Unterschleißheim:Ich Tarzan, und Jane

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Ralph Turnheim untermalt im Capitol-Kino den 100 Jahre alten, auf dem Originalroman basierenden Stummfilm mit einer großartigen, poetischen Live-Performance

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Der Herrscher des Dschungels, der Heros mit dem gewaltigen Brustkorb, er hat zwar ein kindlich-edles Gemüt, aber er ist auch ein Mann mit erwachsenen Bedürfnissen. Und ehrlich: Wer könnte den dunkel-verführerischen Kulleraugen von Jane schon widerstehen? "Längst schon ist es nicht mehr kurz, unter seinem Lendenschurz", deklamiert Ralph Turnheim. Sein Timbre ist leicht wienerisch gefärbt und man meint, eine leise Freude mitschwingen zu hören über diesen hübschen Reim, der die prickelnde Szene zwischen Tarzan (Elmo Lincoln) und Jane (Enid Markey) begleitet. Turnheim ist Stummfilm-Vertoner, der einzige professionelle in Europa, und er steht jetzt hier an einem ins Dunkel gehüllten Pult mit Leselampe neben der Leinwand des Capitol-Kinos. Ein 16-Millimeter-Projektor rattert leise und wirft schwarz-weiße Bilder an die Wand: Zu sehen ist Scott Sidneys "Tarzan of the Apes", einer der großen Erfolge der Stummfilm-Ära.

Uraufgeführt wurde dieser filmhistorische Meilenstein, einer der ersten Hollywood-Blockbuster und Vorbild für spätere Superhelden-Verfilmungen, vor 100 Jahren am 27. Januar 1918 in New York. Ein schöner Anlass, ihn jetzt in dem kleinen Unterschleißheimer Arthouse-Kino zu zeigen - als cineastisches Erlebnis mit poetischer Live-Performance. Turnheim, der an diesem Abend einen Tropenhelm trägt, ist nämlich nicht nur Stummfilm-Erklärer, sondern vielmehr Leinwand-Lyriker. Drei Monate lang dichtet der ausgebildete Schauspieler gewöhnlich an seinen Untermalungen diverser Klassiker herum - Komödien mit Buster Keaton, Laurel und Hardy oder eben frühe Action-Werke wie "Tarzan von den Affen" mit Elmo Lincoln. Manch einen Puristen mag die Vorstellung, die Handlung eines Stummfilms werde statt von klassischen Klaviertönen von Reimen eines Live-Performers begleitet, skeptisch stimmen. Aber Turnheim, der 2010 seinen ersten Stummfilm lyrisch vertonte, macht das großartig. Schön etwa, welche Worte er Jane in den Mund legt, als der wilde Affenmensch kaum mehr an sich halten kann: "Tarzan ist ein Mann, kein Wicht. Ein Mann erzwingt die Liebe nicht!" Poetisch wie pädagogisch wertvolle Zeilen, was auch der von aktuellen "Mee too"-Debatten völlig unbeleckte Tarzan einsieht: "Plötzlich lässt er von ihr sacht. Daran hat er nicht gedacht", sagt Turnheims Erzählerstimme.

Leinwandlyrik im Lichtspieltheater: Ralph Turnheim verdichtet den ersten Tarzan-Film mit seinen Zeilen, aber er stiehlt ihm nicht die Show. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Ganze funktioniert aber vor allem auch deswegen, weil Bilder und Text so gut korrespondieren, weil Rhythmus und Timing stimmen und dem Film bei aller Ernsthaftigkeit jede Menge verspielter und slapstickhafter Szenen innewohnen, die eine entsprechende Pointierung zulassen. Näselndes Wienerisch passt da erstaunlich gut zur distinguierten Körpersprache des englischen Aristokraten und auch Turnheims Interpretation des Tarzan-Schreis trifft zielgenau. Ob jetzt alle Reime höchsten Ansprüchen genügen, sei dahingestellt, aber mitunter wohnt ihnen auch philosophischer Esprit inne und liebevoller Schalk. So hören etwa "Leoparden-Ohren kurz nach drei, den ersten Tarzan-Schrei." Der Film - der "älteste, den wir je gezeigt haben", wie Kinobetreiber Stefan Stefanov erklärt, hält sich ziemlich genau an die Vorlage: den 1912 erschienenen, gleichnamigen Groschenroman des US-amerikanischen Schriftstellers Edward Rice Burroughs. So ist im ersten Viertel die Geschichte von Tarzans britischen Eltern dargestellt, die nach einer Meuterei an der afrikanischen Küste ausgesetzt werden und bald darauf im Urwald sterben, die Adoption des Neugeborenen durch eine Schimpansen-Mama und sein Aufwachsen in der Gruppe der Menschenaffen.

