Nachruf:Erhalten und verändern

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Otto Meitinger leitete als 26-Jähriger den Wiederaufbau der Residenz, stand später der Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft vor und wurde Präsident der TU. Er war Neuem gegenüber aufgeschlossen, mahnte aber immer, den Charakter Münchens zu wahren. Nun ist der Architekt, der das Stadtbild prägte, mit 90 Jahren gestorben

Von Alfred Dürr

Dass ihn als junger Baurat im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Münchner Residenz einmal ein solcher Schreck ereilen würde, und dass er dann sogar entscheidend in den Lauf der Weltgeschichte eingriff, hätte sich Otto Meitinger nicht vorstellen können. Er erzählte gern die Anekdote vom Besuch des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle in München im Jahr 1962. Während seines Aufenthalts sollte dieser auch mit großem Pomp in die Residenz einziehen. Lange Fahnentücher wurden am späten Vorabend an den Fassaden aufgehängt: in den Bundesfarben, im bayerischen weiß-blau und vor allem auch in den französischen Trikoloren.

Meitinger kam in dieser Nacht noch einmal in sein Büro in der Residenz. Als das Telefon läutete, wollte er zunächst gar nicht den Hörer abnehmen. Aber der Anrufer blieb beharrlich. Meitinger meldete sich dann doch. Zum Glück: Ein freundlicher Herr teilte mit, es gehe ihn zwar nichts an, aber bei dem Fassadenschmuck handele es sich nicht um französische, sondern um holländische Fahnen. Über Nacht wurde die richtige Beflaggung genäht und kurz vor dem Eintreffen de Gaulles aufgezogen.

Nicht auszudenken, erinnerte sich Otto Meitinger, was passiert wäre, wenn der bekanntermaßen ganz besonders nationalstolze Charles de Gaulle an der Münchner Residenz falsche Fahnen gesehen hätte. Ein Affront, vielleicht eine überstürzte Abreise, sicherlich eine getrübte Aussicht auf die deutsch-französische Aussöhnung.

Nicht nur die große Politik nahm ein gutes Ende, auch für das Lokale bedeutete der Besuch de Gaulles, aber auch andere Termine, wie zum Beispiel die 800-Jahr-Feier der Stadt, wichtige Impulse: Der Wiederaufbau nach dem Krieg beschleunigte sich. Der gebürtige Münchner Otto Meitinger hatte gerade seine Regierungsbaumeister-Prüfung bestanden, als dem 26-Jährigen die Leitung für den Wiederaufbau der Residenz übertragen wurde. Die Verantwortlichen seien in dieser Zeit größter Not davon ausgegangen, dass in der weitgehend zerstörten Residenz in den nächsten Jahrzehnten bestimmt keine nennenswerten Bauarbeiten stattfinden würden, sagte Otto Meitinger. Das war eine Fehleinschätzung.

Otto Meitinger in der wiederaufgebauten Residenz. (Foto: Catherina Hess)

Kaum war Meitinger im Amt, ging es mit den Aufbau des mächtigen Komplexes rasant voran. Innerhalb eines Jahrzehnts, von 1953 bis 1963, entstanden so bedeutsame Bereiche der Residenz, wie Antiquarium, Hofkapelle, Reiche Zimmer, Ahnengalerie und Cuvilliéstheater nach historischem Vorbild wieder neu. Der sensible Umgang mit einem so herausragenden Denkmal wie der Residenz hat Meitinger viel Anerkennung gebracht. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass seine Arbeit richtungsweisend für den Wiederaufbau vieler kriegszerstörter Baudenkmäler in Europa war.

