Münchner im Exil:Neues Leben mit Ausrufezeichen

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Clarissa Hoffmann sagt, sie sei früher "superschüchtern" gewesen. Heute will sie am liebsten Rollen spielen, in denen sie sich anders geben kann. (Foto: Stephan Rumpf)

Diva? Eher das Mädchen, das stark geworden ist. Schauspielerin Clarissa Hoffmann musste erst nach Amerika gehen, um selbstbewusst sein zu können

Von Gerhard Fischer

Es ist Clarissa Hoffmann wichtig zu erklären, wie alles gekommen ist. Und warum sie so glücklich ist. Sie hat in Planegg Abitur gemacht, jetzt ist sie Schauspielerin und lebt in Los Angeles. Clarissa Hoffmann sagt, dass sie ihrem Herzen gefolgt sei. Dass sie andere mit diesem Folge-deinem-Herzen inspirieren könne. Es sind Sätze, die sie schon oft gesagt hat; Sätze, die sie bewusst wählt. Aber zwischendrin, eher nebenbei, fällt ein Satz, der erstens schön und zweitens wahr ist: "Ich liebe an der Schauspielerei, dass man die volle Aufmerksamkeit bekommt - das ist ja heute selten."

Dabei gab es Zeiten, in denen Clarissa Hoffmann partout keine Aufmerksamkeit wollte, jedenfalls keine öffentliche.

Hoffmann, 26, ist in Hessen aufgewachsen. Es war die klassische Dorf-Kindheit mit Kühen und Pferden, mit Schatzsuche und solchen Sachen. Die Eltern waren Ärzte - die Mutter beschäftigte sich mit Homöopathie, der Vater arbeitete für eine Pharma-Firma. Überhaupt waren sie sehr verschieden. "Die Mutter war frei und großzügig, der Vater ein echter Schwabe, der rechnete alles durch", sagt Clarissa Hofmann. Die Tochter trug diese Gegensätze in sich, und manchmal war die Schere dann zu groß für einen Menschen, aber dazu später. Die Ehe der Eltern hat jedenfalls nicht lange gehalten.

Als Clarissa Hoffmann neun Jahre alt war, zog sie mit der Mutter nach München. "Für mich war da alles groß", sagt sie. "Und ich war superschüchtern." Sie habe Theater gespielt, aber nur mit Freunden. "Ich hatte immer das Bedürfnis zu spielen, aber nicht vor Leuten - ich wollte nichts sagen. Ich empfand mich als hässlich. Ich dachte, ich kann mich so nicht zeigen." Sie habe nie gedacht, mit der Schauspielerei ihr Brot zu verdienen. "Ich war rational und vernünftig", sagt sie. Wie ihr Vater.

Clarissa Hoffmann nimmt einen Schluck von ihrem Tafelwasser. Man hat einen Moment Zeit, darüber nachzudenken, was sie gerade gesagt hat: dass sie superschüchtern war. Das ist sie heute überhaupt nicht mehr. Schon ihre Mails vor dem Treffen waren offen und offensiv, einige Sätze hatten Ausrufezeichen, die sagen sollten: Ich bin begeistert! Und auch hier, im Stadtcafé in München, wirkt die blonde, zierliche Frau eher selbstsicher als superschüchtern.

Clarissa Hoffmann spricht selbst gerne über diese Diskrepanz. Es ist sogar ein großes Thema ihres Lebens: Wie sie selbstbewusst wurde. "Das hat mit meinem Schritt nach Amerika zu tun", sagt sie.

Bevor sie nach Amerika ging, hatte sie noch andere Dinge ausprobiert. Schon die Freundinnen an der Schule fanden, dass Clarissa Hoffmann vielseitig sei. "In der Abi-Zeitung schrieben sie, ich würde Psychologin, Detektivin, Homöopathin oder Schauspielerin werden", sagt Hoffmann. Sie machte dann ein Krankenpflege-Praktikum, nahm Spanisch-Unterricht, ging einige Zeit nach Chile und studierte danach BWL in Passau. Clarissa Hoffmann macht eine kurze Pause in der Aufzählung. Auf die Zwischenfrage "Und dann?" sagt sie: "Und dann kam die Krise." Schon während des BWL-Studiums, bei einem Praktikum, habe sie gemerkt, dass es nicht ihre Welt sei. Nicht die Inhalte. Nicht die Menschen. Aber sie hat zu Ende studiert. Sie war vernünftig. Einmal noch.

