Macher der Nacht:Der Nacht-Vergolder

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Tobias Lintz vom "Holy Home" und "Unter Deck" setzt auf Konstanz - und warnt vor den Folgen der Gentrifizierung: "Da kann Subkultur kaum mehr funktionieren"

Von Philipp Crone, München

Es klingt im ersten Moment wie ein Widerspruch: Tobias Lintz, 49, Betreiber des Holy Home, hat vor einigen Wochen seine Bar am Gärtnerplatz für 14 Tage geschlossen, um sie umzubauen. Er sagt: "Wir haben alles verändert, jetzt sieht es ganz genau so aus wie vorher." Während andere Betreiber darauf setzen, alle paar Jahre den Look ihrer Lokale so stark zu verändern, dass man das Gefühl hat, hinterher einen ganz neuen Laden zu betreten, setzt Tobias Lintz auf Konstanz. Alles neu, das bedeutet: neue Kühltechnik, Heizung, Toilettenbereich. Der Holzhüttencharme im kleinen Gastraum allerdings ist der gleiche geblieben. Der, den seit fast 20 Jahren die Münchner suchen, die oft am späteren Abend von ihren Start- oder Zweitlokalen dann doch noch weiterziehen wollen. Am liebsten an einen Ort, an dem in München nach Mitternacht noch diese Atmosphäre zu finden ist, bei der nach dem ersten Schluck Bier das Gefühl entsteht, dass alles doch eigentlich irgendwie ganz gut ist. Lauter Gleichgesinnte, die das Leben genießen, das ihnen ein gutes Getränk und einen leicht rauschigen Ratsch bietet. Diese Stimmung konnte Lintz schon immer erzeugen, der zweifache Vater und gelernte Vergolder.

Auf der Praterinsel arbeitete er Anfang der Neunzigerjahre, veranstaltete Partys im Münchner Umland, tagsüber vergoldete er Gegenstände, später am Tag die Abende, ein paar Jahre danach auch in seiner Werkbar im plötzlich aufgepoppten Party-Pionier-Eldorado Kunstpark Ost, ehe er am 2. Januar 1997 im ehemaligen Milchladen an der Reichenbachstraße 21 das Holy Home eröffnete. Da war die Welt des Weggehens in München noch in Ordnung. Zumindest klingt es heute danach, wenn Tobias Lintz über die Nacht in seiner Stadt spricht. Zunächst startete er mit dem sogenannten Holy, später war er am Club Erste Liga und am Café Platzhirsch beteiligt, vor einigen Jahren kam dann die Bar Unter Deck am Oberanger dazu.

"In den vergangenen Jahren hat sich das Ausgehverhalten deutlich verändert. Zum einen zentriert sich das Weggehen viel mehr auf das Wochenende im Vergleich zu früher." Und die Leute würden deutlich mehr eigene Veranstaltungen planen, und sei es nur, dass sie sich im Sommer mit einem Kasten Bier an die renaturierte Isar setzen. "Das Problem ist: München hat zwar eine Menge richtig guter Nachtleben-Profis, aber es fehlen die Orte." In den vergangenen vier Jahren seien so viele Musiker und Künstler abgewandert, weil die Gentrifizierung noch einmal richtig zugeschlagen habe. "Dass an der Müllerstraße der Bolzplatz erhalten bleibt, grenzt ja an ein Wunder."

Leerstand, so wie vor Jahren die ehemalige Kantine an der Blumenstraße, die dann zum Club Funky Kitchen wurde? Gibt es kaum mehr. "Wir bewegen uns auf Paris und London zu", sagt Lintz, "da kann Subkultur kaum mehr funktionieren." Als er in der Branche anfing zu arbeiten, habe man sein Geld zusammengekratzt und etwas auf die Beine gestellt, das sei heute kaum mehr möglich. "Wenn es so weitergeht, läuft das im Nachtleben in Zukunft auf Vollprofis raus, auf seelenlose Systemgastronomie."

Lintz ist nicht der einzige, der dieses Szenario skizziert. Selbst ein Bier im Holy Home kann einen nicht davor bewahren, mit einer gewissen Besorgnis daran zu denken.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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