Moderne Schatzsucher:Der Schatz im Marmeladenglas

Lesezeit: 3 min

Schnitzeljagd für Technikfans: Mit einem GPS-Empfänger machen sich Geocacher auf die Suche nach geheimen Verstecken.

Hendrik Maaßen

Heidi, Marcel, Frank und Mathias stehen vor einem heruntergekommenen Haus am Stadtrand von München. Auf dem Gelände einer verlassenen Ziegelei suchen sie nach einem Schatz. Vorsichtig späht Marcel Wolf durch eine halboffene Tür in das marode Gebäude. Im gleichen Moment schaut ein bärtiger Mann aus einem Fenster im ersten Stock. Er hält eine Kamera in der Hand. "Sucht ihr auch nach Foto-Motiven?", fragt er, doch um gute Bilder geht es Frank Frohberg, Heidi Ziegelmayer und Mathias Haushofer an diesem Tag nicht. "Wir machen so eine Art Schnitzeljagd", sagt Frank. Der Hobby-Fotograf schaut etwas ungläubig. Vier erwachsene Menschen Ende 20 widmen sich noch immer dem Spiele-Klassiker längst vergangener Kindergeburtstage?

Nur mit Hilfe eines Navigationsgeräts machen sich die Geocacher auf die Suche nach Schätzen. (Foto: Foto: dpa)

Marcel Wolf fängt an zu erklären, und schon am ersten Satz erkennt man, dass er das häufiger tun muss. "Das Ganze nennt sich Geocachen und ist eine Schatzsuche mit Hilfe eines GPS-Empfängers. Wir haben nur die Startkoordinaten und müssen hier vor Ort Rätsel lösen." Mit den richtigen Antworten können die Geocacher dann die Endkoordinaten ausrechnen - und das Navigationssystem führt sie zu einem "Schatz". Nach den Regeln der Geocacher sollten sich die Schatzsucher beim Suchen möglichst nicht beobachten lassen und nichts von der Suche erzählen. Sonst verschwinden die kleinen Schätze vielleicht später.

Rätsel verrät die Ziel-Koordinaten Über 100.000 versteckte Film- oder Tupperdosen, Einmachgläser oder Metallkisten soll es in Deutschland mittlerweile geben - ungefähr 500 davon sind im Stadtgebiet München zu finden. In Parks und an der Isar, in Hinterhöfen und am Flughafen, an Badeseen und in der Innenstadt. Alle Schätze sind mit einem mehrsprachigen Hinweis versehen, dass es sich bei dem Gegenstand um einen Bestandteil eines Spiels handelt, der möglichst nicht entsorgt werden sollte. Es gibt Dosen auf kleinen Inseln oder unter Wasser, nur per Boot oder in der Badehose erreichbar, für andere braucht man eine Kletterausrüstung. Zu den Verstecken gibt es oft liebevoll ausgeschmückte, komplizierte oder humorvolle Geschichten.

"Welche Beilage gab es an dem Todestag des Opfers zu essen?", heißt eines der Rätsel, das die vier Schatzsucher an diesem Sonntag lösen müssen. Für die Antwortmöglichkeiten stehen unterschiedliche Zahlen, die später, wenn alles richtig gelöst wurde, die korrekten Ziel-Koordinaten ergeben. Die GPS-Freunde haben sich heute einen sogenannten Mystery Cache ausgesucht, bei dem es um den besonderen Ort geht, den die Suchenden durch die Aufgabe kennenlernen.

Die dazugehörige Geschichte handelt von einem Mordfall, der aufgeklärt werden muss. In der Schauergeschichte, die sich der Erfinder des Caches ausgedacht und dann im Internet veröffentlicht hat, wurde ein Arbeiter auf dem Gelände ermordet. "Solche Mystery-Caches sind schon etwas besonderes", sagt Mathias Haushofer. "Gerade weil es mittlerweile auch jede Menge Schrott gibt", fügt Frank Frohberg hinzu und meint damit lieblos versteckte Schätze.

Einige davon haben sie am Tag zuvor gehoben. Marcel und Frank waren mit einem Freund nach Lindau gefahren, um auszuprobieren, wie viele Caches sie an einem Tag schaffen können: Nach 15 Stunden und 60 Kilometern auf dem Rad hatten sie 77 Verstecke mit GPS Hilfe gefunden. Persönlicher Rekord!

Technik an der frischen Luft "Der Reiz am Cachen ist, dass man nicht weiß, was einen erwartet", erklärt Mathias. "Außerdem ist man an der frischen Luft und kann gleichzeitig mit einem technischen Gerät herumspielen", merkt Heidi mit Blick auf die drei Informatiker grinsend an. "Geocachen ist aber kein Hobby von Computer-Freaks, die mit der Technik an die frische Luft gelockt werden müssen", beteuert Marcel.

Seitdem die Freizeitbeschäftigung im Jahr 2000 mit dem ersten Cache südöstlich von Berlin aus den USA auch in Deutschland ankam, ist die Zahl der Geocacher hierzulande stetig gewachsen - und mit ihr die Probleme. Die meisten Verstecke liegen abseits von Wegen, immer mehr "Caches" liegen mitten in der Natur, um erfahrene Schatzsucher herauszufordern - oft zum Leidwesen von Umweltschützern. Selbst Fledermaushöhlen würden als Versteck genutzt, klagten jüngst bayerische Umweltverbände. Bei gutem Wetter kraxelten 20 bis 30 Geocacher am Wochenende in Höhle herum, die eigentlich ein Rückzugsort für die Tiere sein sollten.

Verwaltet und organisiert werden die Schätze ausschließlich über das Internet. Jeder kann sich spannende Orte suchen, und dort für andere Schnitzeljäger etwas hinterlassen. Die wichtigsten Informationen zu allen Caches sind auf einem Online-Portal einsehbar. Ansonsten braucht der moderne Schnitzeljäger nur ein satellitengestütztes Navigationssystem und gute Augen.

Auf dem alten Ziegelei-Gelände haben die vier Schnitzeljäger nach gut einer Stunde den letzten Hinweis gefunden. "230 Meter bis zum Ziel", liest Frank von seinem GPS-Gerät ab. Mit dem Blick halb auf dem Display und halb auf dem Boden geht es über ein Feld auf eine Böschung zu. Gut eine Viertelstunde krabbeln die Geocacher durchs Gehölz. Dann endlich hält Frank ein ausgekochtes Marmeladeglas in den Händen und verzeichnet den Fund auf seinem Notizblock. "Für die eigene Statistik."

Doch der Schatz, den die vier Münchner soeben gehoben haben, ist kein echter. Wie sich später herausstellt, ist der richtige vor kurzem verschwunden, der Besitzer musste zwischenzeitlich einen Ersatzcache auslegen. Die vier Finder tragen sich dennoch mit ihren Pseudonymen, dem Datum und der Uhrzeit in das Logbuch ein, das im Glas war. Dann wird das Marmeladenglas wieder sorgfältig an derselben Stelle versteckt. Der nächste Geocacher kann kommen.

© SZ vom 07.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: