Neonazis in München:Die Polizei ist ihr neues Feindbild

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Rechtsradikale in München haben wenig Zulauf, doch sie überspielen ihre Schwäche mit Dreistigkeit und fordern den "Bullenstaat" bewusst heraus.

Bernd Kastner

Wo sind sie nur hin, all die Käfer? Verschwunden sind sie, vor Jahren schon, aus der Zoologischen Staatssammlung in München. Das Schicksal der Insekten dürfte mit ihrem Namen zu tun haben: Anophtalmus hitleri, zu Deutsch: Hitlerkäfer. Zu verdanken haben die bedauernswerten Tiere ihren Namen einem Professor, einem begeisterten Nazi, der in den dreißiger Jahren in einem slowenischen Höhlensystem eine Käferart entdeckte und ihr den Namen seines Idols gab.

Auf dem Marienplatz treffen sie immer wieder aufeinander, wie zum 60. Jahrestag des Kriegsendes: Hier das Häufchen Neonazis, dort die große Mehrheit der Münchner, dazwischen die Polizei. (Foto: Foto: Haas)

Die Käfer sind braun und augenlos. Unbeantwortet ist bis heute die Frage, ob die Münchner Hitlerkäfer ein paar fanatischen Sammlern zum Opfer gefallen sind, immerhin bringt so ein Insekt angeblich um die 1000 Euro auf einschlägigen Börsen. Oder ob sie von Neonazis gestohlen wurden, weil so ein Hitlerkäfer was hermacht in der Szene.

Der Run auf die blinden Höhlentiere ist allenfalls eine kuriose Randerscheinung in einer braunen Szene, die in München nur dann ins öffentliche Bewusstsein gerät, wenn Spektakuläres geschieht: Wenn, wie 2001, ein Grieche von Neonazis lebensgefährlich verprügelt wird; wenn die Pläne für einen Bombenanschlag auf die Baustelle der Synagoge auffliegen, 2003 war das; oder wenn, wie im vergangenen Dezember, der Passauer Polizeichef von einem Messerstecher verletzt wird und anfangs eine Spur an die Isar zu führen scheint.

Nach solchen Ereignissen redet alle Welt über die rechte Gefahr, Politiker und Ermittler überbieten sich mit Warnungen, und man fragt sich, ob München schon unterwandert ist von Anhängern einer menschenverachtenden Ideologie.

Ist es nicht. Und dennoch: Es geschieht eine ganze Menge, auch in München, was im Alltag kaum auffällt und sich in kleinen Zeitungsmeldungen versteckt. Die Neonazis agieren zunehmend provokant und dreist: Sie randalieren beim Israel-Fest auf dem Odeonsplatz oder treffen sich auf dem Westfriedhof am Grab von SA-Chef Ernst Röhm. Die Bürgerinitiative Ausländerstopp wählt das Oktoberfest als Ort ihrer Gründung, ihr Stadtrat deutet bei der Vereidigung den Hitlergruß an. Und die NPD will die Synagoge mit Schuhen bewerfen.

München gehört zu den wichtigsten Aktionsfeldern der Neonazis in Bayern, heißt es beim Verfassungsschutz, was aber allein schon wegen der Größe der Stadt und der dort zu gewinnenden Aufmerksamkeit kein Wunder sei. "Stadt der Bewegung ist München aber nicht", sagt Michael Feiler, Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz, ihre Anhängerschaft im Großraum sei seit Jahren konstant bei rund 150 mehr oder weniger organisierten Personen.

Auch die Polizei will keinen Alarmismus schüren, denn die Zahl rechtsextremer Delikte sei "relativ unauffällig", sagt Konrad Gigler, Chef der Münchner Kriminalpolizei.

Die Statistik aber verrät nicht alles. "Ich sehe die Gesamtsituation mit Sorge", sagt Gigler. Es seien gerade die jungen Leute, die den braunen Rattenfängern hinterherliefen, junge Leute, denen eine Perspektive im Leben fehle. Und es sei zu befürchten, dass angesichts der Wirtschaftskrise die Zahl derer zunehme, die sich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt sehen und nach rechts abdriften.

