Olympiabewerbung: Katarina Witt im Interview:"Eine endlose Kür"

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Katarina Witt reist als Gesicht der Münchner Olympiabewerbung durch die Welt. Ein Gespräch über das Leben aus dem Koffer und Auftritte im Rampenlicht.

Michael Ruhland

Sie gewann für die DDR zweimal olympisches Gold und war in den Achtzigern die beste Eiskunstläuferin der Welt. Nach ihrer Karriere als Athletin wagte Katarina Witt den Sprung ins Showbusiness, lebte lange in den USA, arbeitete als Moderatorin und Geschäftsfrau. Seit Februar 2010 ist Witt, 45, Kuratoriumsvorsitzende der Bewerbungsgesellschaft für die Olympischen Winterspiele 2018.

"Durban wird der Abschlusstanz auf dem heißen Vulkan": Katarina Witt soll die IOC-Mitglieder für München begeistern. (Foto: REUTERS)

Frau Witt, die Ski-WM ist vor wenigen Tagen zu Ende gegangen. Was hat Garmisch-Partenkirchen verglichen mit Sarajewo, Calgary oder Lillehammer?

Natürlich die Begeisterung für den Wintersport. Aber man sollte die Orte nicht vergleichen und vorsichtig sein: Das war die Ski-WM. Sicher: Wir haben unter Beweis gestellt, dass bei uns die Wettbewerbe optimal organisiert werden und das Publikum die richtige Atmosphäre schafft. Wenn man als Sportler ins Ausland kommt, möchte man willkommen sein und von den Zuschauern fair behandelt werden. Genau das habe ich in Garmisch live miterlebt. Die WM war eine gute Visitenkarte, ist aber nur ein kleines Puzzlesteinchen im großen Gebilde Olympiabewerbung. Das Wichtigste ist die Mund-zu-Mund-Propaganda.

Glauben Sie das wirklich?

Absolut. Die Verantwortlichen der Verbände reden untereinander, wie die Atmosphäre war, wie die Organisation. Das kennt man doch von sich selbst: Wenn ich etwas nicht weiß, versuche ich jemanden zu finden, der sich auskennt. Ich bin mir sicher, dass das die IOC-Mitglieder genauso machen. Und sie werden natürlich auch intensiv informiert, etwa durch die Evaluierungskommission. Aber auch die ist nur ein Informationsteilchen im großen Puzzle.

Die wenigsten IOC-Funktionäre werden aber alle drei Bände des Bid Books durchackern. Die mussten die Bewerberstädte bereits im Januar abliefern.

Das könnte sein. Deshalb ist das Ergebnis der Evaluierungskommission schon sehr wichtig - weil die wesentlichen Punkte der Bewerbung aufgelistet und bewertet werden. Es ist ein Expertenteam, das alle drei Städte miteinander vergleicht - die Kommission war ja gerade in Annecy und Pyeongchang.

Welche Kernbotschaft wollen Sie vermitteln? Ökologisch nachhaltige Spiele?

Es wird eine generelle Entscheidung sein: Südkorea setzt mit den Schlagwörtern "new horizons" und "new merchant market" ganz auf den asiatischen Markt - etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Asien. Natürlich ist es für die olympische Bewegung wichtig, immer wieder in neue Märkte vorzustoßen - das ist ja mit Peking 2008 geschehen und passiert mit Sotschi 2014 und Rio de Janeiro 2016. Man muss aber auch mal wieder zur Basis zurückkommen, die Wurzeln pflegen und den Nachwuchs fördern. Wenn immer mehr von Europa weggeht, die Vorbilder für den Nachwuchs auch nicht mehr greifbar sind, dann leidet der Sport. Eiskunstlauf ist nur ein Beispiel.

Es fehlen die lokalen Helden?

Durch Idole gewinne ich Nachwuchs. Ein Hype in der Nachbarschaft kreiert einfach mehr Interesse, auch für den Sport allgemein. Es geht um die olympische Philosophie: Will die olympische Bewegung immer weiter expandieren oder sich ab und zu auf die Tradition besinnen, der der Sport viel zu verdanken hat? Gerade der deutsche Wintersport spielt seit vielen Jahren eine Vorreiterrolle, und es gibt einen treuen Markt - die Sponsoren sind größtenteils deutsch.

Wollen Sie mit allen 105 IOC-Mitgliedern, die am 6. Juli in Durban den Knopf drücken, persönliche Gespräche führen?

Ich versuche, mit allen ins Gespräch zu kommen. Was können wir tun, dass die Spiele auch in ihren Augen an den richtigen Ort kommen? Da man die Mitglieder nicht nach München einladen und auch nicht zu ihnen fliegen darf, wie das zum Beispiel im Fußball möglich ist, müssen wir zu den Wettkämpfen und Kongressen reisen, wo sie sein werden.

Die Kür war immer Ihr Ding als Eiskunstläuferin, die Pflicht mochten Sie nie besonders ...

Im letzten Jahr meiner Karriere habe ich zum Glück auch in der Pflicht geglänzt. Da habe ich es mir zur Pflicht gemacht, die Pflicht ernst zu nehmen.

Jetzt ist es dennoch andersherum: Vieles ist Pflichtprogramm bei der Bewerbungstour. Könnte man Tortur sagen?

Wenn man soweit gekommen ist wie alle drei Bewerber, gehe ich davon aus, dass die Pflicht, die technischen Voraussetzungen also, erfüllt werden. Alles andere sehe ich als Kür: die Atmosphäre bei Wettbewerben wie der WM; die Gespräche auf dem internationalen Parkett mit den Entscheidern; die Präsentationen, welche Argumente man bringt, welche Filme man zeigt - da ist Raum fürs Kreative. Ich bin sicher, dass sich auch noch bei der Abstimmung IOC-Mitglieder umentscheiden werden, je nachdem, wie emotional sie sich angesprochen fühlen.

Was war der ärgerlichste Part bislang?

Für mich als Kuratoriumsvorsitzende scheint mir täglich alles neu. Es kommen bei der Bewerbung immer wieder auch negative Überraschungen, mit denen man einfach zurechtkommen muss. Jeden Tag lerne ich, nichts persönlich zu nehmen und mit der Kritik cooler und diplomatisch umzugehen.

Sie meinen den Gegenwind, der Ihnen aus Garmisch entgegenbläst?

Natürlich ist es nicht von Vorteil, wenn man mit Leuten zu kämpfen hat, die dagegen sind. Auf der anderen Seite gehört das in unserem Land dazu. Wenn sich jedoch Fronten verhärten, dann ist das schade. Ich muss mich aber zurücknehmen, ich komme aus dem Sport, bin Sportfanatikerin und denke an andere Aspekte in dem Moment gar nicht. Ich möchte helfen, dass die nächste Generation genau so etwas Einmaliges erleben kann, wie ich das in meiner sportlichen Karriere erlebt habe.

Die Evaluierungskommission wird auch mit den Kritikern reden.

Das ist ganz normal. Wir haben uns selbst um eine Möglichkeit bemüht. Man muss proaktiv damit umgehen und darf sich nicht in eine Ecke drängen lassen.

Wie sehr interessiert sich das IOC für den Streit um einzelne Grundstücke?

Das IOC interessiert sich dafür, was im Bid Book steht, und überprüft, was versprochen und was geliefert wird. Man kann also zum Beispiel nicht kompakte Wettbewerbe anbieten und sie am Ende überall verteilen. Das IOC weiß Kritik aber auch einzuschätzen. Es gab bei allen Bewerbungen Konflikte: Sydney und die Aborigines, Vancouver und die Natives - am Ende gab es einen Konsens und erfolgreiche Spiele.

Wo sehen Sie Ihre künftige Rolle, sollte München den Zuschlag bekommen?

Mein Denken geht nur bis zum 6. Juli, bis die Entscheidung gefallen ist.

Das soll ich Ihnen abnehmen?

