Neue SZ-Serie: Macher der Nacht:Der Nacht-Club

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Nach Sonnenuntergang war München schon immer besonders, zuletzt hat sich einiges verändert. Heute hat eine kleine Gruppe von Bar-Betreibern das Sagen. Erkenntnisse auf dem Weg durch die Innenstadt

Von Philipp Crone

Freitagabend, 23.14 Uhr, Leopoldstraße, Blick auf das Siegestor. Stimmen schwirren, Schuhe klicken, Gläser klingen, Motoren grummen. Im Licht der Auslagen und Cafés, der Autoscheinwerfer und Straßenbeleuchtung stöckeln drei junge Frauen über den Bürgersteig und genießen die Blicke der Jungs an einem Tisch des Roxy. Ein Cabrio rollt so langsam vorbei, dass jeder das auf zwei Beinen stehende Pferd auf der Kühlerhaube erkennen kann. Alles bewegt sich, alle sind auf dem Weg, alle sind auf der Suche. Wonach? Nach Aufmerksamkeit, Ablenkung, Abenteuer. Nach etwas Besonderem, Außergewöhnlichem. Der Tag ist immer gleich, dann soll wenigstens die Nacht anders sein. Die Münchner Nacht, die schon immer etwas Besonderes war. Viel hat sich verändert, doch eines ist gleich geblieben: Die Macher der Nacht, das ist eine kleine Gruppe, die das Geschäft unter sich aufteilt. Wer quer durch die Stadt läuft an einem Freitag, der trifft sie, und sieht, was heute alles anders ist.

Das Roxy ist zumindest äußerlich kaum anders als früher. Aber: Es hat keinen Türsteher mehr, denn es ist nicht mehr angesagt. Kein In-Ort mehr. Und das ist schon die erste große Unterscheidung zu früher. Es gibt keine In-Viertel mehr, sagen viele Betreiber, nur noch In-Lokale. Warum? Robert Solansky, der mit seiner Firma Nachtagenten, einem Dienstleister für Veranstaltungshinweise, seit 30 Jahren die Szene beobachtet, sagt: "In den Achtzigerjahren war es Schwabing, in den Neunzigerjahren Haidhausen und in den Nullerjahren der Kunstpark, dann das Glockenbach. Doch jetzt gibt es ein viel größeres Angebot, man kann überall gut weggehen, auch in der Nachbarschaft, und sucht insgesamt eher nach der Art des Lokals."

Wenn der Monaco Franze in der Kultserie seinen Kollegen Manni fragt, wo es out ist, sagt der sofort: "Goetheplatz". Stimmt nicht mehr, da liegt etwa die Bar Gabanyi ums Eck, auf der Lindwurmstraße das Provisorium, und im Sommer pilgern die Nachtwanderer hier genauso herum wie im Glockenbachviertel.

Warum gibt es heute mehr Lokale? Zum einen liegt es daran, dass die Sperrzeit, diese seltsame Münchner Regelung, dass die meisten Lokale um ein Uhr schließen mussten, 1993 lockerer wurde. Deshalb hatten bald nicht nur Clubs länger geöffnet, sondern auch Bars. Und die leisteten sich nun einen DJ und wurden schnell zum Klein-Club. Eine der ersten Bars war damals das Zoozie'z am Baldeplatz. "Heute kann aber auch jeder kleine Laden viel einfacher auf sich aufmerksam machen", sagt Solansky. "Früher waren Flyer-Aktionen noch verhältnismäßig teuer und kaum zielgerichtet, mittlerweile sucht sich die Zielgruppe für einen Elektro-Club oder einen Hip-Hop-Laden selbst in den sozialen Medien ihre Weggeh-Orte."

