Unterschleißheimer Schau:Der Radierer mit dem Schäferwagen

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Sion Longley Wenban fing in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit feinen Strichen das Münchner Stadtleben und die bäuerliche Landschaft bei Schleißheim und Dachau ein. Eine Ausstellung vereint jetzt einige seiner Werke

Von Laura Zwerger, Unterschleißheim

Ganz zart, Strich an Strich, wie eine Erinnerung in schwarz-weiß. Die Radierungen von Sion Longley Wenban (1848 bis 1897) zeigen München und sein Umland aus einer Perspektive, die wir heute nur noch erahnen können. Vor etwa 150 Jahren hat der Künstler lokale Motive in seinen Radierungen festgehalten. In der Umgebung von Schleißheim gefielen ihm die schlichten Bauernhöfe, wie verwunschen in die Natur eingepasst. "Die Gegend hier, diese Ruhe und die Ebenen mit den Baumkonstellationen, die haben Wenban fasziniert", erzählt Heimatforscher Wolfgang Christoph aus Unterschleißheim.

In den Jahren 1888 und 1889 verbrachte Wenban viel Zeit bei Schleißheim und im Dachauer Moos. "Er hat sich damals einen Schäferwagen gekauft und ist bei jedem Wetter raus in die Natur gefahren", erzählt Christoph. Dabei faszinierten ihn weniger die königlichen Prunkgärten und -bauten Oberschleißheims, sondern er konzentrierte sich vielmehr auf rustikale, beinahe ärmliche Bauernhöfe. Vor allem die Einsamkeit in den Ebenen soll dem Charakter des Künstlers entsprochen haben. "Er war ein Eigenbrötler, hatte nur wenige Freunde", sagt Christoph. Wenban lebte seinerzeit sehr bescheiden, zu Wohlstand brachte er es mit seiner Kunst nicht. Dennoch muss ihm das Münchner Umland auf eine andere Art Genugtuung bereitet haben, da der gebürtige Amerikaner doch eigentlich nur zum Studium für ein paar Jahre nach München kommen wollte. Zurück kehrte er jedoch nie mehr.

Sion Longley Wenban fand in Unterschleißheim Inspiration für seine rustikalen Landschaftsradierungen, z.B. "Das Gehöft mit der Pappel und dem kahlen Baum".

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(Foto: Claus Schunk)

In der aktuellen Ausstellung...

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(Foto: Claus Schunk)

...sind Ansichten von...

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(Foto: Claus Schunk)

...München zu sehen.

Seine Kindheit verbrachte Wenban in Ohio und bereits zu Schulzeiten soll seine zeichnerische Begabung herausgestochen haben. Mit 15 Jahren wurde er dann im Atelier eines Fotografen zum Retuscheur ausgebildet. Nachdem er an der New Yorker Kunstakademie Zeichnen gelernt hatte, zog es ihn in die damalige Kunstmetropole München.

"In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt München als führende Kunststadt", erklärt Daniela Benker vom Kulturamt Unterschleißheim. "Wenban muss sehr beeindruckt von der Architektur gewesen sein." Dies spiegelt sich auch in seinen Werken wieder. In späteren Radierungen sind viele bekannte Bauwerke des Münchner Stadtbildes zu sehen, darunter auch das Siegestor oder der Stachus, die derzeit in einer Ausstellung in Unterschleißheim zu sehen sind.

In seinen ersten Jahren in München war Wenban an der Kunstakademie eingeschrieben. Der Unterricht dort soll ihm jedoch schon bald nicht mehr genügt haben und er begann, selbst Techniken auszuprobieren. "Die Kunst des Radierens hat sich Wenban autodidaktisch beigebracht", erzählt der Unterschleißheimer Heimatforscher Christoph. Und das mit großem Erfolg. "Bei seinen Radierungen - da war ihm einfach nichts mehr beizubringen", schwärmt Christoph. Einige Radierungen Wenbans zeigen wild wuchernde Bäume, allesamt einzelnen, störrischen Charakteren gleich. Dabei soll Wenban vor allem kräftige Bäume für seine Radierungen gewählt haben, denn in den Wurzeln liege schließlich die Kraft. Nur eines mochte ihm nicht wirklich gelingen: "Wenban versuchte auch Menschen zu zeichnen, jedoch würden meine Enkel das auch so hinkriegen", erzählt Christoph schmunzelnd. Gleichwohl zählt Wenban zu den Meistern der Radierung.

Die Kunst bei der Radierung, einer Tiefdrucktechnik ähnlich dem Kupferstich, besteht darin, auf Platten Vertiefungen einzuritzen und das Bild dann auf Papier zu bringen. Dafür werden die bearbeiteten Platten in ein Säurebad gelegt. Dabei löst sich die Farbe nur an den Stellen, an denen der Künstler zuvor die sogenannte Radiernadel angesetzt hat. Im weiteren Verlauf wird Farbe auf die Platte gegeben, welche sich in den Ritzen sammelt. Drückt man ein Papier darauf, geht die Farbe aus den Vertiefungen und damit letztlich die gesamte Zeichnung auf das Papier über.

Im 19. Jahrhundert war diese Technik dazu verkommen, Gemälde zu reproduzieren. Wenban gehörte zu den ersten Künstlern, die diese Technik wieder kreativ aufleben ließen. Er setzte dabei vor allem auf unkonventionelle Kompositionen der Landschaften. "Das Experimentelle war typisch für Wenbans Stil und seine Zeit. Neben einem Haus waren nicht mehr links und rechts ein Baum, sondern Wenban ist abstrakter in die Fläche gegangen, hat große Ebenen gegen Kleinere gesetzt", erklärt Andreas Strobl von der Staatlichen Graphischen Sammlung München. Selbst die Stadt wurde damals als eine Landschaft begriffen.

Wenban gehörte in der oberbayerischen Szene der Radierer zu den kreativsten Köpfen, als Mitbegründer rief er auch den noch immer bestehenden Verein für Originalradierung München ins Leben. Sein wahres Talent ist jedoch erst nach seinem Tod erkannt worden: Sion Longley Wenban starb im April 1897 mit knapp 50 Jahren an Wassereinlagerungen - sechs Monate, bevor seine Werke durch eine Nachlassausstellung im Münchner Kunstverein berühmt wurden.

In der Ausstellung "Wenban-Radierungen. Motive aus München" zeigt die Stiftung Raiffeisenbank München Nord momentan 24 Werke von Sion Longley Wenban. Die Ausstellung kann in der Galerie der Raiffeisenbank in Unterschleißheim, Bezirksstraße 50 (Rückgebäude), noch an diesem Donnerstag, 25. Februar, von 16 bis 19 Uhr besucht werden.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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