Serie: Ein Jahr nach der Wahl, Folge 6:Ein Bürgermeister zum Anfassen

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Andreas Kemmelmeyer ist in seinem Element, wenn ihm die Unterföhringer auf der Straße ihr Anliegen unterbreiten. Im Rathaus kämpft er mit den Besonderheiten einer öffentlichen Verwaltung und der frostigen Stimmung im Gemeinderat

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Es ist ihm anzumerken: Für Andreas Kemmelmeyer, seit einem Jahr Bürgermeister von Unterföhring, ist das Amt nicht bloß ein Job. "Es macht unheimlich Spaß", sagt der 48-Jährige, der für die Parteifreie Wählerschaft (PWU) angetreten ist. Es sei ein Rund-um-die-Uhr-Posten, so gut wie ohne Feierabend und ohne Wochenende. Das sei zwar anstrengend, aber eben auch erfüllend, so Kemmelmeyer. Allein schon wegen der Resonanz der Menschen am Ort. Läuft man mit dem Unterföhringer Bürgermeister durch "seine Gemeinde", so muss man alle paar Meter stehen bleiben: Die Leute haben Redebedarf, egal ob Fußgänger, Radler oder Autofahrer, egal ob Kinder oder Erwachsene - wenn der "Herr Bürgermeister" mitten unter der Woche durch die Straßen spaziert, muss das für einen kleinen Plausch genutzt werden. Kemmelmeyer kennt beinahe jeden mit Namen - und hat auf fast alles eine Antwort. Bürgernah nennt sich dies - und genau das will der 48-Jährige auch sein. Ein Rathauschef für alle Unterföhringer.

Fragt man den Bürgermeister nach seinem Lieblingsort in der Gemeinde, sagt er beim Rundgang diplomatisch: "Ganz Unterföhring", um dann nachzuschieben, privat sei es der Poschinger Weiher. Dorthin gehe er gern mit seiner Familie. Aber auch dort ist er freilich nicht inkognito unterwegs. "Das gibt es nicht mehr", sagt der Bürgermeister, und wie aufs Stichwort wird er wieder von einem Bürger angesprochen.

Das sind nach Kemmelmeyers Worten die schönen Dinge, die das Amt des Bürgermeisters mit sich bringe. Reden mit den Menschen. Hören, was sie bewegt und was sie sich wünschen. Und auch was sie kritisieren - "und es dann besser machen". Freilich könne man es nicht jedem recht machen, räumt der Rathauschef ein, auch wenn ihm daran gelegen ist. Doch das habe er im vergangenen Jahr lernen müssen. "Im Öffentlichen Dienst ist vieles anders", sagt der gelernte Diplom-Ingenieur und Bauunternehmer. Was in der freien Wirtschaft gang und gäbe sei, lasse sich als Verwaltungschef in einer Gemeinde nicht machen. Das sei eine große Umstellung gewesen - doch beim Eingewöhnen habe er viel Unterstützung gehabt von seinen "kompetenten Leuten im Rathaus". Mittlerweile habe er sich auch mit der "Fremdtaktung" anfreunden können und daran, dass zu den feststehenden Terminen seines Arbeitstages noch weitere dazukommen könnten, von denen er in der Früh noch nichts gewusst habe.

Wie schätzt er selbst seine politische Arbeit im ersten Jahr ein? Seine Bilanz fällt erwartungsgemäß positiv aus: Dass im Wahlkampf gegebene Versprechen nach mehr Bürgerbeteiligung, habe er gehalten, sagt Kemmelmeyer und nennt zum Beispiel den Gockl-Wirt: Rund 400 Unterföhringer hätten sich dafür ausgesprochen, das von der Kommune gekaufte Gebäude wieder zu einer Gaststätte zu machen. Oder die Informationsveranstaltungen zur neuen Ortsmitte und zur im Juli beginnenden Sanierung der Münchner Straße, bei denen die Bürger ihre Meinung äußern könnten. "Ich will auf die Menschen zugehen", sagt Kemmelmeyer.

Das tut er. Auch im Gemeinderat, wo ihm mitunter eine recht raue Stimmung entgegenschlägt. Darüber können auch die wohlwollenden Stellungnahmen nicht hinwegtäuschen, die die Fraktionen dem Bürgermeister nach einem Jahr geben.

"Positiv ist, dass Herr Kemmelmeyer versucht, alle Fraktionen (auch uns) über einzelne anstehende Themen ausreichend zu informieren", sagt Jutta Schödl, Fraktionsvorsitzende der SPD. So halte er bei dringenden Problemen Ältestenratssitzungen ab, und auch die Gemeinderatsvorinformation sei sehr ausführlich. "Die Information und Beteiligung der Bürger bei den einzelnen Bauvorhaben ist sicher auch begrüßenswert", so Schödl. Negativ sei allerdings, dass "endlos über verschiedene Projekte diskutiert wird und dann keine Entscheidungen fallen". Als Beispiel nennte die SPD-Sprecherin im Gemeinderat den Einbau von Aufzügen in der gemeindeeigenen Wohnanlage an der Fichtenstraße. Hier lägen längst alle Fakten vor, und "hier hätte man schon eine Entscheidung für oder gegen den Einbau treffen können".

