Nachkriegszeit:Dageblieben

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LMU-Studenten haben untersucht, warum sich viele Juden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in München niederließen

1945, nach Kriegsende, verschlägt es Tausende Juden nach München. Von hier aus wollen sie emigrieren - in die USA oder nach Israel. Sie überlebten Konzentrationslager, flüchteten aus Osteuropa, erfuhren unermessliches Leid. Trotzdem machte sich eine kleine Minderheit, etwa 3000 Menschen, nie auf den Weg in eine neue Heimat. Sie blieben in München. Warum? Das war eine der zentralen Fragen, die sich Geschichtsstudenten der LMU stellten. Sie interviewten zehn Männer und Frauen, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in München aufwuchsen und immer noch hier leben. Die Gespräche wurden gefilmt, aus den prägnantesten Ausschnitten, persönlichen Gegenständen und Fotos entstand eine Ausstellung, die noch bis zum 31. Juli im Jüdischen Museum zu sehen ist. "Oft gab es keine richtige Antwort", sagt Michael Brenner, der den Lehrstuhl für Jüdische Geschichte leitet und das Projekt gemeinsam mit Andreas Heusler vom Stadtarchiv München betreute. "Viele waren physisch oder psychisch nicht in der Lage." Eine Wahl hatten die Kinder damals nicht - es waren ihre Eltern, die sich für ein Leben in München entschieden. Die Kinder spürten, sagt Brenner, dass Vorurteile von früher immer noch bestanden. "Aber es kippte auch in das andere Extrem. Die Leute wussten: Antisemitismus ist tabu. Und waren dann zu den jüdischen Kindern extra nett." Manche Eltern entschieden sich zwar selbst für ein Leben in München, wollten aber nicht, dass ihre Kinder im "Land der Täter" aufwuchsen. Sie schickten sie auf Internate im Ausland. "Die Schicksale", sagt Brenner, "waren ganz unterschiedlich." Die meisten aber hätten im Laufe der Zeit ein Heimatgefühl entwickelt, nicht unbedingt zu Deutschland, aber zu Bayern und München.

In keiner anderen deutschen Stadt lebten nach dem Krieg so viele Juden aus Osteuropa wie in München. Etwa 10 000 hielten sich zumindest kurzfristig hier auf. Der Grund: In den westalliierten Besatzungszonen wurden viele sogenannte Displaced-Persons-Lager eingerichtet - etwa für befreite KZ-Häftlinge. Jüdische DPs konnten von dort ihre Emigration nach Israel oder Nordamerika vorbereiten. Und Überlebende aus Osteuropa kamen nach Bayern, weil es von den Amerikanern besetzt war. Sie hofften, von dort aus leichter auswandern zu können. München sei deshalb speziell und nicht vergleichbar mit Berlin oder Düsseldorf, wo nach 1945 mehr deutsche Juden lebten.

© SZ vom 07.06.2017 / chrh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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