Leben nach dem Fußball: SZ-Serie "Wie ausgewechselt":Drüben und Droben

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111 Tore in 276 Spielen: Dieter "Mucki" Brenninger bildete mit Gerd Müller ein kongeniales Sturmduo. Er gewann mit dem FC Bayern etliche Titel, dann wechselte er zu einer Privatbrauerei

Von Stefan Galler

Wenn Dieter Brenninger in seiner gemütlichen Bauernstube in Altenerding sitzt und davon spricht, dass er erst letztens wieder "droben" gewesen ist, dann meint er damit nicht den ersten Stock seines Hauses oder einen Berggipfel in den Voralpen. Vielmehr geht es dabei um München, genauer gesagt um den Stadtteil Harlaching, die Säbener Straße. Mit "droben" meint er das Vereinsgelände des FC Bayern.

Wenn er "drüben" sagt, meint Brenninger weder das Nachbarzimmer, noch die ehemalige DDR. Sondern die Privatbrauerei Erdinger Weißbräu, seine zweite lieb gewonnene berufliche Heimat, deren Firmensitz nur gut zwei Kilometer vom Wohnhaus des 71-Jährigen entfernt ist. Nach seiner Fußballkarriere als Profi, die sich nicht nur in München-Harlaching, sondern auch bei den Young Boys Bern und beim VfB Stuttgart abgespielt hat, heuerte der bodenständige Familienvater beim Erdinger Weißbräu an, auch weil er seit Jahren freundschaftliche Bande mit Firmenchef Werner Brombach pflegte, und dieser frühzeitig wusste, dass Sportler als Botschafter für seine Marke eine hohe Bedeutung haben konnten.

"Mucki", wie sie Brenninger seit seiner Zeit beim FC Bayern nennen, wurde Verkaufsleiter, hielt Kontakt mit Getränkemärkten und Wirtschaften. Und er präsentierte die Marke "Erdinger" auf Lebensmittelmessen wie der Hamburger "Internorga" oder der "Anuga" in Köln. Dort nutzte er seine Kontakte, holte auch mal Stars wie Uwe Seeler zu Autogrammstunden an den Stand. "Man kann sagen, dass Dieter Brenninger der erste Vertriebler unseres Unternehmens war", sagt der aktuelle Marketingleiter Wolfgang Kuffner. Brenninger hatte in der Stadt nicht nur wegen seiner Karriere als Fußballer einen Namen, sein Vater war einst Bürgermeister von Altenerding gewesen, noch heute heißt die kleine Fußball-Arena dort "Sepp-Brenninger-Stadion". "Als Mucki damals unterwegs war, konnte kein Wirt sagen: ,Euer Bier nehmen wir nicht'", sagt Kuffner und spricht ihm sogar noch eine weiterreichende Bedeutung für die Region zu: "Durch Brenninger und einige andere Persönlichkeiten ist Erding erst zu dieser bildschönen Stadt geworden. Der Handel floriert, die Leute leben gerne hier und wollen auch nicht andauernd nach München."

Und wieder einmal hatte der gegnerische Torwart das Nachsehen: Hier trifft er zum 1:0 gegen den FC Schalke 04, Torwart Norbert Nigbur hat keine Chance. (Foto: Imago)

Den regionalen Markt hatte das Erdinger Urgestein fest im Griff, doch auch mit dem FC Bayern verhandelte Brenninger: "Ich bin schon ein paar Mal zu Uli Hoeneß raufgefahren", sagt er. Seine Verbindung zum Verein spielte auch eine Rolle dafür, dass die Biermarke zwischenzeitlich sechs Jahre lang der offizielle Bierausrüster des Vereins war.

Bis dahin war die Privatbrauerei Erdinger Weißbräu schon gewaltig gewachsen: "Als ich angefangen habe, hatten wir einen Ausstoß von vielleicht 200 000 Hektoliter im Jahr. Mittlerweile sind es 1,8 Millionen", sagt er und ergänzt, dass er "schon stolz" sei, dazu beigetragen zu haben, die Marke bekannt zu machen. Dazu hat auch Brenningers ehemaliger Mitspieler Franz Beckenbauer seinen Anteil geleistet, er wurde während der Zeit, als im Stadion und am Trainingsgelände Erdinger Weißbräu ausgeschenkt wurde, Repräsentant der Brauerei. Mit seiner Verpflichtung hatte Brenninger übrigens nichts zu tun, wie er sagt: "Die Verträge mit dem Franz sind beim Golfspielen ausgehandelt worden. Und ich bin kein Golfer."

Dabei kennt er den Fußball-Kaiser schon, seit er im Jahre 1962, da war Brenninger 18 Jahre alt, droben beim FC Bayern, angekommen ist. Er war noch nicht der "Mucki", denn zunächst hatten sie ihm als Neuankömmling im Verein den Namen "Wucki" verpasst. Später machte Trainer Zlatko "Tschik" Čajkovski daraus "Mucki", weil er es mit der deutschen Sprache nicht immer so genau nahm. Als Brenninger zu den Bayern kam, hatte er gerade seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einer Münchner Buchhandlung abgeschlossen. Da wagte er auch fußballerisch den Schritt in die Großstadt - ausgehend von seinem Stammverein, der SpVgg Altenerding.