Ähnliches sieht Schödl beim Gocklwirt. Die Stellplatzproblematik bei Einbau einer Gaststätte sei bekannt und könne nur unter Einsatz von großen Summen behoben werden. Und: Durch die monatliche Verschiebung der Diskussion werde auch die Seniorenbetreuung weiter nach hinten geschoben. Schödls Fazit: "Es werden die bereits begonnenen Vorhaben nicht sukzessive fortgeführt, sondern stattdessen neue Projekte angegangen." Die SPD vermisse den "rote Faden, der die gemeindliche Infrastruktur als Ganzes betrachtet, auch im Hinblick auf unsere zukünftige Haushaltslage. Bei der Verabschiedung des Finanzplanes hat man ja gesehen, dass die Nachfolgelasten aus dem laufenden Einnahmen nicht mehr so einfach zu bezahlen sind", betont Schödl.

Grünen-Sprecher Johannes Mecke ist voll des Lobes: Er habe Kemmelmeyer als Kollegen, Bürgermeister und Freund schätzen gelernt. "Besonders zu schätzen weiß ich, dass ich mich auf sein Wort verlassen kann." Die Zusammenarbeit klappe sehr gut, sagt Mecke. Er habe den Eindruck gewonnen, dass die Grünen-Fraktion vom Bürgermeister wahr- und ernst genommen wird. Bei telefonischen Anfragen rufe Kemmelmeyer zeitnah zurück - "eine Eigenschaft, die die Kommunikation sehr vereinfacht". Einen Verbesserungsvorschlag hat aber auch Mecke parat: "Freuen würde ich mich, wenn die Gemeinderatssitzungen in Zukunft ein wenig gestraffter wären." Diese Anmerkung ändere aber nichts am positiven Gesamteindruck, den er in dem einen Jahr mit Andreas Kemmelmeyer als Unterföhringer Bürgermeister bekommen habe.

CSU-Fraktionssprecher Manfred Axenbeck bewertet das vergangene Jahr ebenfalls positiv. So bestätige Zweite Bürgermeisterin Betina Mäusel "eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit Andreas Kemmelmeyer. Dennoch: Das erste Jahr dürfe allerdings nicht aus einer zu hohen Erwartungshaltung heraus beurteilt werden, so Axenbeck. Es seien noch viele Aufgaben aus der vergangenen Amtsperiode abzuarbeiten und "auch viele neue Bauprojekte sind überfällig". Das Arbeitspensum des Bürgermeisters nötigt den Christsozialen Respekt ab: Es sei enorm. "Man nimmt ihm ab, dass er die Anliegen aller Bürger ernst nimmt, und er hat verstärkt die Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung gegeben." Zudem habe es Kemmelmeyer geschafft, auf die Firmen im Unterföhringer Gewerbegebiet zuzugehen, die die Finanzkraft der Gemeinde erst ermöglichen, und er erhalte hier große Unterstützung von der CSU. Trotzdem wünsche man ihm etwas mehr Gelassenheit - "aber das zeigt halt sein großes Engagement".

Manuel Prieler, Fraktionsvorsitzender von Kemmelmeyers PWU, sieht in der Länge der Gemeinderatssitzung ebenfalls einen Punkt, den man optimieren müsse, aber: "Da müssen wir uns Gemeinderäte alle an der eigenen Nase fassen: Jeder muss was sagen." Das gelte auch für seine eigenen Leute, räumt Prieler ein. Er findet, "dass unser Bürgermeister sehr, sehr gut ins Geschäft hineingekommen ist". In den vergangenen zwölf Monaten habe er sich nicht nur bei den Bürgern einen guten Namen gemacht, sondern auch im Gewerbegebiet jenseits der S-Bahn, zum Beispiel durch den Wirtschaftsempfang, zu dem mehr als 600 Gästen gekommen waren. "Die Unternehmen fühlen sich ernst genommen", sagt Prieler. Kemmelmeyer stehe für Ausgleich, seine Politik sei transparent, und er versuche, alle Fraktionen einzubeziehen, obgleich "das Klima im Gemeinderat durchaus schwierig ist", so der PWU-Sprecher.

Das sieht übrigens auch der Bürgermeister selbst so: Egal von wem ein guter Vorschlag komme, "ich werde ihn aufnehmen", versichert Andreas Kemmelmeyer. Dass sich jeder profilieren wolle im Gremium, gehöre wohl zu den Gesetzen der Kommunalpolitik nach dem Machtwechsel im Rathaus, wo nach Jahrzehnten eben nicht mehr die SPD den Bürgermeister stellt, sondern die Parteifreien. Das "dicke Fell", das er, Kemmelmeyer, sich seit seinem Amtsantritt im Mai 2014 zugelegt habe, helfe ihm dabei, die Angriffe auszuhalten. Manchmal mehr, manchmal weniger.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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