Münchner Nahverkehr:Alle U-Bahnen bleiben im Depot

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Von vier Uhr früh bis acht Uhr soll der Streik am Donnerstag dauern, die Folgen werden weit länger zu spüren sein. Das Foto entstand beim bislang letzten Streik bei der MVG im vergangenen September. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Verdi ruft zu einem Warnstreik auf, die Folgen sind enorm: Nur zwei Tramlinien und die Hälfte der Busse werden am Donnerstagvormittag fahren. Im Untergrund geht für Stunden gar nichts mehr - aus Sicherheitsgründen

Von Andreas Schubert, München

Wer an diesem Donnerstag auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist, sollte deutlich mehr Zeit für seinen Weg einplanen. Denn erstmals in ihrer Geschichte muss die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) den U-Bahn-Betrieb wegen eines Streiks komplett ausfallen lassen. Gestreikt wird zwar nur von vier bis acht Uhr, doch nach Einschätzung der MVG wird es mindestens bis zum Mittag dauern, bis die U-Bahnen wieder normal fahren. Ebenso betroffen vom Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft Verdi aufgerufen hat, sind die Busse und die Straßenbahnen. Zudem streiken von sechs bis zehn Uhr MVG-Mitarbeiter der Werkstätten, der Verwaltung, der Infrastruktur und des Vertriebs. Wie viele sich am Ausstand beteiligen, ist laut MVG nicht abzusehen.

Die U-Bahnen fahren aus Sicherheitsgründen nicht. Würden nur einzelne Züge in größeren Abständen verkehren, wären die Bahnsteige nach Einschätzung der MVG überfüllt mit Menschen, die trotz des Streiks auf eine Bahn hoffen. Dieses Risiko will die Verkehrsgesellschaft nicht eingehen. Dass es dann noch mehrere Stunden dauert, bis alle Bahnen wieder fahren, hat mehrere Gründe: Die Züge in den Depots in Neuperlach Süd, Fröttmaning und die auf der Strecke geparkten Züge können nicht alle auf einen Schlag den Betrieb aufnehmen, das packt das Fahrstromnetz nicht. Außerdem müssen die Fahrer erst einmal zu ihren Zügen kommen und sie in das Netz einfädeln; die Leitstelle muss sie dann in den Fahrplan eintakten. Bei Bussen und Tram wird sich der Betrieb schneller stabilisieren. Zwei Tramlinien will die MVG auch während des Streiks fahren lassen: die 19 zwischen Pasing und Berg am Laim und die 20 zwischen Stachus und Moosach. Bei den Bussen wird voraussichtlich jedes zweite Fahrzeug fahren können, da diese teilweise von privaten Kooperationspartnern der MVG bedient werden. S-Bahnen, Regionalzüge und Umland-Busse sind vom Ausstand nicht betroffen.

Am Freitag wird in Nürnberg über den bayernweiten Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N) verhandelt. Verdi fordert durchschnittlich sieben Prozent mehr Gehalt für die Laufzeit von zwölf Monaten, mindestens jedoch 220 Euro mehr im Monat. Die Arbeitgeber bieten im Schnitt 7,5 Prozent bei 30 Monaten. Von einem Durchschnittswert ist deshalb die Rede, weil die Gehälter der Beschäftigten je nach Gehaltsstufe und Alter unterschiedlich stark steigen sollen - analog zu dem im April getätigten Abschluss für den öffentlichen Dienst, der in anderen Bundesländern auch für den Nahverkehr übernommen wurde.

Das Brisante am Münchner Streik ist laut dem Personalchef der Stadtwerke, Werner Albrecht, dass einerseits nicht abzusehen ist, wie viele sich überhaupt daran beteiligen werden. Andererseits sind die meisten Fahrer in München gar nicht von den Tarifverhandlungen betroffen, da die MVG schon seit 2011 einen Haustarif zahlt. Von 1800 angestellten U-Bahn-, Bus- und Trambahnfahrern haben noch etwa 800 einen alten Vertrag nach TV-N. Die restlichen Fahrer sind allerdings - und das ist ein Novum - zum Solidaritätsstreik aufgerufen, zirka 80 Prozent von ihnen sind laut Albrecht bei Verdi organisiert. Er habe wenig Verständnis für den Solidaritätsstreik, sagt Albrecht, der als stellvertretender Verhandlungsführer fungiert. Die noch nicht so lange bei der MVG beschäftigten Fahrer streikten für Kollegen mit, die wegen ihrer Altverträge ohnehin schon mehr Geld bekämen. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren Albrecht und MVG-Chef Ingo Wortmann den Aufruf zum Solidaritätsstreik: "Das sind Auswüchse auf dem Rücken der Fahrgäste, die den Streiktag für uns und unsere Kunden völlig unplanbar machen." Man bedauere, dass Verdi kurz vor der dritten Verhandlungsrunde am Freitag "die Muskeln spielen" lasse, denn eine Einigung liege in greifbarer Nähe.

Franz Schütz, der für Verdi mit am Verhandlungstisch sitzt, sieht das anders. Die 7,5 Prozent für den öffentlichen Dienst, die Verdi-Chef Frank Bsirske als "bestes Ergebnis seit vielen Jahren" bezeichnet hatte und die nun auch die bayerischen Arbeitgeber im Nahverkehr anbieten, seien durchaus ein guter Abschluss. Es gehe aber, speziell in München, nicht ausschließlich ums Geld. "Uns geht es im Wesentlichen um die Entlastung der Kollegen", sagt Schütz. "Wir müssen mit den Arbeitgebern über die Arbeitsbedingungen reden." So fordert Verdi, dass es bereits für 100 Stunden Nachtarbeit einen freien Tag extra gibt, statt wie bisher für 110 Stunden. Zudem sollen Nachtstunden von 20 bis sechs Uhr früh angerechnet werden, statt wie bisher von 21 bis fünf Uhr. Mitarbeiter sollten zudem entscheiden können, ob sie für die Nachtarbeit lieber einen finanziellen Zuschlag oder doch lieber einen freien Tag wollen. Prognosen über ein mögliches Verhandlungsergebnis wollen beide Seiten nicht abgeben. Werner Albrecht rechnet aber damit, am Freitag mit einem Abschluss von Nürnberg nach München zurückzukehren.

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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