Der Nachtweg führt zunächst von Schwabing über die Leopoldstraße am Geschwister-Scholl-Platz vorbei. Dort sitzen im Sommer die Menschen bis tief in die Nacht. Ebenso am Königsplatz, auf den Isar-Stufen und auf dem Gärtnerplatz. Auch das hat sich verändert. Man ist draußen, man ist unterwegs, man trinkt ein Wegbier. "Das war früher undenkbar", sagt Robinson Kuhlmann, Betreiber des Robinson am Gärtnerplatz, dem Ort mit der größten Wegbier-Dichte. "In den Neunzigerjahren war das verpönt und hätte wie ein Rumhängen gewirkt." In der Hinsicht hat die Globalisierung München zu einer südländischen Metropole gemacht. "Die Münchner nehmen sich ihre Plätze, das ist wie in Rom", sagt David Süß vom Electro-Club Harry Klein.

Kurz nach Mitternacht: Beim Odeonsplatz, vor dem Schumann's, stehen Menschentrauben, daneben im Filmcasino ebenfalls, und rechts runter beim Bob Beaman geht es auch langsam los. Das Schumann's. Eine der wenigen Konstanten im Münchner Nachtleben der vergangenen 30 Jahre, neben dem P1. Das jedoch hat es in den vergangenen Jahren nicht mehr geschafft, en vogue zu bleiben, im Gegensatz zum Schumann's. "Wo gehen die richtig spannenden Münchner noch hin? Nur ins Schumann's", sagt Andreas Haidinger von der 089-Bar. Dabei ist das Angebot immer größer geworden. Statt wie früher: Donnerstag ins P1?, heißt es heute eher: Start an der Isar, dann langsam gen Sonnenstraße. "Bar-Hopping ist ein beständiger Trend", sagt Kuhlmann. Und Haidinger erzählt, dass die Leute heute bis zu zehn Läden besuchen an einem Abend, Bars und Clubs. Mit dem Wegbier südländisch unterwegs, und mal hier rein und mal da, je nachdem, wer gerade auf Facebook geschrieben hat, wo er ist oder wo er hingeht.

Die digitale Welt, sie verändert nicht nur das Tagleben. Matthias Scheffel, beteiligt am Filmcasino und dem Optimol am Ostbahnhof, glaubt, dass sich "die Leute immer mehr virtuell bewegen und weniger wirklich unterwegs sind". Insgesamt sei die Anzahl der Münchner, die ausgehen, rückläufig. "Früher waren im Babylon an einem Samstag bis zu 5000 Besucher. Das gibt es heute nicht mehr." Liegt aber auch daran, dass die Gäste nicht mehr in riesige Läden gehen wollen. "Der Trend geht ganz eindeutig zu kleinen Konzepten", findet Niels Jäger vom Bob Beaman.

Andreas Haidinger sagt einen erstaunlichen Satz: "Der Faktor Single ist aus dem Nachtleben verschwunden." Das ist zwar nur eine subjektive Beobachtung, allerdings von jemandem, der das Nachtleben seit 30 Jahren beobachtet und dort arbeitet. "Menschen, die Single sind und suchen, gehen nicht mehr zum Feiern, um jemanden kennenzulernen", sagt der 45-Jährige. "Die machen das jetzt digital."

Dabei geht es doch in letzter Konsequenz immer darum: Kennenlernen. Nicht mehr? Solansky von den Nachtagenten sagt: "Es geht um Alkohol, Musik und Partnersuche." Nachts, wenn alle Mäuse grau sind? Nachts, wenn im flackernden Diskolicht alle Mäuse grell sind!

Haidinger vermisst die typischen Singles. "Solche, die drei Monate regelmäßig kommen, dann einen neuen Partner kennenlernen und wieder weg sind." Das ist das Nachtleben-Paradox. Filmemacher Simon Verhoeven formuliert es so: "Man geht nur deshalb weg, um irgendwann nicht mehr weggehen zu müssen." Wenn man jemanden kennengelernt und eine Familie gegründet hat, geht man nicht mehr weg. Aber stimmt das noch?

Nikias Hofmann vom Heart-Club sagt: "Wir haben das Gefühl, dass die aktuelle Ü-30-Generation viel mehr weggehen will als noch die davor. Aber sie hat kaum Angebote."

