Neues Flugzeug:Leiser Riese

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Er verbraucht 25 Prozent weniger Kerosin und soll nur halb so laut sein wie vergleichbare Typen: Die Lufthansa will am Münchner Flughafen mindestens zehn neue Airbus "A350" stationieren. Ein Besuch im Fertigungswerk in Hamburg

Von Thomas Anlauf

Hinterm Deich beginnen die Kirschbäume zaghaft zu blühen, Apfelbäumchen stehen Reihe in Reihe bis zum Horizont. Direkt neben den Obstplantagen ragen ein paar unscheinbare Hallen in den grauen Himmel. "Das sieht hier nur aus wie Provinz", sagt Martin Hoell und streift seine dunkelblaue Kapitänsjacke über. Der Flottenchef von Lufthansa in München kennt sich hier oben im Alten Land gut aus, schließlich wird hier gewissermaßen an der Zukunft seines Unternehmens gebaut. In den riesigen Hallen entsteht gerade das neue Lufthansa-Flaggschiff für den Münchner Flughafen: der Airbus A 350 -900.

Er wird zwar nicht der größte Flieger der Flotte sein, das ist der Airbus A 380-800 mit seinen 509 Sitzplätzen. Aber trotzdem ist für Kapitän Hoell der neue Typ A 350 mit seinen 293 Plätzen ein Fortschritt für die zivile Luftfahrt. Denn das Flugzeug ist laut Lufthansa die weltweit modernste und umweltfreundlichste Langstreckenmaschine. Sie verbraucht 25 Prozent weniger Kerosin und soll einen bis zu 50 Prozent kleineren Lärmteppich erzeugen als vergleichbare Typen. Möglich wird die Energieersparnis durch das Material: Der Rumpf besteht zu mehr als der Hälfte aus leichten Verbundwerkstoffen auf Karbonbasis, auch die Flügel sind aus Karbonfasern.

Hoell steht in einer Airbus-Halle am Stadtrand von Stade und fotografiert das große Ding vor ihm. Vor ihm beginnt das gelbe Monstrum auf Rädern zu blinken. Zentimeter für Zentimeter rollt der knapp 38 Meter lange Stahlträger mit seiner Fracht in eine gigantische Röhre - eine Art Schnellkochtopf für Flugzeugflügel. Die Schwingen des A 350 werden darin bei 180 Grad Celsius und einem Druck von zehn Bar bis zu zwölf Stunden lang zusammengebacken. Eine Tragfläche ist mit 32 Metern Länge "das größte jemals aus Kohlefaserverbundwerkstoffen gefertigte Einzelbauteil in der zivilen Luftfahrt", schwärmt ein Experte von Airbus. Die Flügel seien nach dem Vorbild von Vögeln so konstruiert, dass ihre Form im Flug angepasst werden kann. Auch das soll den Treibstoffverbrauch weiter reduzieren.

Ein Übriges leisten die neuen Rolls-Royce-Triebwerke, die mit ihren drei Metern Durchmesser nicht nur besonders sparsam sein sollen, sondern nach Angaben des Unternehmens auch die niedrigsten Kohlendioxid-Emissionen unter allen Triebwerken für Großraumflugzeuge haben. Und der Flieger soll im Vergleich zu anderen Maschinen extrem leise sein. "Man hört ihn kaum", behauptet Florian Seidel, Sprecher von Airbus Deutschland. Im Werk am Standort Hamburg Finkenwerder erklärt er die komplizierte Produktionsstruktur des Flugzeugherstellers. Die Seitenleitwerke und Landeklappen werden in Stade gebaut, in der Deutschlandzentrale in Finkenwerder werden vordere und hintere Rumpfteile montiert und ausgerüstet, in Bremen wiederum die Flügel mit der Technik ausgestattet. "Jeder Standort hat seine Spezialisierungen", sagt Seidel. Zusammengefügt werden die Einzelteile des 310 Millionen US-Dollar teuren A 350 im südfranzösischen Toulouse.

Dort wird Hoell bis Ende des Jahres wohl viel Zeit verbringen. Der Kapitän aus Ingolstadt verfolgt nicht nur die Produktion des neuen Flugzeugs genau. Hoell ist auch verantwortlich für die Ausbildung der Münchner Piloten im A 350. Etwa zwei Wochen dauert es, bis ein Pilot im Umgang mit dem neuen Fluggerät geschult ist. Hoell kennt die Eigenschaften des neuen Airbus, der den A 340 ablösen soll, schon ziemlich genau. In Toulouse ist er schon damit geflogen. Seit Januar vergangenen Jahres sind bereits 20 der neuen Langstreckenflugzeuge weltweit im Flugdienst. Qatar Airways etwa fliegt damit täglich zwischen Doha und Frankfurt. Lufthansa hat insgesamt 25 Maschinen bestellt, zumindest die ersten zehn A 350 werden ihre Basis in München haben.

Hoell ist angetan von dem neuen Fluggerät, das für Lufthansa noch einmal den speziellen Wünschen des Unternehmens angepasst wird, zum Beispiel vom - wie er es nennt - "Cockpit-Layout". Auch für die Passagiere werde das Reisen deutlich angenehmer. Durch die breitere Kabine hätten Fluggäste mehr Platz, es werde kostenloses Wlan geben und ein neuartiges Lichtkonzept, das gegen Jetlag helfen soll. Und: Der Flieger sei auch in der Kabine ziemlich leise, sagt Hoell.

Für die Lufthansa ist der spritsparende Flieger ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Fluglinien, die München ansteuern. Denn durch die geringeren Flugkosten können die Münchner künftig auch Langstreckenziele anbieten, die bislang nicht so rentabel waren. Zunächst sollen die zehn in München stationierten A 350 trotzdem attraktive Ziele ansteuern. Der Jungfernflug, der für Mitte Januar geplant ist, geht voraussichtlich nach Boston oder nach Delhi.

Der erste Start des neuen Langstreckenfliegers bedeutet für Kapitän Hoell zugleich den Abschluss des Großprojekts - das wohl letzte seiner Karriere. Zuvor lässt sich der Pilot, der im Jahr 1980 bei Lufthansa angefangen hat, ein ganz persönliches Vergnügen nicht nehmen: Mitte November wird er in Toulouse eine fabrikneue Lufthansa-Maschine besteigen und sie ins Erdinger Moos fliegen, die künftige Heimat des A 350.

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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