Neue Serie: Mensch und Tier:"Miezekatzen!"

Lesezeit: 4 min

Um mit Raubtieren umgehen zu können, muss man selbstbewusst und einfühlsam zugleich sein, sagt Tierpflegerin Annette Zimolong. Sie trainiert in Hellabrunn täglich Löwen und Tiger, prüft die Zäune und erklärt, warum zwei Schlösser ihre Lebensversicherung sind

Von Philipp Crone

Die beiden Schlösser an Annette Zimolongs Gürtel sind ihre Lebensversicherung. Wenn die 25-jährige Tierpflegerin das Tiger-Gehege betritt oder das des Schneeleoparden, schließt sie immer mit ihrem eigenen Schloss ab, damit kein Kollege aus Versehen das Raubtier freilassen kann, während sie noch im Gehege ist. Die Schlösser baumeln an ihrer kurzen hellbraunen Hose, in der rechten Hand trägt sie eine Schüssel mit Eintagesküken, in der Lippe ein Piercing. Metallverschlüsse gehören offenbar zu Zimolong wie ihr grellviolettes Haar. Sie macht am Vormittag eine kleine Fütterungsrunde, erst einmal zu den Tigern.

"Miezekatzen!", ruft sie aus 20 Metern Entfernung, dabei ist sie längst entdeckt worden. Die zierliche Frau öffnet ein Gartentor am Rand der Besucherwege bei den Raubtieren, geht über einen Grünstreifen und wird dabei schon beobachtet von Jegor, dem Sibirischen Tiger. Er prustet, als Zimolong am Zaun ist, es klingt fast wie das Schnauben eines Pferdes, nur ein wenig tiefer. "Das ist in seiner Sprache eine freundliche Begrüßung", sagt die 25-Jährige und lächelt, dass sich die dunkelblaue Brille ein wenig hochschiebt im Gesicht. "Die Tiere erkennen mich schon von Weitem, an meinem Gang und auch an meinem Geruch." Wenn Zimolong ihr Parfum wechselt oder die Haare frisch gefärbt hat, "dann kann es schon sein, dass Jegor das nicht so toll findet". Wieder schiebt sich die Brille leicht nach oben.

Jegor ist das Männchen, Ahimsa das etwas kleinere Weibchen. Beide laufen vor dem Zaun auf und ab. Genauer: Sie tigern auf und ab. Bis Zimolong den Eimer mit Küken abstellt, eines der toten Tiere mit einer Pinzette durch den Zaun steckt, dass Jegor sich auf die Hintertatzen stellt, an den Zaun lehnt und das Geschenk mit den Zähnen annimmt. Der Dialog dazu klingt so: "Jiaaaa", sagt Zimolong, Jegor grollt, "was beschwerst du dich denn?", wieder ein Grollen, "Ahimsa! Willst du auch was?"

Zimolong ist gleich nach ihrer dreijährigen Lehrzeit vor zwei Jahren zu den Raubtieren gekommen. Die Ausbilder merken eben, wer zu welchen Tieren passt. Die junge Frau mit dem selbstbewussten Auftreten und dem gleichzeitig fast liebevollen Umgang mit den Raubtieren passte zu Jegor und Co. "Die großen Katzen sind auch nicht anders als kleine in der Hinsicht, dass sie einen beim ersten Treffen gleich mögen oder nicht." Sie mochten die 25-Jährige, die ihnen gerade die Küken reinreicht. "Die Tiere sind an jedem Menschen zunächst einmal interessiert, weil sie neugierig sind. Aber wenn sie einen nicht mögen, ziehen sie zum Beispiel die Lefzen leicht hoch oder schauen fast demonstrativ weg."

Wenn Zimolong jemandem erzählt, dass sie Raubtierpflegerin ist, "dann sind die Leute immer ganz begeistert. Und meine Eltern sind auch ganz stolz darauf." Zimolong lacht.

