"Maß für Maß an den Kammerspielen:Jeder stirbt für sich allein

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Thomas Schmauser spielt den Herzog Vincentio in Puchers "Maß für Maß"-Inszenierung an den Kammerspielen .

Egbert Tholl

Erster Schmauser-Satz: "Es geht in der Kunst nicht ums Überleben, es geht ums Verrecken." Zweiter Schmauser-Satz: "Ich glaube nicht an allgemeingültige, moralisch verwertbare Wahrheiten." Dritter Schmauser-Satz: "Ein Einfall spielt nicht; Fehler spielen viel besser."

Der Herzog und Claudio: Thomas Schmauser und Lasse Myhr (liegend) (Foto: Foto: Arno Declair/oh)

Wenn man nun diese drei Sätze miteinander in Verbindung bringt und die Räume dazwischen auffüllt, dann müsste es möglich sein, dem Schauspieler Thomas Schmauser nahe zu kommen. Sicher kann man nicht sein, weil das eben erlebte Gespräch über einen hinweg fegte, dass man zwischenzeitlich nicht mehr wusste, wo einem der Kopf steht. Vielleicht in Franken, denn Schmauser kommt aus Burgebrach, das hat "2000Einwohner, aber zahlreiche Supermärkte und Tankstellen".

Wenn man 1972 in Burgebrach, irgendwo in der Nähe von Bamberg, geboren wird, dann wächst man nicht umgeben von Kunst und Literatur auf, dann wird man Bankkaufmann und redet breites Fränkisch; aber wenn man Thomas Schmauser ist, dann reicht das nicht sehr lange, dann muss etwas Anderes her. Im Berufsinformationszentrum drückten sie dem Jungbanker eine Kassette in die Hand, "Beruf Schauspieler".

Daraufhin bewarb er sich an der Falckenberg-Schule und sah in den Kammerspielen mit Dorns "Lear"-Inszenierung die erste richtige Theateraufführung seines Lebens - er selbst hatte daheim im Bauerntheater unter anderem in "Der Großvater lässt das Mausen nicht" mitgewirkt und in Bamberg die "Wiwawuschels" gesehen. Und bevor der "Lear" zu Ende war, war er schon aufgenommen an der Schule, und man kann sich gut vorstellen, wie Schmauser da durch die Gänge lief und immer laut "Wiwawuschels" brüllte, wie er es jetzt immer noch tut, wenn er in der Kantine der Kammerspiele sitzt, nach zehn Jahren Hannover und Hamburger Thalia-Theater, ein Khuon-Zögling war er, ein widerborstiger, verrückter, unglaublich freundlicher.

Jetzt geht Ulrich Khuon als Intendant nach Berlin, da wollte Schmauser nicht mit, und es traf sich gut, dass die Münchner Kammerspiele ihn wollten. Seit dem "Sturm" ist er da, jetzt inszeniert ihn wieder Stefan Pucher; Schmauser spielt die Hauptrolle in "Maß für Maß", am heutigen Samstag ist Premiere. Aber auch wenn er dazu tolle Dinge sagen kann, darum soll es jetzt gar nicht gehen, weil Thomas Schmauser sich viele Gedanken zu vielen Dingen macht und man diesen mäandernden Pfaden gerne folgt, mal sind sie fränkisch breit, mal ihre Ränder akkurat hochdeutsch eingesäumt, je nachdem, ob Schmauser über sich redet (was er gar nicht will) oder übers Theater.

Nun zurück zum ersten Schmauser-Satz, dem mit dem "Verrecken". Auf den kommt Schmauser, wenn er darüber nachdenkt, dass die Zeiten zwar schlecht, aber immer noch edel seien, dass gerade die Theater, die kaum mehr Geld für die Kunst haben vor lauter sparen, eher öde Dinge machen. Beim Theatertreffen war er und wunderte sich, dass da "die Luft nicht brenne" in den Diskussionen, dass da nur die Leute herumstehen "und ihr teures Zeug saufen".

Vielleicht ist das immer noch der Blick aus Burgebrach, der auf etwas fallen soll, das großartig, spannend und wichtig ist, bei allem Wissen, dass sein Beruf daheim überhaupt keine Relevanz habe, obwohl seine Eltern fast alles von ihm gesehen haben, nach Hamburg und Hannover gefahren sind. Die Summe all dieser Erfahrungen, die elterlichen explizit ausgenommen: "Du kannst dich abrackern wie ein Ochs und bleibst nur der Aff' am Hof."

Bei allem Überdruck: Schmauser ist kein Partyheld. Gar nicht. Gerade hat er in Finnland gedreht, einen "Spionage-Krempel" mit Emir Kusturica in der Hauptrolle, Regie führte Christian Carion, der Schmauser anrief, weil er dessen Gesicht brauchte. Wie bei "Merry Christmas", worin Schmauser an Heiligabend Fußball spielen durfte vor den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Finnland also, und Thomas Schmauser fühlte sich wohl. "Für mich ist Stille eine körperliche Attraktion."

Schmauser ist einer, der es verinnerlicht hat, einsam geboren zu sein und einsam sterben zu müssen. Das ist keine blöde Frankenwestern-Attitüde, das ist einfach so. Die Dreherlaubnis für den Finnen-Thriller hat er dem Kammerspiel-Intendanten Frank Baumbauer abgeschwatzt; viel dreht er eh nicht. Einmal war er ein rechtsradikaler fränkischer Kommissar, was den Franken Markus Söder in Rage brachte, weil der CSUler natürlich die Franken über den Nazi-Verdacht erhaben sehen wollte. Schmauser fand diese Diskussion völlig albern, siehe Schmauser-Satz zwei ("Moral").

Und nun zu Satz drei, zu den "Einfallen". Auf der Bühne könnte Thomas Schmauser aus Hamburg stammen, vielleicht auch aus Berlin. Er wird auf der Bühne leer, auch leer vom Dialekt, zunächst, weil er eben nicht von sich erzählen will. Und er will auch nicht wissen, was als nächstes kommt. Er vibriert, er ist unruhig. Er schaut die anderen auf der Bühne an.

Er liebt langsame Schauspieler wie André Jung, da hat er mehr Zeit zu reagieren. "Wenn alles auf der Bühne fixiert ist, gibt es nichts mehr zu glotzen." Und weiter: "Das Nachspielen einer Inszenierung ist doch der Wahnsinn." Also lebendig muss es sein. Im Moment. Aber kein Quatsch. Schmauser macht keinen Quatsch. Und nichts Festgelegtes. Denn umsonst ist er nicht von daheim weg.

© SZ vom 17.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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