Lokalbahn:Eine Bahn ins Hinterland

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Ein Jahrhundert lang war der Zug nach Altomünster tatsächlich ein Bummerl. Heute ist die Strecke elektrifiziert. Die Zahl der Fahrgäste wächst.

Von Robert Stocker

Mitte der Siebzigerjahre konnte der Autor dieser Zeilen noch mit der Lokalbahn um die Wette fahren. Er radelte täglich von Eisenhofen zum zwei Kilometer entfernten Bahnhof nach Erdweg. Oft erreichte er völlig abgehetzt gerade noch den Zug, mit dem er nach Dachau zur Schule fuhr. Als er sich zu Hause auf den letzten Drücker aufs Radl schwang, hörte er schon die Diesellok pfeifen, die gerade den Bahnhof in Kleinberghofen verließ. Das Wettrennen mit dem Zug begann. Im Höllentempo rauschte der Radler die Straße hinunter zum Bahnübergang am Petersberg. Den musste er überqueren, bevor sich die Schranke schloss - ein entscheidender Punkt für den Ausgang des Rennens. Wenn der Schüler das schaffte, war es gewonnen. Dann konnte er gerade noch auf den Zug aufspringen.

Die Zeit der Dieseltriebwagen auf der Linie A nach Altomünster ist seit Dezember 2014 vorbei. Zweieinhalb Jahre zuvor rollt noch ein alter Zug an Markt Indersdorf vorbei in Richtung Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Dieselloks rollten damals noch gemächlich dahin. Anfang der Neunziger wurde die Strecke zwischen Dachau und Altomünster ins Netz der Münchner S-Bahn eingebunden - mit der unglücklichen Bezeichnung Linie S A. Das "S" für S-Bahn wurde später aus dem Namen getilgt, um keine unangenehmen Assoziationen zu wecken. Schon damals war die Linie A ein wichtiges Verkehrsmittel für die Bewohner des Hinterlands. Für Menschen, die nach Dachau oder München zur Arbeit mussten, und für Kinder und Jugendliche, die zur Schule fuhren. Am Freitag- und Samstagabend nutzten junge Leute den Zug, um zur Diskothek "Spider" nach Altomünster zu kommen. Von Dachau aus betrug die Fahrzeit etwa 50 Minuten, wegen der Kurven und vielen ungesicherten Bahnübergänge waren die Dieselzüge nicht sonderlich schnell unterwegs. Als die Lokalbahn 1913 eröffnet wurde, zuckelten auf der eingleisigen Strecke noch Dampfloks. Ludwig Thoma fuhr noch lange nach seiner Zeit in Dachau regelmäßig zur Jagd nach Unterweikertshofen - auch mit der Bahn. Er verewigte sie in seinem Theaterstück "Lokalbahn" schon 1902, als sie noch längst nicht fuhr. Thoma hatte die Pläne für den Bau verfolgt. Jahrzehnte stand die Lokalbahn im Ruf, in erster Linie gemütlich zu sein. Auf die Dampfloks folgten Nahverkehrszüge und Dieseltriebwagen; in den Achtzigerjahren wurde eine zuggesteuerte Signaltechnik eingeführt, um die Reisezeit zu verkürzen. Die Fahrfrequenz der Züge blieb dennoch dürftig. Zuletzt verkehrten die Dieseltriebwagen auf der eingleisigen Strecke im Stundentakt. Die Lokalbahn, vulgo Bummerl oder Bockerl, blieb für viele Pendler uninteressant. Immer wieder wurden sogar Gerüchte laut, die Strecke werde aus Mangel an Fahrgästen eingestellt.

