Laim: Friedhof St. Ulrich:Besuch bei den vergessenen Toten

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Nur noch 15 Gräber gibt es auf Laims ältestem Friedhof. Sie sollen mit Patenschaften vor dem Verfall gerettet werden.

Andrea Schlaier

Es ist schon die richtige Jahreszeit, um Plätze wie diesen behutsamen Schrittes zu entdecken. Der Herbst als Inbegriff des Übergangs. An verwöhnten Tagen gönnt er dem bunten Laub noch goldene Sonnenstrahlen und wenn er es wirklich gut meint, schickt er als letzten Gruß noch ein rotes Glühen über den aufziehenden Abendhimmel. Dann wird das Licht runtergedimmt, jeden Abend früher. Und die Menschen kommen zur Besinnung. Auch wer keine Toten an den Gräbern zu besuchen hat, lenkt seinen Wege nun zuweilen auf Friedhöfe, die auf sehr romantische Weise die Melancholie des nahen Abschieds, und sei es nur den des Kalenderjahres, bergen.

Hans Rotter von der Kirchenverwaltung Sankt Ulrich und Mesner Christian Loss (von links) kümmern sich um den alten Friedhof, auf dem man die Grabstätten alter Laimer Familien findet (Foto: Robert Haas)

Laim hütet so ein Kleinod. Ganz zentral und doch so abgelegen, dass man - zwanzig Schritte durchs Herbstlaub von der Agnes-Bernauer-Straße entfernt - das Leben auf der Traverse ohne Anstrengung ausblendet. Nicht mehr als 15 Gräber sind übrig geblieben aus den Jahrhunderten, in denen die Gottesfürchtigen hier ein und aus gingen in das älteste Kirchlein Laims.

1315 wurde Sankt Ulrich erstmals urkundlich erwähnt. Die Historiker sind sich sicher, dass Vorläufer bereits im elften Jahrhundert existierten, im "loco leima", der auf Lehm, "Leim", gebauten Ansiedlung. Von München war da noch lange nicht die Rede. In den Annalen der katholischen Pfarrgemeinde ist zu lesen, dass sie den Turm 1450 gebaut haben. Aus der Zeit stammt auch der alte Chor, man vermutet nur einen Anbau an das frühromanische Kirchenschiff. Den gotischen Chorraum gibt's noch. Ein Juwel. Es wird nach wie vor als Kapelle genutzt.

Schön ist auch der Fortgang der Geschichte: Nach einer Urkunde vom Januar 1433 hat die Kirchenverwaltung von Laim Grund an die schöne Agnes Bernauer, die spätere Gemahlin Herzog Albrechts III., verkauft. Die Mutmaßung liegt nahe, dass dieser Handel mit dem Kirchenbau zusammenhängt.

Norbert Winkler würde sich freuen, wenn es über den Friedhof um den Sakralbau herum nur annähernd so viele gesicherte Dokumente gäbe. "Es ist fast gar nichts da", sagt er. Deshalb hat sich der stellvertretende Vorsitzende des Historischen Vereins Laim vor kurzem an die Arbeit gemacht. Fein säuberlich verzeichnete er die Gräber, genauer, was von ihnen übrig geblieben ist. In einer Karte listet er sämtliche Namen auf, versucht Verwandtschaftsgrade auszumachen, trägt die Grabsprüche zusammen oder rekonstruiert von der Zeit verwaschene Inschriften mit Hilfe des Computers.

Seit 1907 fanden hier keine Beerdigungen mehr statt

Doch für Winkler bleiben viele offene Fragen: "Den Familiennamen Mayr gibt es in so vielen verschiedenen Schreibweisen, ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll."

Als da wäre der Gutsbesitzer Lorenz Mayr, 1845 geboren, 1906 gestorben. Den "Oekonom" Thomas Mayer, 1795 bis 1861. Den kennt Winkler: "Der hatte seinen Hof an der Ecke Lutz-/ Landsberger Straße." Der Bauer scheint ein geliebter Mensch gewesen zu sein. Unter dem mächtigen Kreuz über seinem dunklen Stein wird dem Toten die letzte Ehre erwiesen: "Obschon der treue Mann, der wahre Christ, Der beste Vater hier begraben ist, So lebt in Gott der Edle doch, Er lebt in unser'm Herzen noch!"

Geblieben, so viel Analyse ist haltbar, sind die Ruhestätten der Laimer Prominenz. Namen, die in Verbindung mit Häusern noch im Umlauf sind. Die Ballaufs, Michael, "Tafernwirth dahier", der bereits im Alter von 33 Jahren 1880 die letzte Ruhe fand. Die Sattlermeisterfamilie Rieck, "Vom Sattler" an der Fürstenrieder Straße, wo heute ein kleiner Obstladen steht. Und die Eggenhofers müssen ein sehr wohlhabender Clan gewesen sein. Über ihrem Familiengrab ist mit ausgebreiteten Flügeln ein Engel gelandet. Er hält die Hand schützend über die Toten und ist ob seiner Größe das gefühlte Zentrum des pittoresken kleinen Friedhofs.

Hans Rotter ist es mit zu verdanken, dass dessen Schönheit nicht mehr ganz so im Verborgenen blüht wie noch vor einem Jahr. Der 74-Jährige gehört zur Kirchenverwaltung der 5000 Seelen starken Gemeinde und rief vergangenes Jahr im Pfarrbrief seine Mitchristen auf, eine Patenschaft für die 15 übrig gebliebenen Gräber zu übernehmen. "Die waren teilweise ganz zugewuchert mit Efeu, nur von zwei der Familien gibt es überhaupt noch Nachkommen." Seit 1907 der Waldfriedhof eröffnet wurde, ist in Laim keiner mehr beerdigt worden.

Rotter ist beseelt von der Stimmung dieses Ortes. Selbst für Eingeweihte gibt es hier viel zu entdecken. Er macht auf den Gedenktafeln der Gefallenen den "königlichen Bahnwärter Mathias Ritzinger" aus und "Leo Moser, Lehrer in Laim". Die Vorstadtgesellschaft vor 100 Jahren. Rotter hat sichtlich Freude daran, die Geschichten hinter den Namen zu suchen.

Mesner Christian Loss gesellt sich dazu. Der Himmel ist oktoberblau, ein leuchtender Tag. Loss muss weitermachen. Der junge Mann schaltet seinen Rasenmäher ein. Rotter will in den nächsten Tagen wiederkommen, um mit den Grab-Paten Unkraut von den Beeten zu zupfen. Denn an Allerheiligen wird nicht nur die Melancholie gepflegt.

© SZ vom 30.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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