Nachkriegszeit:"Bei den Kindern anfangen"

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Erich Kästner liest in der Internationalen Jugendbibliothek, die heute 600 000 Bücher in 130 Sprachen besitzt. (Foto: Alfred Strobel/SZ-Photo)

Jella Lepman gründete 1949 die Internationale Jugendbibliothek - mit Kästners Hilfe

Von Andrea Schlaier, München

"Liebe Kinder, ich habe Euch heute in aller Form und Feierlichkeit mitzuteilen, worüber Ihr staunen werdet: . . . Ihr seid Hausbesitzer geworden!" So klang die stolze Grußbotschaft Erich Kästners bei der Eröffnung der Internationalen Jugendbibliothek in der Münchner Kaulbachstraße 11 a am 14. September 1949. Der prominente Gratulant engagierte sich aus tiefer Überzeugung für das Projekt seiner Freundin Jella Lepman. Ihre Wege hatten sich in der Redaktion der Neuen Zeitung gekreuzt. Die Jüdin Lepman kam gerade aus der Emigration in London zurück, im amerikanischen Auftrag, um kulturelle Aufbauarbeit für Frauen und Kinder zu leisten. Es ging um demokratische Umerziehung. Die Rückkehrerin war erschüttert nach der Reise durch das zerstörte Land. "Lassen Sie uns bei den Kindern anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam wieder ins Lot zu bringen." Die Kinder würden den Erwachsenen den Weg zeigen, schreibt sie in ihren Erinnerungen "Die Kinderbuchbrücke". Kästner soll tief beeindruckt gewesen sein.

Fortan stützte der prominente Autor die Kollegin, berichtete über ihre "Internationale Jugendbuchausstellung" im heutigen Haus der Kunst, wo sich bereits am 3. Juli 1946 die Türen öffneten mit mehr als 4000 Büchern aus 20 Ländern. Kästner begrüßte illustre Gäste wie "die Herren Däumling und Rattenfänger aus Norddeutschland, . . Mister Robin Hood . . . und Neger Onkel Tom . . . ". Es war die erste internationale Veranstaltung im Nachkriegsdeutschland, ein Riesenerfolg. Dieser Bücherschatz bildete den Grundstock für die künftige Internationale Jugendbibliothek (IJB). Bis das dafür notwendige Geld beisammen war, traten die Mächtigen in ihren Nachkriegsverhandlungen auf der Stelle. Lepman war voller Verdruss:. "Warum waren die Menschen noch immer nicht fähig, ihre Staatsgeschäfte mit Vernunft zu führen?" Vielleicht könnten Tiere das besser. Sie ging mit der Idee zu Kästner. Fortan, so Lepman, "konnte man abends einen schlanken, nicht zu großen, mit lässiger Eleganz gekleideten Herrn, einen Kater auf der Schulter, quer durch Schwabing . . . wandern sehen." Die Story im Kopf, die dem Pazifismus verpflichtet war und ein Welterfolg wurde: "Die Konferenz der Tiere".

Kästner gehört zu den Gründungsmitgliedern der IJB, inzwischen die größte Sammlung internationaler Kinder- und Jugendbuchliteratur mit 600 000 Büchern in 130 Sprachen und Sitz in der Blutenburg. Im Torturm ist ein Erich-Kästner-Zimmer eingerichtet mit 500 internationalen Erstausgaben in 60 Sprachen. Die Erich-Kästner-Gesellschaft hat hier ihren Sitz, um sein Werk zu pflegen im Sinne der aufgeklärten, sozialkritischen Jugend. Am 30. Oktober verleiht sie den Erich-Kästner-Preis für Literatur an die Kinderbuchautorin Felicitas Hoppe.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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