Vor fünfzig Jahren gelang der Aufstieg in die Bundesliga - im August wurden Dieter Brenninger und seine damaligen Teamkollegen dafür geehrt. (Foto: Imago)

Die Löwen wären damals für den kernigen Bayern ebenfalls eine Alternative gewesen, 14 Tage lang war er im Probetraining bei Sechzig. Aber dann habe er sich doch für Bayern entschieden. "Es war wie beim Franz, nur dass ich keine Watschn bekommen hab", sagt er und spielt auf jene Auseinandersetzung an, die den jungen Beckenbauer damals von der Grünwalder Straße weg hin zum roten Nachbarn getrieben hatte. Bei Brenninger lief die Entscheidung gewaltfrei ab, Bayern war ihm einfach sympathischer. "Und ich wusste, dass sie eine bessere Jugendarbeit machen." Dass er gemeinsam mit Gerd Müller ein kongeniales Sturmduo bilden würde, war damals noch nicht absehbar. "Ich war immer Mittelstürmer - bis der Gerd kam, dann bin ich Linksaußen geworden", sagt Brenninger. Das jetzige Schicksal des ehemaligen Kollegen setzt ihm zu: "Ich wollte ihn im Pflegeheim besuchen, aber man hat mir gesagt, dass das nicht viel Sinn hat", erklärt er traurig. Der an Demenz erkrankte Gerd würde ihn höchstwahrscheinlich nicht mehr erkennen.

Und so bleibt die Erinnerung an viele gemeinsame Fußballschlachten: 276 Spiele betritt der trickreiche, schnelle Angreifer insgesamt für den FC Bayern, erzielte dabei 111 Tore. Mit Brenninger gewann der Verein dreimal den DFB-Pokal (1966, 1969, 1971), 1969 die deutsche Meisterschaft und 1967 in Nürnberg gegen die Glasgow Rangers den Europapokal der Pokalsieger.

Nur eine größere Karriere in der Nationalmannschaft blieb ihm versagt, lediglich ein Einsatz steht zu Buche, als Einwechselspieler 1969 in Nürnberg gegen Österreich. Er traf den Pfosten, doch das genügte nicht, um auf den WM-Zug für 1970 aufzuspringen. "Es war damals viel schwieriger, weil kaum Ausländer in der Bundesliga spielten", sagt Brenninger ohne Wehmut. "Da hatte der Bundestrainer eine riesige Auswahl." Helmut Schön konnte auf der Position des Linksaußen zwischen ihm, Lothar Emmerich, Hannes Löhr, Schorsch Volkert und Siggi Held wählen.

111 Tore erzielte Dieter "Mucki" Brenninger als Sturmpartner von Gerd Müller für den FC Bayern München. (Foto: Bauersachs)

Nationalelf hin oder her, sein größter Karriereerfolg sei der Aufstieg in die Bundesliga 1965 gewesen: "Das war der Grundstein für alle späteren Erfolge des Vereins." Ein bisschen ärgert ihn schon, dass immer nur von der Achse Maier-Beckenbauer-Müller die Rede ist, wenn über die Bayern von vor 1970 gesprochen wird. Dabei habe es schon damals eine Reihe hervorragender Fußballer in der Mannschaft gegeben, Werner Olk und Rainer Ohlhauser etwa, der heute schwer kranke Adi Kunstwadl oder auch Peter Kupferschmidt, mit dem Brenninger noch immer eng befreundet ist. Regelmäßig besucht er mit dem früheren Teamkameraden einen Stammtisch ehemaliger Löwen wie Hans Rebele, Hans Reich oder Fredi Heiß. "Wir sind meistens in der Unterzahl, aber zwei reichen ja normal auch für acht Sechziger", sagt er und lacht.

Kupferschmidt war es auch, der dem FC Bayern im Sommer in Erinnerung gerufen hatte, dass sich der Aufstieg heuer zum 50. Mal jährte. "Die wären da von allein gar nicht draufgekommen", sagt Brenninger mit einem Hauch Bitterkeit. So kam es dazu, dass die alten Recken vor dem ersten Bundesligaspiel der neuen Saison gegen den HSV in der Fröttmaninger Arena offiziell geehrt wurden.

Der Liebe zu seinem Verein tun die klitzekleinen Eitelkeiten keinen Abbruch. Mit Stolz zeigt er seinen FCB-Mitgliedsausweis, Nummer 2020. Es mache schon Spaß, der heutigen Mannschaft zuzusehen. Die sei sogar besser aufgestellt als Real Madrid in den Sechzigerjahren, sagt Brenninger: "Puskas, Gento, Di Stefano, Santamaría - das waren unglaubliche Weltklassespieler. Aber in der Breite ist der FC Bayern heutzutage stärker."

Neben der Begeisterung für Fußball und Reisen steht sein Leben seit seiner Pensionierung 2007 voll im Zeichen der Familie. Mit Ehefrau Inge feiert er im kommenden Jahr Goldene Hochzeit, sein Sohn Andreas hat mittlerweile den Job als Verkaufsleiter "beim Erdinger" (Brenninger) übernommen. Und seine drei Enkelkinder sind das Ein und Alles des "Mucki-Opa", wie sie ihn nennen. Die Zwillingsmädchen, 14, spielen Handball in Altenerding, dem Buben hat er einst versucht, Fußball schmackhaft zu machen - vergeblich, heute ist er 16 und ein passabler Kickboxer.

So beweglich ist der Großvater nicht mehr. Seit 20 Jahren hat er eine künstliche Hüfte, im Januar dieses Jahres musste er sich einer schweren Knieoperation unterziehen. Deshalb spielt er auch selbst nicht mehr Fußball. Aber Trainer ist er immer noch, früher bei 1860 Rosenheim und seinem Stammverein SpVgg Altenerding, heute in der Betriebsmannschaft: drüben beim Weißbräu.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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