Dass Otto Meitinger schon so früh mit der städtebaulichen Entwicklung seiner Heimatstadt in Berührung kam, hat einen familiären Hintergrund. Architektur und Bauen lagen in den Genen. Sein Vater Karl Meitinger prägte als Stadtbaurat nach Kriegsende maßgeblich das Bild Münchens. Dessen Grundaussage lautete, dass man in der Stadtplanung alles unternehmen müsse, damit München seinen typischen Charakter behält. Historische Monumentalbauten wie die Residenz entstanden wieder aus dem Trümmerschutt, die von der Geschichte geprägten Wegeführungen und Häuserstrukturen wurden erhalten. Auch als kritischer Architekt könne man zufrieden damit sein, wie sich München entwickelt habe, bemerkte Otto Meitinger einmal. Dem Neuen, wie etwa der Einkaufspassage Fünf Höfe oder der BMW Welt, stand Meitinger aufgeschlossen gegenüber. Aber er mahnte auch, im Zuge der Globalisierung, die zur Vereinheitlichung neigt, den Münchner Charakter zu bewahren: Nur dann würden sich die Menschen auch mit ihrer Stadt identifizieren.

Die außergewöhnlichen Leistungen des Münchner Ehrenbürgers, des Architekturprofessors, des Denkmalpflegers Otto Meitinger lassen sich an seinen verschiedenen beruflichen Tätigkeiten aufzeigen. Von 1963 bis 1976 leitete er die Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft. Auch hierzu eine Anekdote: Die ehrenvolle Aufgabe, zum Start in den neuen Beruf an das Dienstgebäude des Max-Planck-Präsidenten Adolf Butenandt ein kleines Schwimmbad anzubauen, ging gründlich schief. Das Becken war nicht nur undicht, als das Wasser erwartungsvoll eingelassen wurde, sprudelte es geradezu wieder aus den Betonwänden. Man nahm das Meitinger nicht weiter übel. In seiner Verantwortung entstanden schließlich 50 große Institutsneubauten, darunter diejenige für Biochemie in Martinsried und für Astrophysik in Garching.

Otto Meitinger schaffte mit dem Wiederaufbau der Residenz etwas, was viele für unmöglich hielten.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Auch dafür wurde er zum Ehrenbürger (oben, zweiter von rechts)

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(Foto: imago/Westend61)

Ihn interessierte, wie Altes und Neues zusammenpassen in München.

An den Ausgangspunkt seiner akademischen Laufbahn kehrte Otto Meitinger 1976 zurück. Nach dem Abitur hatte er an der Technischen Universität München Architektur studiert. Später war er Assistent am Lehrstuhl für Entwerfen und Denkmalpflege. Er übernahm diesen Lehrstuhl, wurde 1983 Dekan der Architektur-Fakultät und von 1987 bis zu seiner Emeritierung 1995 schließlich Präsident der Technischen Universität. Auch hier erwarb er sich enorme Anerkennung. Als kennzeichnend für seine Amtszeit gilt die große Zahl von Neuberufungen als Folge eines weitreichenden Generationenwechsels im Professorenkollegium und das mit großen Baumaßnahmen verbundene Vergrößerungskonzept der Hochschule - zum Beispiel der Ausbau des Campus in Garching.

Als bayerischer Grandseigneur ist Meitinger gern bezeichnet worden, konservativ und weltoffen, nicht ganz uneitel, auch mit Sinn für Ironie und mit Sinn für die richtigen Proportionen. Viele hochgradige Auszeichnungen sind ihm in den verschiedenen Phasen seines Lebens verliehen worden. Und seine eigenen Architekturarbeiten wie die Neugestaltungen der Villa Hammerschmidt in Bonn oder des Schlosses Bellevue in Berlin setzten Maßstäbe in der Denkmalpflege.

Meitinger, der sich so stark für seine Heimatstadt München engagiert hat, empfand es dann als etwas ganz Besonderes, dass ihm 2005 die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde. Mein ganzer Lebenskreis ist hier, sagte er damals, Jugendfreundschaften hätten sich lange gehalten. Und auch das sollte nicht unerwähnt bleiben: Mit seiner Frau, die auch Münchnerin war, war er mehr als fünfzig Jahre verheiratet. Otto Meitinger ist am Samstag im Alter von 90 Jahren gestorben.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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