Nachts im Tunnel:Munich Underground

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Zwei Nächte lang feiern Tausende im neuen Luise-Kiesselbach-Tunnel Party. Erst wird fotografiert, dann getanzt

Von Martin Bernstein

Unterirdisch ist die Stimmung nur im Netz: "Ich hab so viel Geld im Stau verbrannt. Da trink ich daheim einen drauf. Irgendwann muss man sparen", grantelt ein Münchner auf der Facebook-Seite über das "Unwiederbringliche Tunnelfest". Ein Anwohner ärgert sich: "Bedauerlich und nahezu eine Frechheit ist die Tatsache, dass in einem Objekt im öffentlichen Raum, finanziert durch Steuergelder, eine Party gefeiert wird und den Anwohnern ( . . . ) weder ein Freikarten- noch ein preislich ermäßigtes Kartenkontingent zur Verfügung gestellt wurde. Na, Hauptsache den Dreck und Lärm durfte man ertragen - beschämend das Ganze."

28 Euro für je eine der beiden Tunnelnächte am Freitag und Samstag sind ein stolzer Preis. Und wenn schon, dann müssten sie das Geld bekommen, sagen manche Anwohner des Luise-Kiesselbach-Platzes - als Entschädigung für jahrelangen Dreck und Lärm und Stau während des Tunnelbaus. Das Partyvolk ficht das nicht an. Die zwei unwiederbringlichen Feste im Untergrund sind mit jeweils rund 4000 Besuchern ausverkauft, vermeldet Veranstalter Alexander Wolfrum, Geschäftsführer der Eventagentur Gral ("Gründliche Realisierung allgemeiner Lebensfreude"). Die allgemeine Lebensfreude am Ort des siebenjährigen Staufrusts sieht so aus: Zwei Dancefloors und Clublounges sind in einem 380 Meter langen Abschnitt des nagelneuen Heckenstaller-Tunnels eingerichtet worden, etliche Bars und eine Tram, an der Crêpes verkauft werden. München is going underground. Freilich nur, was die Location angeht. Die Musik? Überwiegend Dancefloor-Mainstream. Das Publikum? Kein Underground jedenfalls. Bei der Stadt wird man es gern sehen - schließlich sollen durch den Tunnel samt seiner sensiblen Technik nur acht Tage nach den beiden tollen Tagen die ersten Autos rollen.

DJ Thimo Hamer von Radio Charivari und DJ Enrico Ostendorf legen auf. Und 150 Meter weiter ein "Hiphop-Battle" zwischen Amnesie und dem Angst & Schrecken Soundsystem. Angst und Schrecken verbreitet hier nichts, der Tunnel ist sauber geputzt und hübsch ausstaffiert und beleuchtet. Anfangs wird mehr fotografiert als getanzt. Es gibt eine Raucher-Lounge und weiße Sitzpolster und Promotion aller Art. Ein Autohaus präsentiert Nutzfahrzeuge. Nein, Underground ist das alles natürlich nicht. Aber es wird spät in dieser Nacht in Münchens neuem Untergrund. Und lustig. Und wer Beine hat zu tanzen, tanzt. Dort, wo bald täglich 100 000 Autos durch den Tunnel rollen werden.

"Immer nur alle am meckern", kommentiert via Facebook ein Besucher die Kritik am Fest. Ein anderer behauptet, seine Karte für "kranke 100 Euro" weiterverkauft zu haben. Zu später Stunde wäre ihm das nicht mehr gelungen: Der Veranstalter reduziert die Eintrittspreise am frühen Sonntagmorgen zunächst auf zehn, dann auf fünf Euro. In dieser zweiten Nacht legen DJ Karsten Kiessling von Radio Gong, Philipp Riedl sowie David Keno und Mario Aureo aus Berlin auf, die Musik ist in dieser Nacht elektronischer. Bei denen, die dort unten feiern, kommt das gut an.

Friedlich verlaufen beide Partynächte im Untergrund, sagt die Polizei. Beschwerden über Lärm aus dem Untergrund gab es nicht, auch nicht bei Veranstalter Wolfrum. Der Anmarsch der Besucher klappt reibungslos, verteilt sich ja auch auf mehrere Stunden. "Es war eine tolle Veranstaltung, die allerdings großes Verbesserungspotenzial hat", schreibt ein Besucher. "Ob es nun megacool ist, muss jeder für sich selbst rausfinden." Immerhin, benannt ist der Tunnel nach Urban Heckenstaller, einem der Aufständischen von 1705, echter Underground damals - wenn das nicht megacool ist. Alles schön und gut, meint ein Anwohner: "Jetzt wenn ihr bitte noch die Risse an meinem Haus bezahlt . . ."

Am Donnerstag, 23. Juli, findet um 19 Uhr der Tunnel-Lauf über sechs Kilometer mit anschließender Party statt. Am Samstag, 25. Juli, gibt es von 10.30 bis 21 Uhr ein Bürgerfest, von 13.45 Uhr an kann man in den Tunnel.

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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