Neues Angebot:Orientierungshilfe in der Fremde

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Gunhild Brössler, Projektkoordinatorin von "Komm rein", hat Mohammed Abou Alsel in den vergangenen zehn Tagen erste deutsche Wörter beigebracht. (Foto: Robert Haas)

Beim Deutschkurs "Komm rein" erhalten Flüchtlinge mehr als nur Sprachkenntnisse

Von Melanie Staudinger

Mohammed Abou Alsel hätte seinen großen Auftritt beinahe verpasst. Seit drei Wochen lebt der 20-jährige Asylbewerber aus Syrien auf dem Gelände der früheren McGraw-Kaserne - am Donnerstag sollte er in eine Flüchtlingsunterkunft in Marktoberdorf verlegt werden. Die Abfahrt war allerdings gleichzeitig terminiert mit der Pressekonferenz, als deren Hauptdarsteller Alsel vorgesehen war. Der junge Mann nimmt nämlich seit zehn Tagen an einem neuen Programm für Flüchtlinge teil. "Komm rein" heißt es. Und es soll den Bewohnern der Erstaufnahmeeinrichtung den Start in ein Leben in Deutschland erleichtern. Alsel beweist, dass das Projekt des Sozialreferats und der Münchner Volkshochschule funktioniert: Noch etwas unsicher, aber nahezu akzentfrei kann sich der 20-Jährige vorstellen, sagen, dass er in Syrien Medizin studiert hat und fragen, wie es dem Gegenüber geht.

Systematische Deutschkurse gab es bisher in München in Erstaufnahmeeinrichtungen nicht. Sie sind schwierig zu konzipieren, weil die meisten Menschen nicht lange dort wohnen. Manche Flüchtlinge bleiben nur ein paar Tage, bis sie in eine Gemeinschaftsunterkunft oder in eine dezentrale Einrichtung weitervermittelt werden. Andere wiederum leben dort bis zu drei Monate. Für sie alle eignen sich reguläre Kurse nicht. Die Volkshochschule hat nun ein Programm entwickelt, das in zweistündige, in sich abgeschlossene Module unterteilt ist. "Jeder kann daran teilnehmen, wann immer er will", sagt Susanne May, Programmdirektorin der Volkshochschule.

Etwa 300 Menschen leben auf dem Gelände der McGraw-Kaserne in der Dependance der Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Viele von ihnen stammen aus Kriegs- und Krisengebieten - aus Syrien, Somalia oder Äthiopien. Fast alle sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, manche kamen alleine, andere brachten ihren Partner und Kinder mit. Einige sind traumatisiert. "Um ihnen das Einleben zu erleichtern, bieten wir ihnen einen Deutschkurs verknüpft mit Alltags- und Orientierungswissen", sagt May. Die Teilnehmer lernen, wie sie ihren Mitmenschen hier begegnen können, dass sie hier einer Frau sehr wohl die Hand zur Begrüßung geben dürfen und wie sie einen Prospekt mit Supermarktangeboten richtig lesen. Sie erfahren, wie sie nach dem Weg fragen oder nach Hilfe, wenn sie ein Formular nicht verstehen. Samstags macht die Gruppe auch mal einen Ausflug in die Stadt.

Durch den Unterricht sollen die Flüchtlinge aber nicht nur Sicherheit im Alltag und Orientierung gewinnen, sondern auch von ihren oftmals traumatischen Fluchterlebnissen abgelenkt werden. Der Unterricht gibt ihnen zudem eine Tagesstruktur im sonst recht eintönigen Leben in der Erstaufnahmeeinrichtung. Zwei Lehrer mit der Qualifikation "Deutsch als Fremdsprache" hat die Volkshochschule für das Projekt gewonnen. Sie werden von Ehrenamtlichen unterstützt. Von den Projektkosten in Höhe von 50 000 Euro bezahlt 39 000 Euro die Stadt, den Rest trägt die Volkshochschule aus ihren Mitteln.

"Die Flüchtlingssituation wird sich in den kommenden Monaten und Jahren wohl nicht entspannen", sagt Münchens Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl beim Pressetermin. Zwischen 14 000 und 15 000 Flüchtlinge, so schätzt das Sozialreferat, werden alleine in diesem Jahr neu in der bayerischen Landeshauptstadt ankommen. Gut die Hälfte von ihnen würde an andere Standorte weiterverlegt, zwischen 40 und 50 Prozent blieben dauerhaft. "Wir müssen schauen, dass wir sie relativ schnell integrieren", erklärt Strobl. Dabei sei es wichtig, nicht nur Sprachkenntnisse, sondern auch kulturelle Aspekte zu vermitteln.

Dass gerade bei Sprachkursen für Flüchtlinge, deren Verfahren noch läuft, ein großer Nachholbedarf besteht, zeigt der Fall von Mohammed Abou Alsel. Bei seinem Bildungsstand und seiner Intelligenz, so sagt seine Deutschlehrerin Gunhild Brössler, die das Projekt "Komm rein!" koordiniert, könnte er mit einem Intensivkurs innerhalb von ein paar Wochen ein so gutes Niveau erreichen, dass er sein Medizinstudium an einer deutschen Universität fortsetzen könnte. Ob es für den 20-Jährigen allerdings im Ostallgäu überhaupt einen Sprachkurs gibt, weiß Alsel bisher nicht.

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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