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Dimitrina Lang (Mitte) und ihre Stellvertreterinnen Theodora Sismani (li.) und Nesrin Gül. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Migrationsbeirat setzt auf einen liberalen Kurs

Von Thomas Anlauf

Jubel brandet auf, die Erleichterung ist offenbar groß. Dimitrina Lang heißt die Frau, der die Begeisterung und der Applaus gelten. Die 40 gewählten Mitglieder des neuen Migrationsbeirats haben die 39-Jährige im großen Sitzungssaal des Münchner Rathauses zu ihrer Vorsitzenden bestimmt, die nun die kommenden sechs Jahre das Gremium auf Kurs bringen will. Die Spitzenkandidatin der Liberalen Liste hat am Freitag 21 Stimmen erhalten, Günül Kurt von der neuen Liste Atlas 13 und Levent Ekiz von den Neuen Europäern sechs Stimmen. Lang löst die bisherige Vorsitzende Nükhet Kivran ab, die nicht mehr antreten wollte.

Die Wahl des Münchner Migrationsbeirats stand zuletzt in der Kritik, weil es den Verdacht auf versuchte Wahlmanipulation von Seiten türkisch-nationalistischer Gruppierungen gab, bei der Wahl am 22. Januar stimmten zudem lediglich 13 324 Münchner mit Migrationshintergrund ab, das sind nur 3,62 Prozent der insgesamt 367 927 Wahlberechtigten des Beirats. Im neu gewählten Gremium, aber auch im Münchner Stadtrat gab es die Befürchtung, dass der Migrationsbeirat von Anhängern des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan dominiert werden könnte. Doch die Mehrheit des Gremiums setzt auf einen liberalen Kurs.

"Dieses erfreuliche Wahlergebnis schafft eine solide Grundlage für die künftige Zusammenarbeit mit dem Münchner Stadtrat", sagt Marian Offman, integrationspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion im Stadtrat. "Wir begrüßen es sehr, dass sich die demokratischen Kräfte im Migrationsbeirat durchgesetzt haben." Auch Grünen-Fraktionschefin Gülseren Demirel zeigt sich erleichtert: "Jetzt kann ich beruhigt ins Wochenende gehen." Ihr Parteifreund und Stadtratskollege Dominik Krause sagt, bei einem anderen Wahlausgang hätten die Grünen "keine Zusammenarbeit" mit dem Vorstand des Migrationsbeirats "gesucht". Die unterlegene Bewerberin Günül Kurt steht nach Krauses Aussage Erdoğans AKP nahe. Auch Ekiz, der andere Bewerber auf den Vorsitz, gilt als umstritten. Er hatte im Januar bei einer Pressekonferenz mehrerer liberaler Kandidaten im "Bellevue di Monaco" vehement Rederecht gefordert, obwohl er nicht eingeladen war. Als Linken-Stadtrat Cetin Oraner damals sagte, man solle Faschisten in dieser Runde kein Rederecht geben, erstattete Ekiz Anzeige.

Die neue Vorsitzende des Migrationsbeirats Dimitrina Lang gilt als Liberale. Sie stammt aus Bulgarien, kam vor 16 Jahren nach München und arbeitet seit acht Jahren im städtischen Jugendamt. Die verheiratete Mutter eines kleinen Kindes hat Erfahrung in dem Gremium. Sie ist schon sechs Jahre Migrationsbeirätin. Sie will sich einsetzen, "dass der Migrationsbeirat bekannter wird". Wichtig sei, "guten Kontakt zum Stadtrat zu halten".

Ihrer am Freitag gewählten Stellvertreterin Theodora Sismani ist eine neue Offenheit und gute Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums ebenfalls wichtig. Jeder gewählte Beirat, "egal welcher Nationalität, ist verpflichtet, sich für alle Migranten in München einzusetzen", sagt die 36-jährige Rechtsanwältin, die aus Griechenland stammt. Sie setzte sich als Spitzenkandidatin der Liste Euro.Pa (Europäische Panphilia) gegen Ender Beyhan-Bilgin, Olga Dub und Levent Ekiz klar durch. Sismani erhielt 22 Stimmen, Beyhan-Bilgin von Atlas 13 Stimmen. Als zweite Stellvertreterin wurde die 30-jährige Nesrin Gül gewählt, ihr einziger Gegenkandidat Mohammad Kahlawi unterlag nur knapp. Gül hat türkische Wurzeln, ist in München geboren und arbeitet bei der IG Metall als Projektleiterin. Sie war bei der Wahl Spitzenkandidatin der Gruppierung Aktiv.

Als ein "Gremium von hoher Bedeutung" bezeichnet Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) den Migrationsbeirat, die allerdings bedauert, dass die Wahlbeteiligung einen "historischen Tiefstand" erreicht habe. Der Beirat verfügt über ein eigenes Budget und kann Anträge an den Stadtrat stellen. Dennoch gibt es seit Jahren Diskussionen, ob der Migrationsbeirat überhaupt zeitgemäß ist - auch angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung. Insbesondere Münchner mit türkischen Wurzeln, die häufig seit Jahrzehnten in der Stadt leben, wünschen sich mehr politische Mitsprache. Während sich Münchner aus EU-Staaten an Kommunalwahlen beteiligen können, ist das Menschen anderer Nationalitäten verwehrt.

Der Migrationsbeirat, der für sechs Jahre gewählt ist, will möglichst zügig die Arbeit aufnehmen. Die neue Vorsitzende Dimitrina Lang muss das Gremium, in dem zuletzt viel Misstrauen geherrscht hat, wieder einen.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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