Medizin nur für Männer:Vier Jahre hoffen - und dann kommt das Glück

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Frauenärzte sind etabliert - aber Männerärzte? Der Münchner Gregory B. wollte immer ein Kind, doch es klappte jahrelang einfach nicht. Bis er sich eines Tages endlich überwindet und in eine Klinik geht.

Florian Haamann

Bald vier Monate ist Christian inzwischen alt, sein Vater ist stolz und glücklich. Angeblich schreit der Kleine nur ganz selten. (Foto: Robert Haas)

Diesen unvergesslich schönen 7. August 2012 hätte es für Grzegory B. eigentlich gar nicht geben dürfen. An diesem Tag wurde sein Sohn Christian geboren - obwohl Grzegory B. unfruchtbar ist. Lange Zeit hatte es für ihn so ausgesehen, als ob sein Kinderwunsch für immer unerfüllt bleiben würde. "Mehr als vier Jahre mussten meine Frau und ich auf unser Baby warten", erzählt er. Eine anstrengende, manchmal unerträgliche Zeit mit vielen Arztbesuchen sei das gewesen. "Anfangs habe ich ja gar nicht gewusst, dass das Problem bei mir liegt." Deshalb schickte er erst einmal seine Frau zum Arzt. Heute weiß er nicht mehr, warum er damals wie selbstverständlich davon ausging, dass bei ihr etwas nicht stimmt. "Warum bin ich eigentlich nicht als erstes gegangen?"

Als klar ist, dass seine Frau gesund ist, stellen sich bei Grzegory die ersten Zweifel ein, ob er sich untersuchen lassen soll. Oder sollen sie einfach weiter probieren, ein Kind zu zeugen? Er entscheidet sich dafür, jetzt selbst zum Arzt zu gehen und sucht eine Freisinger Privatklinik auf. "Der Arzt hat nur zehn Minuten mit mir geredet und gesagt, dass die Erfolgschancen bei maximal 20 Prozent stehen."

Außerdem bietet der Arzt an, Grzegory gleich am nächsten Tag zu operieren. Wie er ohne genaue Untersuchung auf die 20 Prozent kommt, kann sich Grzegory bis heute nicht erklären. "Ich glaube, der wollte einfach nur Geld mit mir machen. Also habe ich Nein gesagt." Um 12.10 Uhr, daran erinnert er sich noch genau, verlässt er die Klinik mit dem trüben Befund. Er ruft seine Frau an und sagt ihr, dass er wohl niemals Kinder kriegen kann. "Als ich zu Hause angekommen bin, haben wir uns in den Arm genommen und angefangen zu weinen."

Grzegory B. ist ein großer, sportlicher Mann, 36 Jahre alt, von Beruf Monteur. Kein Mann, dem man auf den ersten Blick ansieht, dass er seinen Gefühlen auch mal hemmungslos freien Lauf lassen kann. Wenn er allerdings auf seinem Sofa sitzt, offen von seiner Leidenszeit und seinen Gefühlen erzählt, während er zwischendurch immer wieder nach seinem Baby schaut, es liebevoll mit seinen kräftigen Händen über die rosigen Wangen streichelt, wirkt er geradezu zerbrechlich und gütig.

Nach dem Besuch in Freising werden die Zweifel stärker, Grzegory hat Angst davor, einen weiteren Arzt zu konsultieren. Angst davor, dass sich die Prognose bestätigt, dass er selbst mit medizinischer Hilfe niemals ein Kind bekommen wird. Neun Monate hadert er, fragt sich, ob er überhaupt noch einen Versuch starten soll. Gemeinsam mit seiner Frau denkt er darüber nach, ein Kind zu adoptieren. "So eine Phase, wie ich sie damals durchleben musste, wünsche ich wirklich keinem Mann. Das ist Stress und Verunsicherung pur." Freunde und Familie ermutigen ihn, es dennoch zu versuchen. "Meine Eltern haben gesagt: Junge, wenn du es nicht probierst, wirst du niemals Gewissheit haben und dich immer fragen, was wäre gewesen, wenn?"

