Null acht neun:Abschied vom Seppodrom

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Alles hat seine Zeit, jetzt auch das Andechser am Dom. Schlimm, denn bald werden alle Barockengel aus dieser Stadt vertrieben worden sein

Kolumne von Christian Mayer

Am Donnerstagabend dieser Woche war die Welt wieder mal in Ordnung im Andechser am Dom. Es regnete in Strömen, es blies ein orkanartiger Wind, also gab es keine andere Rettung, als sofort das schönste Wirtshaus der Stadt anzusteuern. Aber was heißt schon schön: Im Sinne von ästhetisch gelungen ist dieses Lokal eher weniger schön, dafür herrscht hier eine barocke Lässigkeit, eine Genussfreude, die aus der Zeit gefallen ist.

Allein die Einrichtung. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man es sich noch erlauben, eine luftig bekleidete Jugendstilschönheit direkt in einen weiß-blauen Himmel zu drapieren. Nirgendwo sonst in der Münchner Gastronomie herrscht noch ein so ungehemmter Größenwahn: Auf jedem der tausend gerahmten Bilder hat der Wirt Sepp Krätz Anschluss gefunden an Gäste wie Angela Merkel, Horst Seehofer, Udo Jürgens oder Bill Clinton, und selbstverständlich gibt's den göttlichen Segen gratis dazu. Die katholische Kirche bietet alle Würdenträger auf, vom Abt über den Kardinal bis zum Papst.

Das kreuzbrave Andechser, das man eigentlich nur vollgestopft und fröhlich kennt, ist aber auch ein Wiesn-Ersatz. Der überdachte Außenbereich dient als Raucher- und Flirtarena, besonders beliebt bei frisch geschiedenen Abenteurern und Abenteurerinnen. An den Tischen trifft man bekannte Anwälte, die Trachtenjanker mit weinroten Hosen kombinieren, die für immer 39-jährigen Harlachingerinnen im dritten Frühling und die Clique alternder Gaudiburschen, die auf der Skipiste noch immer keinen Helm tragen.

Ja, es geht zur Sache, im Andechser am Dom, und wenn man dann nach dem Verzehr des Blutwurstgröstl, des Wagyu-Burgers oder Spanferkelhaxerl seinen Schnaps kriegt, wähnt man sich beinahe im Himmel, ein Himmel, in dem vieles erlaubt ist. Außer vielleicht Ingwer im Schweinsbraten, wie ein Sanguiniker am Nachbartisch am Donnerstagabend rief: "Das gibt's hier zum Glück noch nicht!"

Alles hat seine Zeit, auch das Seppodrom. Am 30. Juni ist nun Schluss mit lustig; man sieht die Stammgäste schon panisch an ihren Zigaretten und Biergläsern ziehen. Der Hauseigentümer wird das Andechser dem Erdboden gleichmachen und irgendein Profitmaximierungsprojekt aus dem Boden stampfen. Noch so ein Investorenkasten, in dem wieder ein veganes Café oder ein Yogastudio einziehen kann. Bis irgendwann der letzte Barockengel aus dieser Stadt verjagt ist.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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