Nach Münchner Fund präkolumbischer Kunst:Jäger der verlorenen Schätze

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Archäologen schimpfen sie Diebe, sie selbst nennen sich Sammler: Der costa-ricanische Kunsthändler Leonardo Patterson und das Millionengeschäft mit Raubkunst aus Lateinamerika.

Sebastian Schoepp, Javier Cáceres und Susi Wimmer

Walter Alva ist einer der wichtigsten Archäologen Lateinamerikas. In Peru hat er die prachtvollen Königsgräber von Sipan freigelegt, nach Meinung der Fachwelt eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Doch wann immer Alva die Schaufel in den Wüstenboden an der Pazifikküste rammt, muss er feststellen, dass andere ihm zuvorgekommen sind. Fast alle archäologischen Fundstätten in Peru seien geplündert, die wertvollen Grabbeigaben in den Tresoren privater Sammler verschwunden, klagt er.

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:Münchens Maya-Schatz

Spektakulärer Fund in einer Lagerhalle: Die bayerische Polizei hat in München eine millionenschwere Kunstsammlung aus Mittelamerika sichergestellt. Wem der Schatz gehört, muss erst noch geklärt werden.

Umso erstaunter war Alva, als er 2004 den Katalog der "Sammlung Patterson" in die Hand bekam, einer Ausstellung präkolumbischer Kunst aus ganz Lateinamerika, die im fernen Santiago de Compostela in Spanien stattgefunden hatte. Selten zuvor war Raubkunst so sauber beschrieben der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Alva setzte sich hin, schrieb eine Liste mit Gegenständen zusammen, die er klar Peru zuordnen konnte, und erstattete bei Interpol in Lima Anzeige gegen den Mann, der im Katalog als Besitzer der Sammlung bezeichnet wird: Leonardo Augustus Patterson, wohnhaft in München. Das Strafgericht 33 in Lima klagte Patterson an: Er habe dem kulturellen Erbe Perus schweren Schaden zugefügt.

Bibel statt Böses

Die Staatsanwaltschaft in München hält eine Sammlung, die in großen Teilen mit der von Santiago identisch ist, seit Ende April unter Verschluss. Ein halbes Dutzend lateinamerikanischer Länder erhebt Anspruch darauf (SZ berichtete). Als Eigner der Sammlung nannte die Polizei Leonhardo Patterson. Eine Versicherungspolice, die Patterson abgeschlossen hat, gibt als deren Wert 60 Millionen Euro an. Doch er behauptet nun, die allermeisten Stücke gehörten gar nicht ihm, sondern einer Gruppe von Sammlern. Er habe nur eine Art "Verwaltungsmandat". Zu einem Treffen ist er nur unter der Bedingung bereit, dass nicht über den Schatz gesprochen wird.

So sitzt Patterson nun also in einem leicht abgeschabten blauen Anzug im Büro seines Münchner Anwalts in Obersendling und erklärt mit breitem, liebenswürdigem Lächeln, er sei ein spiritueller Mensch, der die Bibel lese und nichts Böses getan habe. Er sei kein Grabräuber, er fühle sich verfolgt, von der Presse in Lateinamerika, von selbsternannten zwielichtigen Detektiven und von Feinden, von denen noch die Rede sein wird. Patterson gestikuliert lebhaft, und aus dem ergrauten Vollbart blitzen zwei makellos weiße Zahnreihen: "Das einzige" sagt er, "was ich je aus einem Grab geholt habe, war der Geist der Vorväter."

Schmuggel mit Schildkröteneiern

Interpol spürt ihm jedoch seit Jahren nach, belangt wurde er bisher nur einmal: 1986 in Texas wegen des Schmuggels von Schildkröteneiern. "Er ist ein mächtiger Mann", sagt der peruanische Archäologe Walter Alva. Es gibt verwackelte Bilder eines Teams des französischen Senders Canal+ von Patterson, das ihn in einem Pariser Luxushotel aufspürte. Ein Foto zeigt ihn hoch zu Ross beim Polospielen in England.

Auch nahe München habe er schon mal eine Meisterschaft gewonnen, erzählt er. Er hat seit den siebziger Jahren ein Appartement im Arabellahaus, der Unternehmer Schörghuber habe ihn eingeladen. Patterson schätzt dort die Sauna, die Läden - und die Diskretion. Er nutzt die Wohnung selten, lebt meist in Paris, Genf und in Costa Rica. Präsident Oscar Arias zählt er zu seinen Freunden. In der Aktentasche hat er ein Bild mitgebracht, das ihn bei einer Audienz mit Papst Johannes Paul II. zeigt. Auch den Maler Salvador Dalí habe er gekannt, oft sei er in seinem Haus in Cadaqués gewesen. Der Handel mit moderner Kunst sei sein Metier, präkolumbische Kunst eher eine Neigung.

