SZ-Serie: Schauplätze der Geschichte:Die Kriegsgewinnler von Keferloh

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Nach der Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955 sollen Männer aus dem Heer Ottos des Großen die herrenlosen Pferde der besiegten Ungarn im Osten Münchens zusammengetrieben und verkauft haben. Der moderne Keferloher Montag sieht sich in der Tradition dieses einst größten Viehmarkts in Bayern

Von Lars Brunckhorst

Es muss ein wahres Gemetzel gewesen sein. Als die Schlacht für das Heer der Sachsen, Franken, Bayern und Schwaben schon gewonnen war, setzten die Panzerreiter Ottos des Großen den flüchtenden Ungarn nach. Die Kühneren unter ihnen leisteten wohl anfangs noch Widerstand, aber schließlich wurden auch sie "eingeschlossen und von Bewaffneten niedergemacht", wie der sächsische Chronist Widukind von Corvey im Tone eines Kriegsreporters berichtete. Weitere Tausende Ungarn ertranken angeblich auf der Flucht in den Fluten des Lechs. Als sich die Nacht neigte, soll sich das Flusswasser rot vom Blut der vielen Toten gefärbt haben, während über dem weiten, mit Leichen übersäten Schlachtfeld die Siegesfahne der Deutschen wehte.

Dabei hatte es am Morgen des 10. August 955, zu Beginn der dreitägigen Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg, keineswegs nach einem Sieg der verbündeten Truppen unter König Otto I. ausgesehen. Die Magyaren waren nicht nur kampferprobt, sie waren dem zusammengewürfelten ottonischen Heer auch zahlenmäßig angeblich weit überlegen. Quellen sprechen von 100 000 ungarischen Reitern, denen nur 10 000 Mann unter König Otto gegenüber standen. Zudem war ihre Reiterei viel beweglicher als die schwergerüsteten Sachsen und Franken. Laut dem Chronisten Widukind von Corvey soll Otto I. die von den Verteidigern fast schon verloren geglaubte Schlacht mit einer aufmunternden Rede gewendet haben: "In unserer Not müssen wir tapfer sein. Sie übertreffen uns an Zahl, aber nicht an Tapferkeit. Wir haben die Hoffnung auf göttlichen Schutz. Schämen müssten wir uns als Herren von fast ganz Europa, wenn wir uns den Feinden ergäben."

Die Schlacht auf dem Lechfeld gilt denn unter Historikern auch als eines der bedeutendsten Ereignisse in der deutschen Geschichte, ja als Geburtsstunde der deutschen Nation. Der größte militärische Sieg von Otto I., der sich in der Folge 968 zum römischen Kaiser krönen ließ, markierte zugleich den Endpunkt der Ungarneinfälle, die ein halbes Jahrhundert immer wieder mit ihren Raubzügen das ostfränkische Reich heimgesucht und Angst und Schrecken verbreitet hatten. Die Furcht der Menschen vor den "Hunnen" wurde noch durch Schilderungen gesteigert. So beschrieb Gerhard von Augsburg die ungarischen Krieger als wilde Gestalten mit braungelben Gesichtszügen, tief liegenden Augen, heiserer Stimme und bis auf drei Zöpfe abgeschorenem Haar, die das Blut geschlachteter Tiere tranken und ihre Toten verbrannten.

Was wirklich die Wende auf dem Lechfeld herbei geführt hat, ist ebenso wenig überliefert wie der genaue Ablauf der Schlacht. Gut möglich aber, dass die Bayern den Ausschlag gaben. Denn als sich der Sieg bereits auf die Seite der Ungarn mit ihren kleinen, schnellen Rössern neigte, da nahten die Bayern unter Führung des Grafen Eberhard von Ebersberg mit ihren zahlreichen Reitern. Die Bayern hatten mit den Ungarn noch ein Hühnchen zu rupfen: Im Juli 907 hatten die Magyaren bei Bratislava ein bayerisches Heer und einen Großteil der bayerischen Führungsschicht vernichtet. Jetzt konnten die Bajuwaren Rache nehmen. Aus Dankbarkeit soll Otto der Große nach der Lechfeldschlacht mehrere Anführer zu Rittern geschlagen haben. Und so würde sich auch erklären, warum eine weitere Episode dieses historischen Großereignisses im Osten von München spielt: In Keferloh nämlich sollen die Männer des Ebersberger Gaugrafen die erbeuteten, herrenlosen Pferde der Ungarn - angeblich mehr als 17 000 Tiere - zusammengetrieben, meistbietend verkauft und damit den Keferloher Markt begründet haben, der über Jahrhunderte bis in die heutige Zeit Bestand hat.