Dann besuchte sie Schauspiel-Workshops und merkte: Das ist es! Es gibt nichts anderes! "Das ist die Kombi aus allem, was ich machen wollte", sagt Clarissa Hoffmann. Sie ist begeistert. Vermutlich hätte dieser Satz drei Ausrufezeichen, wenn sie ihn nicht nur sagen, sondern schreiben würde. Zum Beispiel habe die Schauspielerei mit Psychologie zu tun: Man könne erforschen, warum Leute etwas machten. Das Kreative: Man könne der Rolle Details hinzufügen. Der Business-Teil: Sie könne sich verkaufen, Marketing machen, Leute treffen. Das Verkörpern: Da sei viel Physisches dabei. Das Meditative: Man müsse loslassen, im Moment sein, sich von der Szene tragen lassen, sich über nichts Sorgen machen.

Überhaupt liebe sie es, neue Sachen . . . Clarissa Hoffmann macht eine Pause und schaut fragend. "Explore heißt es auf Englisch", sagt sie und hofft darauf, dass ihr Gegenüber übersetzt. Ist ihr das deutsche Wort ("ausprobieren" oder "erforschen") wirklich nicht eingefallen? Oder kokettiert sie damit, dass sie nun schon seit drei Jahren in den Staaten lebt und mehr Englisch denkt, redet und träumt als Deutsch?

Sie erzählt dann, wie es dazu kam, dass sie nach Amerika ging: Als sie im Januar 2013 im Theater am Kurfürstendamm kurzfristig eine erkrankte Schauspielerin ersetzte und vor 650 Leuten spielte, muss sie wohl sehr gut gewesen sein. Ein Regisseur sprach sie an. "Der konnte gar nicht glauben, dass ich zum ersten Mal auf einer Bühne stand", erzählt Hoffmann. "Und er riet mir, nach New York zu gehen - auf die Schauspielschule Stella Adler, das sei für ihn die beste Schule."

Hoffmann zögerte nicht lange. Sie schickte, wie gefordert, zwei Monologe zu dieser Schule - einen modernen und einen klassischen von Shakespeare - und wurde genommen. Im August 2013 zog sie nach New York, und damit verflogen Selbstzweifel und Scheu.

Clarissa Hoffmann ging zwei Jahre auf die Schauspielschule Stella Adler. Danach übersiedelte sie nach Los Angeles, spielte Theater und Tagesrollen in Spielfilmen - und in der Komödie "Tango Shalom". Joseph Bologna und Reneé Taylor waren bei "Tango Shalom" dabei, beide Oscar-nominierte Drehbuchautoren und Schauspieler; auch Lainie Kazan ("My Big Fat Greek Wedding") machte mit. Die Komödie über einen orthodoxen Juden, der im Alter seine Leidenschaft für das Tangotanzen entdeckt, wird 2017 im Kino starten.

In Los Angeles gefällt es ihr gut. Sie wolle von dort aus "alles koordinieren", sagt Clarissa Hoffmann. Sie wolle auch in den europäischen Markt kommen. "Ich suche eine Agentur in London und in Deutschland, denn ich will international spielen", sagt sie, "und ich will in verschiedenen Sprachen spielen." In deutsch, englisch oder spanisch.

Die Bedienung kommt an den Tisch. Clarissa Hoffmann fragt nach einer laktosefreien Sojamilch. Gibt es nicht. Freundlich bestellt Hoffmann stattdessen ein Wasser. Am liebsten würde sie "bedeutungsvolle, wichtige Filme mit Botschaft drehen", sagt sie dann, "Filme, die Menschen zum Nachdenken anregen." Sie wünsche sich dabei Rollen, in denen sie "smart, strong, powerfull, manipulativ und seduktiv" sein könne. Das, was Rosamund Pike in "Gone Girl" gespielt habe, wäre eine Rolle für sie, sagt Clarissa Hoffmann. Eine junge Frau, psychopathisch veranlagt, täuscht ihren eigenen Mord vor. "Früher sah ich mich als kleines, unschuldiges Mädchen", sagt Hoffmann. Das sei vorbei. "Ich habe mich ein ganzes Leben lang zurückgehalten - jetzt darf ich mich öffnen."

Clarissa Hoffmann schaut ihr Gegenüber an, wenn sie redet. Sie starrt nicht auf lackierte Fingernägel oder saugt an einer Zigarette mit Mundstück, sondern hört zu und trinkt ihr Tafelwasser. Sie hat nichts von einer Diva, eher von einem Mädchen, das stark geworden ist. Das aber sicher noch Glück, Erfahrung und Fleiß braucht, um vielleicht einmal Rollen wie Rosamund Pike zu spielen.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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