Erst in der vergangenen Woche hat der Kriminologe Christian Pfeiffer eine alarmierende, bundesweite Studie vorgelegt:

Überschaubar und heterogen

5,2 Prozent der 15-Jährigen sollen rechtsextrem eingestellt sein, 3,8 Prozent gar einer entsprechenden Gruppierung angehören. In München ist dies nicht zu beobachten, noch nicht zumindest. Die rechte Szene an der Isar ist ebenso überschaubar wie heterogen. Grob lässt sie sich in drei Bereiche unterteilen:

Das politisch organisierte Spektrum mit der NPD als Mittelpunkt; die lose zusammengehaltenen neonazistischen "freien Kameradschaften"; und jene nicht organisierten Personen, die nur dann auffallen, wenn sie zuschlagen oder "Heil Hitler" brüllen. "Die Szenen verschwimmen", sagen die Verfassungsschützer.

In der politischen Sphäre ist bundesweit die NPD der Kristallisationspunkt, in München aber spielt die Partei kaum eine Rolle, zumindest nicht offen. Dafür ein Verein, der sich "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA) nennt und 2008 Karl Richter in den Stadtrat gebracht hat, bis dato Berater der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag. 1,4 Prozent erhielt die Gruppierung bei der letzten Kommunalwahl, der Verfassungsschutz hält die BIA für eine Tarnliste der NPD.

Richter, 46, wird in der rechten Szene gerne vorgezeigt: Weil er ein Mandat errungen hat, weil er studiert hat. Der BIA gelang es, eine andere rechtsextreme Vereinigung zu überflügeln, der vor der Kommunalwahl größere Chancen auf einen Sitz im Rat eingeräumt wurden: "Pro München". Sie aber ging leer aus, und mittlerweile ist es still geworden um sie. Keine Rolle spielt in München auch die DVU, obwohl ihr langjähriger Vorsitzender, der schwerreiche Verleger Gerhard Frey, in Pasing sitzt.

Die NPD, die in München unter ihrem Namen kaum in Erscheinung tritt, vollzog laut Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren einen Strategiewechsel, der sich auch an der Isar bemerkbar macht. Man öffnete sich gegenüber den sogenannten freien Kameradschaften: Das sind lose Zusammenschlüsse von Neonazis, meist jung und im Vergleich zu traditionellen NPD-Mitgliedern aktivistisch orientiert.

Derzeit zeichne sich ein innerparteilicher Konflikt ab zwischen jenen Alt-NPDlern, die mit den Stimmengewinnen im vergangenen Jahr zufrieden sind, und den jungen "Kameraden", die mehr wollen: mehr Prozente, mehr Aufsehen auf der Straße.

In München traten in den vergangenen Jahren in der neonazistischen Kameradschaftsszene mehrere Gruppen in Erscheinung. Am bekanntesten aus diesem Spektrum wurde jene um Martin Wiese, die den Anschlag auf die Synagogen-Baustelle plante, das "Aktionsbündnis Süd". Nach deren Zerschlagung und Wieses Verurteilung übernahm Norman Bordin die Führung der Nachfolgeorganisation "Kameradschaft München".

Lesen Sie weiter, warum die Neonazis aus heiterem Himmel "Sieg Heil" brüllen und wie sie organisiert sind.

Im Sommer 2005 spalteten sich davon die Autonomen Nationalisten um Hayo Klettenhofer ab, denen der bisherige Kurs zu wenig gewaltorientiert war. Äußerliches Markenzeichen der etwa ein Dutzend Mitglieder starken Gruppe sind nicht etwa Springerstiefel und Glatzen, dieses Outfit ist out. Stattdessen lehnen sich die braunen Kameraden äußerlich an die linke Szene an: Das beginnt beim Namen und geht bis zur schwarzen Kleidung, einschließlich des Palästinensertuches.

Und der Militanz: Mit dem Hang zur Randale versucht man, junge Leute zu ködern. Meist bleibt es bei verbaler Kraftmeierei. Mitte 2007 lösten sich die Autonomen Nationalisten laut Verfassungsschutz auf, Klettenhofer habe sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Es kam zur Neugründung der Freien Nationalisten mit dem 21-jährigen Philipp Hasselbach und Mike Nwaiser als führende Köpfe.

Die Hasselbach-Truppe gilt als die zur Zeit aktivste Neonazigruppe in München. Die Münchner Kameraden pflegen auch enge Kontakte zu ihren Gesinnungsgenossen im Oberland, ja, in ganz Bayern: Man verabredet sich zum Demo-Ausflug nach Passau und trifft sich zur Weihnachtsfeier in Murnau. Antisemitismus ist Teil ihrer Strategie, was sich im Pseudonym einer ihrer Mitglieder ausdrückt: Er schreibt in Anlehnung an die islamistischen Israel-Hasser der Hamas als "H. Amas" über die Aktivitäten der Freien Nationalisten.