Eine Studie zum Nachtleben zeigt, wo in München viele ausgehen (hellblau), und wo es zu Konflikten wegen Lärmbelästigung kommt (Explosionen). Illustration: HCU Hamburg/stadtnachacht (Foto: N/A)

Am Maximiliansplatz ist gegen ein Uhr Schlangenzeit. Vor dem Pacha, der 089-Bar, aber auch die Fantom-Bar ist voller Gäste. Gecko, Call me Drella, Rote Sonne - verschiedene Musikrichtungen für verschiedene Altersgruppen am Maximiliansplatz und in der Sonnenstraße. Alles gleichzeitig und nah. So ist das heute. Und früher? War es genauso, außer, dass es "nur einen Bruchteil des Angebotes gab", sagt Franz Rauch vom P1.

"Früher war das Angebot nach Tagen aufgeteilt, heute nach Orten", sagt Michi Kern, der an Dutzenden Projekten wie dem Pacha beteiligt ist. "Damals gab es fünf Orte, zu denen man gegangen ist, aber es gab jeden Tag andere Musik. Zum Beispiel im Tanzlokal Größenwahn, einen Tag Schieber, dann Rock, Schlager, Rave." Heute gibt es für jede Musikrichtung mehrere Clubs zur Auswahl. Früher, das waren nicht nur wechselnde In-Viertel, das war auch die Zeit, als sich einige der heutigen Nachtmacher kennenlernten. Scheffel arbeitete für Wolfgang Nöth, den Pionier des Münchner Nachtlebens der Achtzigerjahre. Nöth bespielte zunächst den alten Flughafen in Riem, wo die Sperrzeit-Regelung schon nicht mehr wirklich galt, später den Kunstpark. Und dort fingen viele an. Jakob und Florian Faltenbacher klebten erst Plakate für Nöth, dann machten sie die Milchbar auf. David Süß vom Harry Klein startete mit Michi Kern den Techno-Laden Ultraschall - der eine blieb dabei, Kern ging gen Gastro, wo er mit Sandra Forster (Charlie, Kismet) neue Projekte entwickelte.

Andreas Haidinger startete erste Afterwork-Feiern, später übernahm er mit Scheffel das Filmcasino. Andere begannen zur Studienfinanzierung als Türsteher, wie Jürgen Mair (Paradiso) im Roxy, oder Niels Jäger (Bob Beaman, James T Hunt), der Barmann im Buffet Kull war, der ersten Station des heute mit zehn Lokalen in der Innenstadt vertretenen Rudi Kull. Jäger bewachte auch eine Zeitlang im P1 die Tür. Ebenso wie Klaus Gunschmann, der sich später mit der Bar Lehel und der Bar Fox in der Türkenstraße versuchte. Andere wie Nikias Hofmann vom Heart oder Scheffel begannen als DJ, ehe sie in der Münchner Nachtszene die Chance bekamen, ein eigenes Projekt umzusetzen.

Vom Maximiliansplatz ziehen die Leute weiter über die Sonnenstraße zum Glockenbachviertel. Hier kann die Nacht enden, vielleicht im Pimpernel, dem früheren Schwulen-Treff. Oder doch draußen, an der Isar. Auch das ist heute anders: Die reinen Schwulen-Clubs gibt es kaum noch, alles mischt sich. Ob im Bau an der Müllerstraße oder im Nil.

Sven Künast betreibt das Pimpernel, seit zehn Jahren. Er beobachtet seitdem, wie der Wegfall der Sperrzeit im Jahr 2004 die Innenstadt verändert hat. "Morgens um fünf Uhr ist die Müllerstraße Ballermann pur" - und damit bei aller Attraktivität auch ein Problem für die Stadt. Doch auch hier zahlt es sich aus, dass die Macher der Nacht vernetzt sind. Sie kennen sich und suchen zusammen das Gespräch mit der Stadt.

Die kleine Gruppe, die in München die Nacht bewacht, engagiert sich gegen Kriminalität, gegen die Erhöhung von Gema-Gebühren und den Vorwurf der Diskriminierung. Das eint. Sie haben gelernt: Je mehr gute Angebote es gibt, desto mehr Menschen kommen, um in München die Nacht zu genießen.

Einige der prägenden Figuren in Münchens Nachtleben stellt die Süddeutsche Zeitung in loser Folge in der Serie "Macher der Nacht" vor.

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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