Jahrzehnte stand die Lokalbahn im Ruf, in erster Linie gemütlich zu sein

Die Schwarzseher sollten nicht Recht behalten. Der Landkreis setzte sich für den Erhalt der Linie ein und finanzierte einen von fünf neuen Triebwagen mit. Die Kosten für die restlichen Züge teilten sich Freistaat und Bahn. Ende der Neunzigerjahre kündigte der damalige Wirtschaftsminister Otto Wiesheu an, dass die Strecke einen Halbstundentakt erhalten soll. Zweigleisige Abschnitte und längere Bahnsteige sollten ihn ermöglichen. Nach der Jahrtausendwende begannen die Planungen für den Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke. 2008 leitete die Bahn das Verfahren zur Planfeststellung ein. Der Baubeginn war für 2012 geplant, nach vielen Verzögerungen begannen die Arbeiten erst im April 2014. Bei Schwabhausen und Erdweg entstanden zweigleisige Begegnungsabschnitte, die Station in Erdweg wurde zum Kreuzungsbahnhof umgebaut. Mehr als 30 Übergänge wurden mit einer neuen Sicherungstechnik ausgestattet. Im Dezember 2014 ging die S 2 Altomünster in Betrieb. Während der Berufsverkehrszeiten fahren die Züge jetzt im Halbstundentakt, ansonsten jede Stunde direkt nach München.

SZ-Grafik (Foto: iuz)

Seit dem Ausbau der Strecke ziehen die Fahrgastzahlen deutlich an. 2013, ein Jahr vor der Elektrifizierung, waren mit der Linie A 1 012 000 Menschen unterwegs, 2016 registrierte die S-Bahn München 1 264 000 Fahrgäste. Das entspricht einem Anstieg von 25 Prozent. Zwischen Altomünster und Dachau Stadt (ohne Dachau Bahnhof) hat sich ihre Zahl sogar um 38 Prozent erhöht. Denn viele Pendler aus dem Hinterland steigen jetzt an ihrem Wohnort in die S-Bahn ein und fahren nicht mehr mit dem Auto zum Dachauer Bahnhof. Die nicht repräsentative Umfrage unter den SZ-Lesern zeigt, dass vielleicht noch mehr Menschen die Züge nutzen würden - gäbe es mehr Park-und-Ride-Plätze. Die Hälfte der Befragten findet, dass es zu wenige gibt. Und während in der Kreisstadt 91 Prozent der Leser mit dem Nahverkehrsangebot zufrieden sind, trifft das nur auf 58 Prozent der Bewohner im restlichen Landkreis zu. Da ist noch deutlich Platz für Verbesserungen. Im Landkreis nutzen laut SZ-Umfrage 45 Prozent der Teilnehmer täglich das eigene Fahrzeug. Diese Zahl deckt sich mit einer Erhebung aus Karlsfeld und der Studie "Mobilität in Deutschland", mit der das Landratsamt arbeitet. In der gesamten Region nutzen nur 40 Prozent täglich das eigene Auto oder Motorrad.

Münchens S-Bahn-Chef Heiko Büttner ist zuversichtlich, dass die Zahl der Fahrgäste der S 2 Altomünster weiter zunehmen wird. Eine Aussage, die die Verkehrsplaner des Landkreises gerne hören. Sie arbeiten derzeit an einem Konzept, das den öffentlichen Nahverkehr attraktiver macht. "Ziel ist ein deutlicher Ausbau des Angebots", unterstreicht Albert Herbst, Leiter des Sachgebiets öffentlicher Nahverkehr am Landratsamt. Vermutlich würden noch mehr Menschen die S 2 Altomünster nutzen, wenn sie im 20-Minuten-Takt führe. Der ist auch auf eingleisigen Strecken möglich, wie das Beispiel der S 7 nach Wolfratshausen zeigt. Voraussetzung dafür sind Kreuzungsbahnhöfe, an denen sich die Züge begegnen können. Außerdem muss es einen Bedarf für den 20-Minuten-Takt geben, sprich, die Zahl der Fahrgäste muss ausreichend groß sein. "Dafür muss die Politik die Weichen stellen", sagt ein Sprecher der Bahn AG. "Dann bestellt die Bayerische Eisenbahngesellschaft die Fahrten der Züge, und die Bahn baut die Strecke aus."

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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