Sein Bruder erzählt ihm vom Klinikum Großhadern, wo dessen Sohn mehrfach operiert wurde. Ein Krankenhaus, mit dem er zufrieden war. Auch der Arzt seiner Frau empfiehlt den beiden einen Besuch in Großhadern. Also überwindet Grzegory seine Ängste und lässt sich einen Termin geben.

Dort ist dann alles anders, wie er sagt. Die Ärzte untersuchen ihn gründlich, sie sind stets offen und freundlich. "Auf einmal habe ich mich ernst genommen und wohl gefühlt. Schon nach dem ersten Besuch war ich zum ersten Mal seit Langem wieder ein wenig optimistisch." Die erste Prognose lautet nun, dass die Chancen 50 zu 50 stehen. Die Diagnose: Grzegory hatte als Kind zwei Leistenbrüche, die nur unzureichend behandelt wurden. Dabei wurde der Samenkanal aus dem Hoden beschädigt. Per Ultraschall untersuchen die Ärzte seine Hoden und stellen fest, dass sie einwandfrei funktionieren.

Also macht er den Operationstermin aus. Dabei werden seine Hoden freigelegt, so dass die Ärzte die Spermien entnehmen können, sie werden direkt in flüssigem Stickstoff eingefroren. Dann ist Grzegorys Frau an der Reihe. Mit mehreren Spritzen wurde die Produktivität ihrer Eierstöcke gesteigert, am Ende hatte sie 21 Eizellen produziert, normalerweise liegt die Zahl zwischen acht und zehn. Sogar der Arzt sei angesichts dieser Zahl erstaunt gewesen, erzählt Grzegory lachend. Ein Teil dieser Eizellen wird befruchtet, zwei davon werden Grzegorys Frau eingepflanzt.

Zwar ist er bei der Operation dabei, er sieht allerdings nichts - ein Paravent ist zwischen ihm und seiner Frau aufgebaut. "Nach der OP sollte meine Frau noch 20 Minuten liegen bleiben. In der Zeit haben wir Entspannungsmusik gehört, lauter Vogelgezwitscher und Meeresrauschen." Insgesamt kostet die künstliche Befruchtung knapp 8000 Euro.

Und dann heißt es: Warten und hoffen, denn erst nach ungefähr zehn Tagen kann der Erfolg anhand der Hormonwerte im Blut überprüft werden. An welchem Tag sie das Ergebnis wussten? Grzegory schaut seine Frau an und fragt: "Wann hast du mit dem Rauchen aufgehört? Das war doch der Tag." Ein Blick in den dicken Schnellhefter, in dem alle Unterlagen zur Geburt gesammelt sind, verrät, dass es der 14. November war. An den Ablauf dieses Tages erinnert er sich noch genau. Gemeinsam gehen beide morgens zur Blutabnahme in der Klinik. Die Ärzte erklären, dass sie sich in den nächsten Tagen melden.

"Dann klingelte aber schon am Nachmittag mein Handy und der Arzte erzählte mir, dass es geklappt hat. Das Gefühl war wirklich der Hammer. Unbeschreiblich. Ich war so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben." Natürlich ruft er sofort seine Frau an, die gerade beim Einkaufen ist. Mitten im Supermarkt habe sie angefangen zu weinen, so sehr, dass die Leute besorgt nachgefragt haben, ob es ihr gut gehe.

Gut drei Monate ist der kleine Christian jetzt alt, und er ist ein tolles Baby, wie seine Eltern sagen. Er sei ausgesprochen ruhig und brav. Vor Kurzem waren die Eltern bei Grzegorys Schwester zu Besuch, als ein Vertreter zu ihr kam. "Nach einer ganzen Weile hat er gefragt, ob der Kleine überhaupt schreien kann, so ruhig war er." Kann er natürlich, wie Grzegory versichert, allerdings nur wenn er Hunger hat - oder Blähungen. Dabei lacht der stolze Vater. Sowieso strahlt er ziemlich viel.

Nur eine Frage lässt ihn noch immer nicht los: "Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum wir damals so lange gewartet haben. Wären wir früher zum Arzt gegangen, könnte wir heute schon unser zweites Kind haben." Denn, da sind sich die Eltern sicher, ein zweites Kind soll auf jeden Fall noch kommen. Die Spermien und Eier dafür sind schon in Großhadern eingelagert.

© SZ vom 26.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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