Da bleibt Ihnen nichts anderes übrig. Ich kämpfe vorrangig dafür, die Spiele mit hierher zu holen. Dann wird man sehen, inwieweit ich involviert sein soll. Ich habe seit Februar letzten Jahres auf meine persönliche Karriere verzichtet. Ich kann trotz schöner Angebote keines annehmen. Mein eigentlicher Beruf liegt zurzeit komplett brach.

Weil Sie bei allen IOC-Terminen persönlich dabei sein müssen?

Ich kann immer nur eins richtig machen. Auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen, ist mir noch nie gelungen.

Sie standen immer im Rampenlicht. Brauchen Sie den Trubel, den Beifall?

Ich sehe mich als Entertainerin und stehe gerne vor Publikum. Auch bei einem Pressegespräch: Wenn 40 Journalisten vor einem sitzen, wollen sie auch unterhalten sein. Ich kann allerdings nicht so spontan sein, wie ich eigentlich bin. Denn manchmal wird ein Satz aus dem Zusammenhang gerissen, leider muss ich mich da nun mehr disziplinieren.

Diplomatie - die hohe Kunst, blumig zu reden, ohne irgendjemandem auf die Füße zu treten. Lernt man das?

Ich nicht. Ich bin ich.

Wie groß ist der Druck, der auf Ihnen lastet?

Der Druck ist schon groß. Es ist eine größere nervliche Belastung, als ich das als Athletin empfunden habe. Damals stand ich nur für meine eigene Leistung oder mein Versagen gerade. Die Olympiabewerbung ist ein solch riesiges und mehrschichtiges Projekt, dass man auch für das den Kopf hinhält, was von anderen vielleicht verbockt wird. Aber das ist schon in Ordnung.

Sie reisen andauernd. Hatten Sie nie den Wunsch, feste Wurzeln zu schlagen?

Nein, ich habe mir nie das Traditionelle vorgenommen. Ich bin sehr gerne unterwegs, treffe gerne neue Leute. Meine Konstante ist, nach Hause in meine Berliner Wohnung zu kommen, Eltern und Freunde zu sehen. Wenn ich eine Weile da bin, freue ich mich wieder, aus dem Haus zu flattern und mein Leben in zwei Koffer zu packen. Plötzlich wird alles viel simpler. Die Dinge um einen herum spielen keine Rolle mehr, man lebt und erlebt, finde ich, alles intensiver.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat hat sich für mich neu definiert, sie ist nicht örtlich gebunden. Ich sehe mich als Kosmopolitin - ich reise ja wie eine Zigeunerin mein ganzes Leben lang schon durch die Welt. Heimat ist für mich das, was mir nahesteht. Meine Eltern zum Beispiel.

Nach Ihrer Abschiedstournee, die im Februar 2008 endete, wollten Sie sich eine Auszeit gönnen ...

Hab' ich auch gemacht. 14 Tage. Ich habe mich ein wenig treiben lassen.

Das war ja bestenfalls ein kleiner Urlaub!

Ich kam auch nie von Tourneen zurück und brauchte erst einmal drei Wochen Urlaub. Wahrscheinlich glaubt mir sowieso keiner, dass ich seit zwanzig Jahren kaum Urlaub gemacht habe. Und ich will damit keinesfalls Reaktionen auslösen wie: Ach, die Arme! Es war mein freier Entschluss. Dadurch bin ich nie in ein Loch gefallen.

Gut möglich, dass es am 6. Juli von Ihrer Person abhängt, ob die IOC-Mitglieder für die Münchner Bewerbung votieren. Ist der Termin die große Kür?

Nein, dies ist ganz klar eine Teamarbeit. Wenn ich aber mit meiner Art dazu beitragen kann, dass am Ende vielleicht der eine oder andere sich nach anfänglicher Vorentscheidung uns zuwendet, habe ich meine Aufgabe erfüllt. Außerdem glaube ich, dass wir uns schon in einer endlosen Kür befinden. Durban wird der Abschlusstanz auf dem heißen Vulkan.

© SZ vom 25.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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