Wohnungsnot im Landkreis:Wenn der Lohn nicht für die Miete reicht

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Die Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt muss sich zunehmend um Menschen kümmern, die trotz Jobs ihre Wohnungen verlieren. Das Hilfsangebot für Obdachlose soll auf den gesamten Landkreis ausgeweitet werden.

Von Christina Hertel, Landkreis

Die Mutter ist Altenpflegerin, der Vater arbeitet in der Gastronomie. Sie haben fünf Kinder und verlieren ihre Wohnung. Im Landkreis München finden sie keine neue, werden obdachlos. Am Ende müssen sie in eine Pension ziehen. Geschichten wie diese hört Stefan Wallner immer öfter. Er leitet die Wohnungsnotfallhilfe der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Wallners Eindruck lässt sich an den Zahlen ablesen, welche die Awo in ihrer Jahresbilanz präsentiert: 2016 bestand bei Bewohnern von etwa 430 Haushalten die Gefahr, ihre Wohnung zu verlieren - obwohl sie einer Arbeit nachgingen und keine Unterstützung vom Staat bekamen. Vor vier Jahren betrug diese Zahl nicht einmal die Hälfte. Für Wallner eine alarmierende Entwicklung: "Offenbar reicht der Lohn immer öfter nicht, um im Landkreis die Miete zu zahlen."

Insgesamt hat die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit 2016 in gut 1200 Fällen beraten - dahinter stecken die Schicksale von 2400 Menschen, darunter 770 Kinder. Wallner nimmt jeden davon ernst. "Es melden sich nur Menschen bei uns, die in einer Notsituation sind." Die gute Nachricht dabei: Bei den meisten, nämlich bei fast Dreiviertel, konnte noch innerhalb des Jahres 2016 das Problem gelöst werden - entweder wurde der Wohnraum erhalten oder neuer gefunden. Für den Rest hofft Wallner, in diesem Jahr eine Bleibe zu schaffen.

Nur bei einer kleinen Prozentzahl könne die Beratungsstelle gar nicht helfen. "Nicht selten lassen sich die Vermieter überreden, doch nicht zu kündigen", sagt Wallner. Aber viele Betroffene wenden sich erst spät an die Beratungsstelle. Manche zu spät. Wallner berichtet aber auch von Fällen, bei denen die Wohnung bereits ausgeräumt war und der Mieter dann doch wieder einziehen konnte, als ein Berater half. "Der Vermieter meinte: Sie hätten doch nur einmal mit mir sprechen müssen." Doch viele schämten sich - und oft ist die Sprache eine Hürde.

Fast dreimal so viele Fälle wie 2012

Nicht nur anerkannte Asylbewerber tun sich schwer, im Raum München Wohnraum zu finden. Immer öfter sind auch Menschen aus der EU, aus Italien, Spanien, Rumänien gefährdet, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren. 2016 waren in 250 Fällen EU-Bürger davon bedroht, obdachlos zu werden, fast dreimal so viele wie 2012. "Das sind Menschen, die nach Deutschland kommen, um Arbeit zu finden", sagt Wallner. "Zunächst nimmt sie vielleicht jemand aus der Familie auf. Aber auf Dauer geht das meist nicht." In Haar hätten einmal 16 Menschen in zwei Zimmern gewohnt. Als der Vermieter das bemerkte, mussten alle raus. Viele Gemeinden stoßen da an ihre Grenzen. Zwar sind sie dazu verpflichtet, sich um diese Menschen zu kümmern und ihnen eine Unterkunft zu beschaffen. Aber oft fehlt der Wohnraum in der eigenen Kommune. Also schließen sie Verträge mit Pensionen in der Landeshauptstadt ab. Eine Betreuung durch Sozialarbeiter gibt es dort allerdings nicht.

Nur in Unterschleißheim, Planegg, Gräfelfing und Höhenkirchen-Siegertsbrunn gibt es eine professionelle Obdachlosenberatung. Für die letzten drei Gemeinden ist die Awo-Mitarbeiterin Tanja Fees zuständig. Sie hat 2016 fast 50 Menschen unterstützt und weiß, dass die Betroffenen oft mehr Probleme haben als die fehlende Wohnung. Deshalb hilft sie im Alltag, verschafft sich zuerst einen Überblick über die finanzielle Situation. Wie hoch sind die Schulden? Welche staatlichen Leistungen könnte jemand in Anspruch nehmen? "Ich zeige zum Beispiel, wie man eine Überweisung ausfüllt oder wie ein Dauerauftrag funktioniert." Sind die Betroffenen arbeitslos, hilft Fees beim Schreiben der Bewerbungen, übt mit ihnen das Vorstellungsgespräch. Wenn es so weit ist, vereinbart sie Termine für Wohnungsbesichtigungen. Gerade bei Menschen mit Akzent oder einem fremd klingenden Namen helfe es, wenn zuerst sie beim Vermieter anruft.

Konzept für mobile Berater

Doch selbst mit dieser Hilfe ist es für Obdachlose schwierig, wieder in eine eigene Wohnung zu ziehen. Bei Menschen, die zwar noch eine Wohnung haben, aber dennoch von Obdachlosigkeit bedroht sind, dauert es nahezu ein halbes Jahr, ehe sie eine neue Wohnung finden. Bei Menschen, die bereits obdachlos sind, im Schnitt mehr als doppelt so lang, mehr als ein Jahr, besagt die Statistik der Arbeiterwohlfahrt.

Die Awo im Landkreis fordert deshalb eine Obdachlosenberatung für alle Gemeinden im Landkreis - über die vier bestehenden Kommunen hinaus. Ein Konzept für mobile Berater, die im Notfall zur Stelle sind, hat der Verband dem Landratsamt bereits vorgelegt. Außerdem will die Awo auf ihrer Homepage www.awo-kvmucl.de ein mehrsprachiges Hilfsangebot veröffentlichen. Und auch für Familien, bei denen die Eltern zwar eine Arbeit haben, das Geld aber für die Miete nicht reicht, will der Verband etwas tun: günstigen Wohnraum schaffen. Dafür hat die Awo vor vier Jahren eine Wohnbaugenossenschaft gegründet. Doch bislang wurde nur geplant, nichts gebaut. Das größte Problem sei, an die Grundstücke zu kommen, sagt Max Wagmann, Vorsitzender des Kreisverbands München-Land. "Wir hoffen, dass es bald los geht."

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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