Mordfall Böhringer:"Mein Gewissen ist rein"

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Der Angeklagte bricht sein Schweigen: Nach dem Marathon-Plädoyer der Anwälte bestreitet Benedikt T. jede Schuld. Der Urteilstermin ist noch unbekannt.

Alexander Krug

Mit einem emotionalen Schlusswort des angeklagten Benedikt T. ist am Samstag der Prozess um den Mord an Charlotte Böhringer in seine letzte Phase getreten. "Ich habe meine Tante nicht ermordet", sagte der 33-Jährige, "mein Gewissen ist rein."

Das Grab von Charlotte Böhringer am Ostfriedhof (Foto: Foto: Rumpf)

Vieles an diesem Fall ist ungewöhnlich, und so passt es auch ins Bild, dass die Verteidiger insgesamt fast 16 Stunden lang plädierten, verteilt über zwei Tage. Am Samstag war eigens das Strafjustizgebäude in der Nymphenburger Straße geöffnet worden, ein enormer Aufwand an Personal und Kosten. Trotz des ungewöhnlichen Termins war der Saal wieder gut besetzt, und als Benedikt T. um 16.47 Uhr zu seinem "letzten Wort" ansetzte, herrschte angespannte Stille. Immerhin fast 15 Monate lang hatte er - bis auf eine wenige unwirsche Bemerkung oder Feststellungen - geschwiegen.

"Ja, ich habe moralisch versagt", begann der nach einem mehrwöchigen, inzwischen aber abgebrochenen Hungerstreik ausgezehrt wirkende Angeklagte. Doch nicht etwa im Sinne der Anklage, sondern vor seinen Angehörigen und Freunden. Sie habe er jahrelang über sein abgebrochenes Jura-Studium belogen, und dafür wolle er sich entschuldigen. Aber an den Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sei nichts dran. "Das Ganze ist ein Albtraum. Ich bin nicht schuldig, meine Weste ist weiß." Seit mehr als zwei Jahren sitze er in Untersuchungshaft, dabei sei doch er ein Opfer. Er habe durch ein "abscheuliches Verbrechen" seine Tante verloren. Sein eigenes Leben und das seiner Familie sei seither zerstört. "Ich fordere Sie auf, geben Sie mir mein Leben zurück", sagte er zu den Richtern. Als daraufhin vor allem unter seinen Angehörigen im Saal Applaus aufbrandete, drohte Richter Manfred Götzl mit der Räumung: "Das ist hier kein Theater."

Um in diesem Bild zu bleiben und vorausgesetzt, die Staatsanwaltschaft und die Mordermittler liegen mit ihrer Einschätzung richtig, dann ist Benedikt T. vor allem eines: ein glänzender Schauspieler. Doch hat er Charlotte Böhringer tatsächlich umgebracht? Hat er ihr im Eingangsbereich ihrer Wohnung über der Parkgarage in der Baaderstraße am 15. Mai 2006 mit einem unbekannten Werkzeug - vielleicht einem Stemmeisen - mindesten 24 Schläge versetzt, die ihren Schädel total zertrümmerten? War die brutale Attacke eine Folge jahrelanger Demütigung durch seine Tante, die ihn bei jeder Gelegenheit maßregelte, die sein Leben bis hin zur Auswahl seiner Freundin bestimmen wollte?

Die ihn, ihren angeblichen "Lieblingsneffen", als Handlanger in ihrer Garage beschäftigte und mit 1000 Euro abspeiste? War es schlicht die Geldgier, die ihn trieb? Die Aussicht auf ein Erbe, das ihm ein Leben in Saus und Braus garantierte?

Geldgier ist ein klassisches Sujet vieler Prozesse, nicht nur nach Mordfällen. Für die Verteidiger Peter Witting und Stefan Mittelbach macht man es sich damit zu einfach. Fast 16 Stunden lang bearbeiteten sie die fünf Richter mit ihren Argumenten und manches Mal hatte es den Anschein, dass sie ihre Hoffnungen auf einen Freispruch vor allem auf die beiden Schöffinnen richten.

Die zwei Laienrichter haben in dem fünfköpfigen Richtergremium eine nicht unbedeutende Rolle: Sind sie beide gegen eine Verurteilung, können die drei Berufsrichter sie nicht überstimmen. Denn für einen Schuldspruch ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig.

Die Verteidiger halten die Indizienkette der Ankläger für brüchig. Sie fordern die Richter auf, nicht dem ersten Impuls nachzugeben, den die klassische Konstellation von reicher Tante und geldgierigem Neffen hervorruft. Dass nach erstem Anschein kein anderer Täter infrage komme, dürfe nicht dazu verführen, den Erstbesten zu nehmen.

"Das Ergebnis sucht sich seine Gründe? Das darf nicht sein", sagt Anwalt Mittelbach. Die Tatausführung lasse zwar auf eine "Beziehungstat" schließen. Doch wer könne ausschließen, dass etwa ein Raubmörder nur sicher gehen wollte, dass sein Opfer tot ist? Dass aus der Wohnung nichts geraubt worden sein soll, stehe nicht eindeutig fest. So habe Böhringer beispielsweise kurze Zeit vor der Tat noch 10.000 Euro abgehoben.

Stichwort Spuren: In der Geldbörse von Benedikt T. wurden bei seiner Festnahme drei Tage nach der Tat zwei Fünfhundert-Euro-Scheine mit Blutspuren gefunden. Eine DNS-Analyse ergab: Es war Blut von ihm und Böhringer. Die Verteidiger halten dagegen, dass es zig-Möglichkeiten einer Spurenübertragung gebe.

Zumal Benedikt T. bei Auffindung der Leiche Böhringers dabei war. Und überhaupt: Trägt ein Täter tagelang die Tatbeute mit sich und geht dann auch noch damit zur Mordkommission? Außerdem gebe es noch eine Menge Spuren mit ungeklärter Herkunft in der Wohnung.

Stichwort Alibi: Böhringer wurde vermutlich in der Zeit zwischen 18:15 und 19:10 ermordet. Benedikt T. hat für diesen engen Zeitraum kein Alibi. Doch reicht das? Fuhr er in dieser Zeit mit seinem Golf von der Georgenstraße in die Parkgarage, tötete Böhringer und raste dann wieder zurück? Die Gefahr, mit blutbespritzter Kleidung gesehen zu werden, war riesengroß. "Sieht so ein perfekt und eiskalt geplanter Mord aus", fragt Witting. Für ihn gibt es nur "Fragen über Fragen" - und keine sei eindeutig beantwortet worden. Deshalb müsse Benedikt T. freigesprochen werden. "Setzen sie nicht den bisherigen Fehlern durch eine Verurteilung noch die Krone auf", forderte er die Richter auf.

Die Verteidiger haben in ihrem Plädoyer noch 38 neue Hilfsbeweisanträge gestellt. Deshalb wird beim nächsten Termin am 24. Juli zunächst über das weitere Prozedere entschieden, ein Urteil ist an diesem Tag nicht zu erwarten. Die Angehörigen des Angeklagten klatschten den Verteidigern draußen vor dem Saal noch Beifall. "Warten sie damit lieber noch ab", wehrte Anwalt Witting die Gratulanten ab.

An Charlotte Böhringers Grab auf dem Ostfriedhof ist in diesen Tagen nicht so viel los. Auf ihrem Grabstein steht als Todesdatum der 16. Mai. Kein Angehöriger hat es bislang für nötig befunden, das falsche Datum auf den 15. ändern zu lassen. Absicht oder Nachlässigkeit? Vieles ist eben ungewöhnlich an diesem Fall.

© SZ vom 21.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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