Münchner im Exil:Blut, Bronze, Blumen

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Rebecca Thumb von Neuburg vor ihrem Selbstporträt - oder ihrem Alter Ego? Die Studentin der Münchner Akademie schwimmt gerne gegen den Strom. (Foto: Sabine Buchwald)

Rebecca Thumb von Neuburg kam als Erasmus-Studentin nach Brüssel. Die Bilder des Terrors fanden Eingang in ihre Kunst

Von Sabine Buchwald, München / Brüssel

Wien oder Brüssel? Rebecca Thumb von Neuburg hat sich für die belgische Hauptstadt entschieden. Trotz der Attentate im vergangenen März. "Ich suche nicht die Gefahr", sagt die Studentin der Münchner Kunstakademie, "aber Spannungen." Die hat Brüssel zu bieten, das weiß sie inzwischen und die hat sie schon damals gespürt, an diesem verhängnisvollen 22. März 2016. Zufällig war Thumb von Neuburg einen Abend vor den Anschlägen nach Brüssel gekommen, um sich in der Stadt und an der École de Recherche Graphique (ERG) umzusehen. Andere wären wohl schockiert wieder abgereist. Thumb von Neuburg aber schnappte sich ihre Kamera und folgte den Sirenen der Rettungswagen bis zur Metrostation Maelbeek im Europaviertel, wo 20 Menschen starben. Die Bilder von Terror und Trauer gehören nun zu ihrer eigenen Geschichte. Seit September studiert die 27-Jährige in Brüssel mit einem Erasmus-Stipendium.

Abgetretene Stufen führen zu der Wohnung, in der Rebecca Thumb von Neuburg ein Zimmer gemietet hat. Durch ein hohes Fenster schaut sie auf eine ruhige Innenstadt-Straße mit Klinkerbauten, die in ihrer Unterschiedlichkeit eine Einheit bilden. Nur wenige Gehminuten entfernt erinnert der protzige Justizpalast an den Größenwahn zweier Könige des 19. Jahrhunderts. Ein paar hundert Meter weiter hetzen Leute mit Tüten von Chanel und Dior die Avenue Louise entlang, wo an den Straßenecken Bettler sitzen und der Autolärm Gespräche schluckt. Laut und leise, arm und reich liegen so nah zusammen in Brüssel.

Ihr kleines Zimmer ist Rebecca Thumb von Neuburgs Rückzugsort, Schlaf- und Arbeitsraum zugleich. An einer Wand lehnt ein großes Selbstporträt, das kaum durch die Zimmertür passt. Die Ölfarbe ist noch nicht ausgetrocknet. Es zeigt eine ernste rothaarige Frau mit dunklem Brillengestell, hoher Stirn und markanter Nase. Im Gespräch wirkt sie viel jünger als auf dem Gemälde und viel lebensfroher. An zwei anderen Wänden hängen Papierbilder, auf denen sie mit leuchtenden Ölkreiden verarbeitet hat, was sie täglich sieht und fühlt. Jugendstil-Muster mischen sich mit Blumenornamenten, dazwischen Vögel und Blätter, wie von einem Windstoß getragen. Dieses Verlangen, Farbe zu formen, nennt sie "Bunte-Bilder-Bulimie".

Eine Sucht, ein Spaß, ein Ausgleich für die Kopfleistung, die konzeptionellen Arbeiten oder Installationen vorangeht. Etwa wenn sie sich mit der Vorstellung vom Paradies beschäftigt und dann Honig über schwimmende Milchtöpfchen tropfen lässt, weil sie zeigen will, wie schicksalhaft das Glück sein kann. Oder wenn sie für das Gruppenprojekt "Kunst an der Isar" ein Holzfloß baut, inspiriert von Théodore Géricaults dunklem Gemälde "Das Floß der Medusa". Im Sommer 2015 stieß sie es in Geisenhausen bei Landshut ins Wasser, mit Geschenken, die sie von Migranten bekommen hatte: Eine Gitarre aus Bolivien war darunter und eine Bibel aus Afrika. Hochwasser machte dem Holzkonstrukt zu schaffen. "Es war tragisch real, dass es am Ende untergegangen ist", sagt Thumb von Neuburg. Das Thema beschäftigt sie.

So wie das Akademie-Projekt "There will be blood" im vergangenen Sommer. Unter Professor Julian Rosefeldt ließ sie von einem Turm der Münchner Ludwigs-Kirche eine Sure des Korans lesen und einen Raben im Innenraum fliegen. "Ich habe dieses Symbol des Unglücks zurückgebracht in die Kirche", sagt Thumb von Neuburg. Gewohnheiten durchbrechen war der Auftrag. Das ist ihr gelungen. Das liegt ihr. "Eigentlich mache ich alles das, was man in der Kunstszene gerade nicht machen darf", sagt Thumb von Neuburg. Selbstporträts und Bilder, die sehr üppig sind, halten Galeristen für unverkäuflich. Dass sie viel ausprobiert, schadet ihrem Marktwert. Sie hat mit kostspieliger Bronze gearbeitet und mit Gips, in Brüssel mit Samt und Seide, weil ihr hier anderes Material nicht zur Verfügung stand. Doch ginge es ihr um Geld, um ein gesichertes Einkommen, dann hätte sie weiter Jura studiert, wie es in Adelskreisen, aus denen sie stammt, durchaus üblich ist. Nach vier Semestern aber wechselte sie an die Münchner Grafikschule U5, wo man sie bald als "zu künstlerisch und provokativ" empfand.

Unzufrieden schickte sie im Winter 2012 eine Bewerbung an das renommierte Saint Martins College in London und wurde innerhalb weniger Tage genommen. Sie schwärmt von den Arbeitsmöglichkeiten dort. Zum ersten Mal benutzte sie Glas und Lasercutter und machte Körperabformungen. Letztlich aber konnte sie sich die vierstelligen Studiengebühren und die Stadt nicht länger leisten. "Es ist nicht so cool, kein Geld zu haben", sagt sie. Sie schickte ihre Mappe an die Münchner Kunstakademie und kehrte mit einer Zusage zurück nach Deutschland.

Brüssel ist nun eine Zwischenstation, die ihr das Erasmus-Programm ermöglichte. Vor ein paar Tagen feierte man das 30-jährige Bestehen dieses europäischen Austauschprojekts, von dem inzwischen fünf Millionen Studenten profitiert haben. Thumb von Neuburg mag Brüssel, die Stadt hat sie um gute und schlechte Erfahrungen reicher gemacht. Sie musste wochenlang ohne Handy auskommen, weil ihres aus der Jackentasche geklaut worden war; Briefe kommen nicht immer an, und an der Kunstschule fehlt es an Arbeitsmaterial. Dafür seien die Leute wirklich tolerant, sagt sie. In München wirke Toleranz doch eher anerzogen. Brüssel hat ihren Blick geschärft für Politik und ihr die Augen geöffnet für die Vorteile und Probleme Europas: Für März plant sie mit einer belgischen Schmuckkünstlerin eine Ausstellung mit dem Titel "Just before explosion".

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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