Stark ist die Vorstellung von Gordon Griffith als zehnjähriger Tarzan-Bub, der anmutig über die Bäume klettert und herzige komödiantische Momente hat, etwa wenn er einen Bastrock klaut und anprobiert. Später wird er abgelöst von Elmo Lincoln (ursprünglich Otto Elmo Linkenhelt), der sich mit einem äußerst muskulösen Oberkörper durch den Urwald bewegt - in einigen Kletterszenen übernimmt ein schlankerer Darsteller. Auch er schafft es, als erwachsener Tarzan eine fast kindlich anmutende Körpersprache zu entfalten, trotz seiner mächtigen Physis verspielt und auch sanft zu wirken. Enid Markey gibt die kokette Jungfrau Jane, die mit einer englischen Suchexpedition in den Dschungel kommt, und zeigt sich bei aller ladyhaften Attitüde durchaus offen für den animalischen Appeal ihres lendenbeschürzten Retters.

Turnheim mit seiner "Cheeta", bekannt als Tarzans Schimpansen-Freundin. (Foto: Stephan Rumpf)

Was den Film darüber hinaus so sehenswert macht, ist seine aufwendige Inszenierung - gedreht wurde hauptsächlich in den Sümpfen Louisianas - die Tieraufnahmen, die Ausstattung und originelle visuelle Einfälle - etwa das Bild auf kahlen Ästen wartender Geier, das hinein geschnitten wird in eine Kampfszene von Tarzan mit einem bald toten Gegner. Filmhistorisch interessant ist auch die Tatsache, dass damals zum ersten Mal in einem Hollywood-Streifen schwarze Darsteller mitwirkten (nicht wie sonst üblich dunkel geschminkte weiße Darsteller), schlicht wohl auch deswegen, weil so viele Schwarze im Film auftauchen.

Solche und andere Details erzählt Turnheim im Anschluss an die Vorführung - das mutmaßlich cinephile Publikum im voll besetzten Capitol zeigt sich entsprechend wissbegierig und erfährt unter anderem, dass es Stummfilm-Erzähler in der Frühphase des Kinos überall gab. Auf dem Jahrmarkt, wo die Bilder laufen lernten, heizten diese etwa das Leinwand-Geschehen dramatisch an. Erklärende Zwischentitel gab es erst nach und nach, wobei der Prozentsatz an Analphabeten im Publikum ja damals noch recht hoch war. Auch aus sittlichen Gründen, sie kommentierten ungeniert erotische Szenen - wurden diese Erzähler aber letztlich verbannt, wobei es auch Ausnahmen gab: In Japan etwa genoss der traditionelle Benshi (Erzähler) im Stummfilm bis in die Fünfziger Ansehen und auch heute noch gibt es davon einige. In Europa scheint Ralph Turnheim, der den Tarzan-Film als 16-Millimeter-Kopie aus den USA erworben hatte, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Seine Idee, diesen 2018 in Lohhof zu präsentieren, vereinte im übrigen gleichsam drei Jubiläen: 100 Jahre Tarzan, 60 Jahre Capitol-Kino - und Stefan Stefanov, der 2016 den Tassilo-Kulturpreis der SZ gewonnen hat, feiert heuer Zehnjähriges als Betreiber des Programmkinos. Darauf einen Tarzan-Schrei.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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