Jegor grollt tief, legt sich ein Küken auf die rechte Vordertatze und hebt sie an sein Maul. Nach zwei Minuten interessieren sich die Katzen nicht mehr für das Futter. "Irgendwann sind Küken für sie langweilig." Zimolong nimmt den Eimer weg und schneidet mit der flachen Hand einmal wagerecht durch die Luft. "Die Tiere kennen das Zeichen, das bedeutet, dass es jetzt nichts mehr gibt."

Zimolong trainiert einmal am Tag mit den Tieren, hinter dem Zaun. "Das macht es viel leichter, sie zu untersuchen." Wenn Jegor auf Kommando mit der linken oder rechten Seite am Zaun entlang läuft oder auf zwei Pfoten steht und sich an den Zaun lehnt, "können wir ihn gut untersuchen, ob er eine Wunde hat, die man dann mit Desinfektionsspray einsprühen kann". Das Ziel des Trainings sei es, möglichst viele Untersuchungen am Tier machen zu können, ohne es betäuben zu müssen. "In den USA ist es zum Beispiel schon längst üblich, die Blutabnahme über den Schwanz zu machen." Dafür müsse das Tier dann trainiert sein, auch ruhig zu bleiben. Etwa so ruhig wie der Schneeleopard, bevor Zimolong mit ihrem Schlüsselbund am Schloss der Verschläge mit den Fressboxen nestelt. Dann kommt das Tier an die Box. Zimolong betritt einen Vorraum, schließt die Tür hinter sich, sieht durch ein Fenster in die Box, öffnet die innere Tür der Fressbox, legt Fleisch hinein, schließt die Tür. Dann nimmt sie eines ihrer Schlösser vom Gürtel und öffnet über einen Seilzug die äußere Klappe der Fressbox, wartet, bis der Leopard hineingelaufen ist zum Fressen, schließt die äußere Klappe zwischen Box und Gehege wieder und hängt ihr Schloss davor. "Jetzt kann ich in das Gehege und falls mich jemand nicht sieht, kann er auch von außen den Leoparden nicht wieder ins Gehege lassen, weil nur ich den Schlüssel für die Klappe habe."

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(Foto: Robert Haas)

Immer durch einen Zaun getrennt: Jegor und seine Pflegerin bei der Küken-Übergabe.

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(Foto: Robert Haas)

Ein Futtereimer voller toter Küken.

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(Foto: Robert Haas)

Annette Zimolong beim täglichen Raubtier-Gespräch, bei dem sie den Besuchern vieles erklärt.

Jeden Tag geht sie die Gehege ab und prüft, ob der elektrische Zaun noch funktioniert, ob der Zaun noch heil ist, ob vielleicht ein Baum schief steht, sodass ein Tier ausbrechen könnte, "und wir räumen den Müll auf, den manche reinwerfen".

Zimolong nimmt die Stimme hoch, wenn sie mit den Katzen kommuniziert. "Ich verstehe ihre und sie meine Sprache", sagt sie. "Jegor redet auch gerne, der macht dann ganz verschiedene Laute." Mittags um zwölf Uhr steht sie dann auf einem kniehohen Stein am Besucherweg vor dem Tigergehege und spricht in ein Mikrofon zu 40 Besuchern. "Das Männchen ist größer und hat größere Pausbacken", sagt sie und erklärt, warum es den Tigern im Winter nicht zu kalt ist, wenn sie in der für sie gebauten Höhle übernachten. Schließlich werde es in Sibirien bis zu minus 45 Grad kalt und die Tiere würde sich eine bis zu fünf Zentimeter dicke Fettschicht anfressen und ein Winterfell anlegen.

Später sieht sie noch bei den Luchsen rein. Dort gehen die Pfleger ins Gehege, "das wird von Zoo zu Zoo unterschiedlich gehandhabt", sagt Zimolong. "Das Wichtigste beim Umgang mit den Tieren ist, dass man auf der einen Seite Respekt vor den Tieren hat, aber auf keinen Fall Angst. Denn das merken die sofort."

"Katzen sind schwierig", sagt Annette Zimolong fröhlich und mit einem leicht raubtierhaft spöttischen Blick, als sie nach der Fütterung zurückläuft, "und das ist ja auch gerade das Schöne."

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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