Patterson stammt aus Cahuita an der Atlantikküste Costa Ricas, einer tropisch heißen Gegend voller Bananenplantagen und Sümpfe, in der viele schwarze Einwanderer aus der Karibik leben. Sein Großvater kam als Verwalter aus Jamaika, deshalb spricht Patterson lieber Jamaican English als Spanisch, es klingt ein bisschen wie bei Bob Marley. Die Familie baute Bananen und Kakao an. Beim Buddeln stieß Leonardo dort als Kind manchmal auf indianische Kunst. "Das war das einzige, was ich je ausgegraben habe", beteuert Patterson.

1100 Stücke aus 3000 Jahren präkolumbischer Geschichte

Später im Gespräch lässt er jedoch fallen, dass er auch Huaqueros kenne, Grabräuber. Das sind meist arme Bauern, die man für ein paar Colones oder Pesos anheuert, um Gräber auszuräumen. Archäologische Stätten in Mexiko erinnerten nach deren Buddelei an die von Kratern übersäten Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, schrieb die New York Times 1995 über Patterson und andere Sammler. Die Gewinne auf dem privaten Kunstmarkt waren lange gewaltig. Die Zollkontrollen waren bis vor wenigen Jahren lax. "Erst allmählich beginnt ein Bewusstsein zu reifen, was diese Stücke für unsere Kultur bedeuten", sagt Martín Rodríguez, ein guatemaltekischer Journalist, der Patterson nachspürt.

Patterson durchstreifte als junger Mann die Urwälder von Costa Rica, Nicaragua, Belize und Guatemala. Sein Stiefvater war ein Indio vom Stamme der Bribri, erzählt er, dieser lehrte ihn den Zugang zur Welt der Schamanen. Später ging er nach Miami, wo er als Juwelier arbeitete. 1995 war er sogar mal Diplomat bei der costaricanischen UN-Mission in New York. In dieser Zeit berichtete die New York Times, Patterson habe dem Auktionshaus Sotheby's ein dubioses Stück angeboten. Kurz danach war er den UN-Posten los. "Ich habe ihn selbst niedergelegt", sagt er.

1997 sollte ein wichtiges Jahr werden. Mehr als 1100 Stücke aus 3000 Jahren präkolumbischer Geschichte trug er von Sammlern zusammen. Die Ausstellung wurde im spanischen Santiago de Compostela gezeigt. Sie sollte die erste und einzige weltweit werden, wird Patterson im Katalog zitiert. Den Kontakt hergestellt hatte der Nuntius des Vatikans, Mario Tagliaferri, den Patterson von einem früheren Auftrag kannte. Auf TV-Aufnahmen von der Eröffnung sieht man den galizischen Ministerpräsidenten Manuel Fraga, die Friedensnobelpreisträger Rigoberta Menchú aus Guatemala und Oscar Arias. Im Hintergrund der bayerische Sammler Anton R. im Trachtenjanker. Ihm gehört ein wichtiger Teil der Kollektion.

Streit um Echtheit

Die Madrider Zeitung El País berichtete kurz darauf, die Kollektion sei für 18 Millionen Euro der Region Galizien zum Kauf angeboten worden. Doch plötzlich entbrannte unter Sachverständigen ein Streit über Echtheit und Herkunft. Die Landesregierung lehnte dankend ab. Patterson verließ Spanien. Die Sammlung hatte er zuvor bei dem Umzugsunternehmer Angel Boquete in Santiago eingelagert. Dort blieb sie zehn Jahre. Alljährlich reiste ein Vertreter der Versicherung an, um die Raumtemperatur zu prüfen.

Sie wäre wohl immer noch dort, hätte der peruanische Archäologe Walter Alva 2004 nicht Anzeige erstattet. Der Interpol-Beamte aus Lima, der nun zu ermitteln begann, reiste nach Spanien, um einen Vortrag über Raubkunst zu halten. Zwei galizische Polizisten seien danach auf ihn zugekommen, berichtet der Peruaner, der ungenannt bleiben will, solange das Verfahren läuft. Man nahm sich das Lagerhaus in Galizien vor.

Interpol Spanien fotografierte die Sammlung und erstellte eine CD mit 1700 Fotos, die man an lateinamerikanische Länder weiterreichte - mit der Bitte, sich zu melden, solten sich Besitzansprüche ergeben. Nur Peru nutzte die Rechtshilfe. Costa Rica meldete sich wegen 457 Stücken auf diplomatischem Wege. Andere Länder versuchten es über die Kulturministerien. Spediteur Boquete erhielt von der Justiz Fotos, anhand derer er die peruanischen Objekte aussortierte. Sie kamen ins Museo de América in Madrid.

Über Nacht verschwunden

Im April 2008 meldeten spanische Zeitungen, der Rest der Sammlung sei über Nacht verschwunden. Patterson hatte sie ausgelöst, Schulden für zehn Jahre Lagerung - angeblich 360.000 Euro - wurden überwiesen. "Dass sie in Deutschland aufgetaucht ist, habe ich aus der Zeitung erfahren", sagt Boquete. Warum sie nicht unter richterliche Aufsicht gestellt wurde, darüber wird nun in Spanien heftig gestritten. Die Ausfuhr von Kunstgegenständen, die länger als zehn Jahre im Land sind, gilt dort als Schmuggel.

In München erreichte die Polizei ein Rechtshilfeersuchen aus Costa Rica. Seitdem versucht sie zu klären, was wem zusteht. Was schwierig ist. Zwar gibt es einen - der SZ vorliegenden - Kaufvertrag, dem zufolge der bayerische Sammler Anton R. einen Teil der in Santiago verwahrten Stücke an Patterson veräußerte. Doch das sei nicht von Belang, sagt Pattersons Anwalt Jan Andrejtschitsch. Der Kauf sei nie vollzogen worden.

Kenner der Szene überrascht das nicht. Es sei es üblich, Eigentumsverhältnisse zu verschleiern, sagt der niederländische Kunstdetektiv Arthur Brand. Brand arbeitet für Michel van Rijn, der die Behörden auf Pattersons Spuren brachte. Van Rijn handelte früher selber mit Raubkunst, doch dann wurde der in London lebende Niederländer Informant für Scotland Yard. Die BBC bezeichnete van Rijn mal als den "Indiana Jones von Chelsea".

2006 gab van Rijn der Polizei den Tipp, im Büro von Pattersons Anwalts in London sei eine wertvolle Maske der präinkaischen Moche-Kultur aus Peru zu finden. Die Beamten stellten sie sicher, später wurde sie Peru zurückgegeben. Seitdem sind er und der in Kunstkreisen als dubios geltende van Rijn Erzfeinde. Patterson fühlt sich von van Rijn verfolgt und erpresst. "Der Mann will mich vernichten. Er will mich aufessen, als wäre ich ein Stück Kuchen."

Seen und Schweinebraten

Deutschland habe ihm immer gefallen, schwärmt Patterson, er liebe die Münchner Seen, den Schweinebraten. Doch jetzt fühle er sich "wie in einem Dschungel", der anders sei als der von Costa Rica. Das geht Polizei und Justiz ähnlich. Die Behörden seien für diese Aufgabe schlecht ausgestattet, sagt Stefan Simon, Leiter des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen in Berlin, eines der weltweit wichtigsten Labors zur Echtheitsprüfung von Kunst.

In den Quellenländern, so Simon, sei die illegale Ausfuhr eindeutig verboten, und niemand könne behaupten, er wisse das nicht. In vielen "Marktländern" sei es weniger eindeutig. In Deutschland fehlten, anders als in den USA, Vereinbarungen mit den Quellenländern. Trotzdem habe das LKA mit der Beschlagnahme der Sammlung Patterson "phantastisch gehandelt", sagt Simon. Jahrelang hätten Händler nahezu unbehelligt agiert, manche Sammler auch "im guten Glauben". Manche versuchten nun, da die Verfolgung zunehme, ihre Stücke durch Stiftungen oder Schenkungen zu "waschen". Etwas ähnliches habe Patterson wohl auch in Santiago im Sinn gehabt.

"Die ethischen Ansichten haben sich verändert", sagt Simon. Manche Händler säßen nun auf einem "Berg verbrannter Hehlerware", den sie nicht mehr loswürden. Auch in großen Museen seien inzwischen "heiße Diskussionen in Gang", wie mit Stücken unklarer Herkunft zu verfahren sei. Die Zeit dieser Art des Handels sei vorbei - eine These, die nicht mal Patterson abstreitet.

Ein Unrechtsbewusstsein fehlt Sammler Anton R.

Sammler Anton R. glaubt nicht, dass die Länder ein Recht auf Rückgabe haben. Dem 70-Jährigen gehören an die hundert Stücke in der sichergestellten Kollektion, manche zusammen mit Patterson, wie er sagt. Weitere hat er in einem Privatmuseum im Alpenvorland stehen, "nicht irgendwelche Haferl als Grabbeilagen, sondern Sachen, die künstlerisch was darstellen und die echt sind", betont Anton R.

Sie sind fein säuberlich in Vitrinen ausgestellt, auf Anfrage kann man sie besichtigen. R. lebte in den sechziger Jahren in Peru, wo er auf präkolumbische Kunst aufmerksam wurde. Unrechtsbewusstsein hat er keines. Als Sammler fühle er sich nicht verpflichtet, "über den Erwerb Buch zu führen". Alle Stücke, die jetzt sichergestellt wurden, habe er in Europa legal erworben. Bei der Ausstellung in Santiago habe sich kein Mensch um die Herkunft geschert.

Für Archäologen ist die Sache jedoch eindeutig: Sammler und Händler wie R. und Patterson ermutigen Grabräuber zu ihren Taten, sagt der peruanische Archäologe Walter Alva. Die Stücke würden aus dem Zusammenhang ihres Fundortes gerissen und damit ihres historischen und kulturellen Werts beraubt. "Sie verstümmeln unsere Kulturen."

© SZ vom 17.05.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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