich die Gespräche um Dinge drehen, die Leute erlebt haben oder nie erleben wollen? Nie wieder jedenfalls Mottopartys von Menschen, die 20, 30 oder älter werden. Natürlich stammt dieser Gesellschaftstick aus dem Angelsächsischen, die Briten finden das genauso lustig wie die kindischen Amis. Man braucht weder Brauchtumsbajuware noch Überzeugungsmünchner noch Kulturpessimist zu sein, um Angst zu bekommen vor so viel guter Laune. Dazu reicht eine Faschingsallergie im Anfangsstadium.

Was demütigend daran ist? Eine solche Frage können nur Gaudimolche stellen. Wer 43 Jahre alt ist und in einigermaßen soliden Verhältnissen lebt, für den ziemt es sich einfach nicht mehr, sich mitten im Mai als Action-Held oder als karibischer Freibeuter oder als Alt-Hippie Rainer Langhans zu verkleiden und sich der Gefahr auszusetzen, auf dem Weg zur Partyhöhle einem Azubi zu begegnen, einem Geschäftspartner oder der Polizei. Nicht einmal Rainer Langhans würde sich als Rainer Langhans verkleiden, wenn er zu einem Geburtstag eingeladen und nicht schon Rainer Langhans wäre. Wenn schon Motto, dann bitte möglichst neutral: "Berühmte Philosophen des 20. Jahrhunderts" zum Beispiel oder "Komm blau, geh blau". Ein Nachbar machte neulich beim Geburtstag seiner Tochter auf Volksfest, lief den ganzen Tag in Lederner herum und plünderte die Biervorräte der ganzen Straße. Mal sehen, welches Motto ihm an diesem Sonntag einfällt. Seine Tochter hat Erstkommunion.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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