Zimperlich war auch Graf Eberhard nicht: Die gefangenen Hunnen soll er "einen schimpflichen Tod mit Speeren" sterben gelassen haben, wie die Chronik des Bischofs Otto von Freising vermerkt. Die Leichen warfen die Ebersberger anschließend in einen riesigen Graben. Aus dem erbeuteten Goldschmuck gewann Eberhard drei Pfund Gold, aus dem er sich einen Kelch anfertigen ließ. Einer seiner Hauptleute, genannt der Keferloher, soll seinerseits aus der unermesslichen Beute einen Pflug von purem Silber gemacht haben.

Rolf Katzendobler hält den Pferdemarkt in Keferloh vor mehr als tausend Jahren für plausibel. "Ein Argument, das dafür spricht, ist die Lage an dem bedeutenden Wegkreuz der Salzstraße von Salzburg nach Augsburg und dass die Ebersberger in die Schlacht involviert waren, deren Weg von und nach Ausburg über Keferloh geführt haben könnte", sagt der Grasbrunner Ortschronist. Katzendobler, der im Hauptberuf Architekt ist und sich in zwei Buchreihen mit den Titeln "In Grasbrunn dahoam" und "Grasbrunn - Geschichte und Geschichten" intensiv mit der Historie seiner Heimat beschäftigt, gibt aber auch zu bedenken, dass weder Dokumente noch archäologische Funde existieren, die einen Markt in Keferloh im 10. Jahrhundert belegen. Die genaue Entstehung des Keferloher Marktes werde damit "wohl für immer im Dunkeln bleiben".

Urkundlich erstmals erwähnt wird der kleine Weiler zwischen Haar und Putzbrunn nämlich erstmals 1150, als die Ländereien an das Kloster Schäftlarn fallen. Das Marktrecht selbst ist ab 1158 verbrieft. Aber auch damit ist Keferloh eine der ältesten Ansiedlungen, die einen Markt haben. Doch erst die Weihe der Keferloher Kirche, eines der ältesten noch erhaltenen Bauwerke im Münchner Land, die am 1. September 1173, dem Ägidiustag, erfolgte, verlieh dem Markt seinen Namen: Der Montag nach Ägidi ist bis heute der Keferloher Montag.

Über die Jahrhunderte hinweg blühte das Markttreiben. So wurden noch vor zweihundert Jahren bis zu 6000 Pferde sowie ganze Schaf- und Kuhherden gezählt und bis zu 30 000 Besucher. Der Keferloher wurde zum Volksfest der Münchner und zum Vorläufer der Wiesn. Aus Keferloh stammt auch der Ur-Bierkrug, der Keferloher, jener tönerne Maßkrug ohne Deckel, der den Vorteil hatte, dass er bei Raufereien leichter brach. Denn handfest ging es zu in Keferloh. Keferloherisch - das bedeutete: Alles ist erlaubt und entschuldigt. Und so notierte Carl Fernau noch 1840: "Dieser Tag ist in den Kalendern der Ärzte und Gendarmen rot gezeichnet."

Dabei ging es nach 1810 mit dem Keferloher Markt stetig bergab. Grund war, dass König Ludwig I. mit dem Pferderennen auf der Theresienwiese das Oktoberfest begründete. Erst seit 1995 bemühen sich einige Grasbrunner Bürger, den traditionsreichen Markt fortzuführen. Einmal im Jahr, am ersten Montag im September, kommen seither wieder einige tausend Besucher zu dem größten Landwirtschaftsfest in der Region. Auch da geht es immer noch "keferloherisch" zu. Wenn im Bierzelt die Politprominenz auftritt, werden jedoch nur Redeschlachten geschlagen.

Am Montag: Im 11. Jahrhundert beginnen die Kreuzzüge. Ein Heimkehrer bringt eine Reliquie nach Scheyern.

© SZ vom 30.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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