Neue Stadtviertel:Oben wohnen, unten arbeiten

Lesezeit: 3 min

Bis 2030 wird es 284 000 Erwerbstätige mehr geben. Gewerbe und Menschen müssen zusammenrücken

Von Katja Riedel

Die Stadt München soll künftig anders wachsen, mit gemischteren neuen Stadtvierteln. Noch stärker als bisher sollen gemeinsame Zentren zum Wohnen und Arbeiten entstehen, wie derzeit etwa im Werksviertel am Ostbahnhof. Entstehen sollen diese Viertel auf den verbleibenden Flächen innerhalb der Stadt, dort also, wo das Rathaus selbst Baurecht schafft, aber auch jenseits der Stadtgrenzen. München schielt dabei unverhohlen auf verkehrsgünstige freie Flächen im Umland, etwa an bisher unbesiedelten Punkten entlang der S-Bahn-Äste, wo sich Gewerbe und Menschen gemeinsam ansiedeln könnten. Diese Pläne haben der Zweite Bürgermeister und Wirtschaftsreferent Josef Schmid (CSU) und Stadtbaurätin Elisabeth Merk am Freitag bei der Präsentation der Erwerbstätigenprognose 2030 gemeinsam unterstrichen.

Es solle künftig keine Konkurrenz mehr geben zwischen Flächen für die Wirtschaft und solchen für den Wohnungsbau - und auch nicht mehr zwischen Stadt und Region. Diskussionen über eine Umwandlung von Gewerbe- in Wohnflächen waren im Münchner Rathaus in früheren Zeiten durchaus an der Tagesordnung. "Wir haben keinen Büroleerstand mehr", sagte Schmid. Seit 2008 sind 1,6 Millionen Quadratmeter Gewerbefläche in Wohnraum umgewandelt worden, daraus sind 16 000 Wohnungen entstanden. Künftig sollen Wohnen und Gewerbe gleich stark zum Zug kommen, und sei es in gemeinsamen Gebäuden: mit Wohnungen auf den Dächern von Fachmärkten etwa.

Grund für diese demonstrative Einigkeit von Stadtbaurätin und Wirtschaftsreferent ist die Notwendigkeit: München braucht Platz fürs Wohnen und Arbeiten - weil beides einander bedinge, betonten Merk und Schmid. Diese Not zeigt auch eine neue Studie, die Erwerbstätigenprognose. Sie erfasst, wie viele Menschen im Jahr 2030 voraussichtlich in München und dem Umland als Arbeitskräfte gebraucht werden: als Angestellte, Beamte oder Selbständige. Demnach werden in 14 Jahren etwa 284 000 zusätzliche Menschen in München arbeiten - die Bevölkerung einer ganzen Großstadt. Sie brauchen sowohl ein Büro als auch eine Wohnung. Mehr als zwei Millionen Erwerbstätige wird es dann den Berechnungen zufolge in der Landeshauptstadt geben. Am stärksten werden Facharbeiter fehlen, hierfür brauche es dringend Zuzügler, sagte Schmid. Für Ungelernte wird es künftig noch schwerer als bisher, in München einen Job zu finden - und sich die Stadt leisten zu können. Aber nicht nur sie haben es in München nicht leicht.

Die Prognose gibt auch einen Ausblick, wie die Münchner künftig arbeiten werden, welche Branchen boomen und welche weiterhin schrumpfen werden. Demnach wird München immer mehr zur Denkerstadt, zur Stadt der Forschung und Entwicklung. Doch es sind vor allem Akademiker und Fachkräfte aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, die es am Technologiestandort München leicht haben. "Wer etwas anderes studiert hat, wird sich auch überlegen müssen, ob er eine Anstellung annimmt, für die er eigentlich überqualifiziert ist", sagte Schmid. Schwer haben es auch Mitarbeiter, die in reinen Produktionsberufen arbeiten: Um weitere zehn Prozent, so die Schätzung, sollen die Jobs im verarbeitenden Gewerbe zurückgehen, hier werden sich vor allem höher Qualifizierte halten können. Dafür soll der Dienstleistungssektor weiter zulegen, um ganze 19 Prozent bis 2030. In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder Betriebe, die früher hauptsächlich produziert haben, stärker den Dienstleistungen zugewandt.

Ob es in München künftig genügend Fachkräfte gibt, hängt auch mit Faktoren zusammen, die bereits einkalkuliert sind. Dazu gehört, dass Menschen früher arbeiten und bis in höhere Lebensalter, dass Babypausen kürzer werden und Frauen generell weniger Teilzeit und mehr Vollzeit arbeiten. Hierzu, so Elisabeth Merk, müsse die Stadt ihren Beitrag leisten und bei der Planung der neuen Wohn- und Arbeitsviertel auch Kinderbetreuung, Schulen und weitere soziale Infrastruktur mit größerer Priorität behandeln.

Merk mahnte an, dass die Stadtplanung überhaupt größer denken müsse, in weiteren Zusammenhängen - so, wie es derzeit im Norden passiere. Dort wird BMW in einem über Jahrzehnte angelegten Wandlungsprozess sein Firmengelände für eine nahezu verdoppelte Belegschaft neu planen. Wohnungen werden auf diesem Areal nicht entstehen. Dafür sollen die Mitarbeiter in der Nähe Wohnmöglichkeiten finden, auf dem Gelände der ehemaligen Bayernkaserne etwa, in der derzeit - wohl noch bis Ende des Jahres - Flüchtlinge leben. Die starke Betonung des Wohnens auf dem ehemaligen Kasernenareal soll so das Gegengewicht zum Arbeiten im benachbarten Industriezentrum bilden - wie auf einer Waage.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: