Nach Anschlägen in Paris:Die neue Angst der Münchner Juden

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Spiegelung von Menschen vor der Außenmauer der jüdischen Synagoge in München. Der Bau am St.-Jakobs-Platz ist gut, aber dezent geschützt. (Foto: lok)
  • Als "Kindermörder" beschimpft, das Auto zerkratzt: Jüdische Münchner sehen sich wegen ihres Glaubens nun wieder Anfeindungen ausgesetzt. Dabei hatten sie sich hier bis vor zwei, drei Jahren relativ sicher gefühlt.
  • In den vergangenen Jahren hätten aber in Deutschland antisemitische Übergriffe zugenommen, klagt Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
  • Gerade junge jüdische Familien fragen sich inzwischen, ob sie in Deutschland noch eine Zukunft haben.

Von Jakob Wetzel, München

Die Unsicherheit ist da, und sie will nicht vergehen. "Wir wollten in Frieden leben, und München war der Platz dafür", sagt Zeev Vilf, der Inhaber des koscheren Feinkostladens Danel an der Pilgersheimer Straße. Seit 35 Jahren lebt er in der Stadt, und bislang habe er sich hier immer gut aufgehoben gefühlt, sagt er. Auch jetzt will er davon eigentlich nicht abrücken. Aber sein Bild von München als einem Ort, an dem Juden in Ruhe leben können, es hat Risse bekommen.

Die Juden in München ringen um Normalität, schon wieder. Der Anschlag auf Charlie Hebdo und der Mord an vier Kunden eines koscheren Supermarkts in Paris haben Spuren hinterlassen. "Die vier Menschen mussten sterben, nur weil sie Juden waren", sagt Vilf. "Ich bin sehr beunruhigt. Wir alle haben geglaubt, wir sind hier sicher." Und jetzt? Vilf hat seine Mitarbeiter angewiesen, die Augen nach Verdächtigen offen zu halten.

Er berichtet von jüdischen Kunden, die ängstlich ihre Kippa in die Jackentasche stecken, wenn sie das Geschäft verlassen und auf die Straße treten; "niemand geht hier ganz mit erhobenem Kopf". Und er erzählt von Diskussionen im Bekanntenkreis, ob und wie es weitergehen soll in München.

"Wollen Sie mich zur Zielscheibe machen?"

Zwar gebe es hier weniger gewaltbereite junge Muslime als in Paris, sagt Vilf. München sei ein vergleichsweise toleranter Ort, nach wie vor. Aber darauf ankommen lassen will er es nicht. Es reiche schon, wenn ein Extremist von auswärts mit dem Zug nach München komme. Ein Foto von sich will Vilf nicht in der Zeitung sehen, schon auf die Frage reagiert er entsetzt: "Wollen Sie mich zur Zielscheibe machen?"

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Konkrete Hinweise auf drohende Anschläge auf Juden in München sieht die Polizei derzeit nicht. Aber die Gefahr sei anhaltend hoch, heißt es im Polizeipräsidium: Es könne "jederzeit" zu Angriffen kommen. Die Behörden haben die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt; vor jüdischen und israelischen Einrichtungen zeigen Polizisten mit Maschinenpistolen Präsenz. Sie sollen Attentäter abschrecken und den Juden ein Gefühl von Sicherheit geben.

Junge jüdische Familien überlegen wegzuziehen

Doch es ist nicht nur der Terror in Frankreich, der Münchens Juden verunsichert. In den vergangenen Jahren hätten auch in Deutschland antisemitische Übergriffe zugenommen, klagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Gerade junge jüdische Familien fragten sich inzwischen, ob sie in Deutschland noch eine Zukunft haben. "Mich bedrückt das, weil wir gerade hier in München bis vor zwei, drei Jahren zu einem wirklichen Miteinander in der Gesellschaft gefunden hatten."

Heute aber sei das Attentat von Paris nur ein Glied in einer Kette von Anfeindungen. Erst vor einem halben Jahr hatten Radikale in München während einer Demonstration gegen den Gaza-Krieg Parolen wie "Tod den Juden" skandiert. Gebrüllt hätten keineswegs nur junge radikalisierte Muslime, sondern auch Rechtsextreme, Linke und Menschen aus der bürgerlichen Mitte, sagt Knobloch. "Sie alle eint ein gemeinsames Feindbild: wir Juden."

Dies bricht nicht nur auf Kundgebungen hervor. Vertreter der Kultusgemeinde berichten regelmäßig von Drohbriefen und aggressiven Anrufern. Auch Florian Gleibs, der Inhaber des israelischen Restaurants Schmock in der Augustenstraße, musste sich am Telefon bereits als "Kindermörder" beschimpfen lassen, nur weil er Jude ist. Sein Auto parkt er inzwischen an einem sicheren Ort; irgendjemand hatte es zerkratzt und bespuckt, weil darauf ein Davidstern zu sehen ist, das Logo des Lokals.

Gleibs hatte sich zuletzt um Humor bemüht: In seiner Gaststätte gibt es derzeit "IS-freie Wochen"; die Buchstabenkombination "IS" hat er dafür von Speisekarten und Tafeln streichen lassen. Übrig blieben Wortfetzen wie zum Beispiel " rael che Vorspe en". Aber die Gefahr könne man mit Lachen nicht wegwischen, sagt Gleibs.

Größere Angst vor Pegida

Dabei sei er selbst eher gelassen. Mit Anschlägen könne er umgehen, das kenne er bereits aus Tel Aviv, sagt er. Ihm setzt weniger der Terror als der Antisemitismus im Alltag zu. "Der Islamische Staat hasst wenigstens nicht nur uns, sondern alle", sagt er. Mehr Angst als vor "emotionsgeladenen jungen Muslimen" habe er vor Pegida: Die Demonstranten nennt er einen Mob, der durch die Straßen ziehe; wer wisse schon, gegen wen sich ihre Aggression noch richten werde.

Und jetzt? Charlotte Knobloch gibt sich kämpferisch: Von islamistischen Terroristen werde sich die jüdische Gemeinde nicht einschüchtern und sich kein Leben in Angst aufzwingen lassen, sagt sie. Ähnlich reagiert Ben Malenboym, der Wirt der israelischen Grill-Bar Eclipse in der Heßstraße; auch sein Lokal trägt einen Davidstern im Logo. "Die Ereignisse in Paris zwingen mich selbstverständlich zum Nachdenken", sagt er. Aber nach zehn Jahren in München "liebe ich diese Stadt wie meine eigene und hoffe sehr, dass sie mich in der Zukunft nicht enttäuschen wird".

"In Israel weiß man wenigstens, dass uns alle hassen"

Florian Gleibs dagegen hat resigniert. Der 43-Jährige lebt seit 15 Jahren in der Stadt. Wie lange er noch bleibt, weiß er nicht. Angst vor Anschlägen hat er nicht; Gleibs fühlt sich sicher, trotz allem. "Aber es macht hier einfach keinen Spaß mehr. In Israel weiß man wenigstens, dass uns alle hassen."

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In München dagegen sei er immer wieder erstaunt, wie viel Hass, wie viele Vorurteile ihm entgegenschlagen, auch dort, wo er nicht damit rechnet. "Wenn ich nicht so verwurzelt wäre, würde ich sagen, soll hier eben eine bayerische Wirtschaft rein, was soll's", sagt der Gastronom. "Ich schaue mir das noch zwei Jahre an." Und wenn sich nichts ändert? "Dann bin ich weg."

© SZ vom 22.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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