Der Verfassungsschutz nennt die Hasselbach-Gruppe "latent gewaltbereit": Noch habe man keine von der Gruppe organisierte Gewalt registriert, "das kann sich allerdings ändern": Es gebe eine "prinzipielle Sympathie" zur Gewalt.

"Wir nehmen das ernst"

Bei rechtsextremen Straftätern ist die Grenze zwischen organisierten Neonazis und unorganisierten Einzeltätern fließend. Während dem Verfassungsschutz nach eigenen Angaben gut zwei Drittel der rechten Gewalttäter einschlägig bekannt sind, werden die meisten der sogenannten Propagandadelikte von Personen verübt, die bislang unauffällig waren: die scheinbar aus heiterem Himmel "Sieg Heil" brüllen, meist im Suff.

Thomas Steinkraus-Koch, als Staatsanwalt spezialisiert auf die rechte Szene, sitzt diesen Leuten immer wieder im Gerichtssaal gegenüber. "Solche Taten stehen oft völlig isoliert da", sagt er.

Die rechten Straftaten liegen in München seit Jahren auf einem konstanten Niveau. Die Zahlen, sagt Kripo-Chef Gigler, ließen keinen außergewöhnlichen Trend erkennen. Seit langem registriere man rund 200 bis 350 Straftaten pro Jahr, wobei die Mehrzahl Propagandadelikte seien. Die Zahl der Gewaltdelikte liege meist unter 20 pro Jahr. "Wir nehmen das ernst", sagt Gigler, aber verglichen mit allen in München verübten Gewaltdelikten von bis zu 4000 pro Jahr sei die Zahl der Taten von Rechtsextremisten verschwindend gering.

Unter der Oberfläche rechter Straftaten tut sich aber durchaus etwas. Sie werden provokanter und selbstbewusster, die organisierten Rechten, und sie machen sich auch juristisch kundig. "Sie wissen genau", sagt Gigler, "wie weit sie gehen dürfen." Da lädt die HasselbachTruppe schon mal zu einer "Rechtsschulung", und online geben die Freien Nationalisten ihren Anhängern detaillierte Ratschläge, was sie tun und lassen sollen, wenn sie von der Polizei mitgenommen werden.

Generell bekämpfen die Rechtsextremen nicht nur ihre politischen Gegner, sondern zunehmend auch den Staat und seine Repräsentanten. "Die Polizei ist ihr Feindbild geworden", sagt Gigler. Rufe wie "Deutschland Bullenstaat" gehören dazu, aber auch das Wissen, wie sie die Polizei in die Bredouille bringen können: Mit ihren Aufmärschen provozierten sie den Protest der Linken, die Polizei aber müsse die Rechten schützen. Das macht kaum ein Polizist gerne, und mancher Bürger kann diesen Job nicht nachvollziehen.

Wie dreist selbst die als eher bieder geltende NPD bisweilen agiert, zeigte jüngst die Anmeldung für eine Demonstration: Vom Marienplatz wollten NPD-Leute um den oberbayerischen Bezirksvorsitzenden Roland Wuttke zur nahen Synagoge marschieren und diese symbolisch mit Schuhen bewerfen. Die Stadt untersagte dies, und die Neonazis hielten sich daran, aber ein Ziel hatten sie erreicht: Provokation.

Nach jeder dieser "Mahnwachen" oder Mini-Demos feiern sich die Neonazis selbst, am liebsten im Internet. "Sie stellen sich immer als extrem erfolgreich dar", sagt Robert Andreasch vom Antifaschistischen Informationsarchiv Aida: "Sie meinen gesellschaftlichen Rückenwind zu spüren."

Den aber gibt es nicht wirklich, daran ändern auch nichts die Versammlungen der Neonazis auf dem Marienplatz. Immerhin bringen diese Aktionen mit sich, dass den Münchnern deutlich vor Augen geführt wird, welchen braunen Bodensatz es in ihrer Stadt gibt.

Mitunter aber muss man auch genau hinschauen, um rechte Aktivitäten zu erkennen. Am Königsplatz steht eine Tafel, die an die Vergangenheit des Areals erinnert. Den prächtigen Platz nutzte die NSDAP für groß inszenierte Aufmärsche, dort befand sich auch ihre Parteizentrale. Im erklärenden Text der Tafel finden sich Formulierungen, die auf das verbrecherische System der Nazis hinweisen: "Menschenverachtende Vorgaben", "Bücherverbrennung" oder "pseudoreligiöse Überhöhung". Jemand hat diese Worte herausgekratzt.

© SZ vom 27.03.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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