Münchner Oktoberfest 2016:Patrona Bavariae - schütze unseren Ballermann

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Kritische Worte von SZ-Lesern und aus der Staatskanzlei

"Fische, die keiner fürchten muss" vom 6. September, "Friedlich und sicher" vom 31. August sowie "Wachsweiche Wadl" vom 27./28. August:

Mallorca in München

Spannend wäre zu wissen, was Marcel Huber auf "I geh - du aa?" antworten würde. Denn auch Politiker sagen gelegentlich die Wahrheit, auch wenn sie in dem Fall viel zu wenig gewürdigt wird: Huber, seines Zeichens immerhin Chef der ortsansässigen Staatskanzlei, hat bei der Eröffnung des Gäubodenfests in Straubing gelobt, wie sich dieses den Volksfest-Charakter bewahrt habe, im Gegensatz zum Oktoberfest. Das er treffsicher und richtig als "Ballermann in München" bezeichnete. Seltsam, dass jede Äußerung von Seehofer, Söder & Co. groß ausgewalzt und kommentiert wird, dies dagegen fast untergegangen wäre. Es ist jetzt an der Zeit, die schlichte Wahrheit von Marcel Huber, knapp und auf den Punkt, wieder ins Bewusstsein zu holen. Sie verdiente es, über dem Eingang der Wiesn weithin sichtbar als Motto platziert zu werden. Friedrich-Karl Bruhns, München

Besonders urige Feiglinge

In seiner Glosse zum bayerischen Nationalfest - gemeint ist anscheinend das Münchner Oktoberfest, das böse Zungen lieber als bayerisches Nationalbesäufnis bezeichnen - mokiert sich Franz Kotteder über die Trachtler aus Bernried, weil sie aus Angst vor Anschlägen nicht am Trachtenzug teilnehmen wollen. Recht so! Franz Kotteder mokiert sich auch über Festbesucher und -besucherinnen - es sind übrigens häufig keine echten Münchner, sondern Auswärtige oder Zugezogene (ich vermeide bewusst das P-Wort), die urige Lederhosen oder knallbunte Dirndlchen tragen. Auch recht so!

Franz Kotteder vergisst allerdings zu erwähnen, dass die erste Absage das tollste - oder sagt man, geilste? - Event auf dem Oktoberfest betraf, nämlich die sogenannte Damen-Wies'n (der Apostroph hier ist ausnahmsweise wichtig) einer Mietwagenunternehmerin. Hier hatten sich doch bisher jedes Jahr in der angesagtesten Location auf der Wiesn rund 1000 Society-Damen, natürlich nur auf Einladung, versammelt, Schauspielerinnen, Moderatorinnen, Unternehmerinnen, Charity-Sponsorinnen, Politikerinnen, Gattinnen und was halt sonst noch so zur hiesigen Promi-Gesellschaft, Abteilung weiblich, gehört. Und alle diese aufgebrezelten, gelifteten oder gebotoxten Damen, sind ja meist nicht mehr die jüngsten, hatten rosa oder sonstwie sehr bunte Dirndl an, mit upgepushten Ausschnitten fast bis zu den Brustwarzen, so dass man sich als Mann vor sich selber schämte, wenn man in der Zeitung oder im Fernsehen hingeschaut hat, was ja doch wohl der Zweck eines solchen Aufzugs ist. Und warum wurde dieses Event abgesagt? Nicht etwa deswegen, weil die Damen keinen Shopper oder Rucksack mehr mitbringen hätten dürfen, sondern nur noch ein Clutch-Täschchen, in das bloß Lippenstift und Kreditkarte passen. Nein, es wurde, wie die SZ berichtete, abgesagt, weil die Sicherheitsbedenken doch ernst genommen werden müssten. Wer sind denn hier nun wohl die größeren Feiglinge, die Bernrieder Trachtler oder die Promis? Kaspar Apfelböck, Schwabach

Kerze und Kommerz

Welch fromme Szene: der Wiesnwirt Heide bei der 35. Kerzenstiftungszeremonie in Maria Eich. Ein authentisches Glaubenszeugnis tief wurzelnder bayerischer Frömmigkeit - oder eher mediengeile Selbstinszenierung mit liturgischer Begleitung? Den Schutz der Patrona Bavariae für das global vermarktete zweiwöchige Massenbesäufnis öffentlichkeitswirksam zu erflehen, ist grotesk. Ob sich der einstige Augustiner Martin Luther so wie sein heutiger Ordensbruder dafür hergegeben hätte, mit 30 kg Kerzenwachs die mit dem vorgegebenen Anliegen in enger Beziehung stehenden Umsatz- und Gewinnrekorde himmlisch abzusichern? Die Symbiose von Kirche und Wirtshaus, ersatzweise Bierzelt, scheint zeitlos fest verankert, führen doch auch promilleverursachte Transzendenzempfindungen zu Ekstase und Paradies-Euphorie, wie von einer Wiesnbrauerei unter dem Motto "Der Himmel der Bayern" versprochen.

Die Segenshand Mariens hätten notleidende Mittelmeerflüchtlinge oder weltweit hilfsbedürftige Bürgerkriegsopfer, voran die Kinder, nötiger als die in freier Entscheidung alkoholisierten und hendlgesättigten Wiesnhedonisten. Dem seine Glaubenshoffnung folkloristisch demonstrierenden Wiesnwirt Heide hätte der Wallfahrerpater Matthäus die bekannte Stelle 6,5-7 aus dem Evangelium seines Namenspatrons zur Reflexion näherbringen können, wo es heißt: "Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die ... gerne beten in den Synagogen, auf dass sie gesehen werden. Wenn du betest, bete im Verborgenen. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden..." Ich habe Zweifel, ob der tugendsam bittflehende Heide Erhörung findet, der sich wie seine anderen anwesenden Wirtskollegen um irdische Moral wenig zu kümmern scheint, da er den jedermann erkennbaren millionenfachen Schankbetrug nicht unterbindet. Hier könnte der Pater ebenfalls mit einer an Matthäus 22,17 ff. angelehnten Sentenz einwirken: Gib dem Kaiser (das heißt: der Staatskasse), was des Kaisers ist, und dem Wiesnbesucher, was er bezahlt hat!

Ironisch garniert wird die Stiftungsszene mit einem Bericht zwei Seiten zuvor über den "Münchner Parade- und Promiwirt" Sepp Krätz und seinen einstens auch auf der Wiesn begangenen Steuerbetrug von 1,1 Millionen Euro. Wie und ob er sich mit dem frommen Anliegen seines Wirtskollegen Heide identifiziert, ist seine private Sache. Aber irdisches Handeln und gleichzeitiges Hoffen auf Himmelshilfe bedürfen wohl einer überzeugenderen moralischen Haltung bei allen.

Also dann "Prost" auf sichere Besäufnistage unter dem Schirm der Patrona Bavariae! Hans Gilg, Germering

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© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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