"Stadt Land Rock"-Festival:Schrille Mädchen, brave Buben

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Neues vom Tollwood: Beim "Stadt Land Rock"-Festival der Süddeutschen Zeitung haben sich zwölf Newcomer präsentiert - und das Publikum begeistert.

Nina Himmer und Greta Gilles

Der Sturm zerrt am Zelt. Die Regenschirme an der Decke, eigentlich zur Dekoration angebracht, hüpfen auf und ab und entfalten dabei Symbolcharakter - denn draußen regnet es wie aus Eimern. Immer mehr Menschen strömen herein und drängen sich dicht vor der Bühne des Stadt-Land-Rock-Festivals.

Partystimmung trotz schlechtem Wetter: Insegsamt zwölf Newcomerbands heizten dem Partyvolk auf dem Tollwood gehörig ein. (Foto: ANDREAS GEBERT)

Dort haben doch eben noch Marvpaul vom Sommer gesungen. Jetzt rollt Sängerin Julia Sedlbauer von Tom, Dick & Harry einen giftgrünen Teppich aus und streift die Schuhe ab. Man will es beim Rocken schließlich gemütlich haben.

Atmosphärisch dicht, vor allem aber abwechslungsreich war es auf dem Newcomerfestival der Süddeutschen Zeitung und des Tollwood - der unberechenbaren Witterung zum Trotz. Und schließlich war die Tanzbar an den vier Abenden keineswegs einzig zum Unterstellen gedacht.

Zwölf Bands hatte die Jury unter knapp hundert Bewerbern ausgewählt - und nach dem Wochenende möchte man den Mitgliedern zu ihrer Entscheidung gratulieren. Denn von so mancher Band dürfte man in Zukunft noch einiges hören. Von Tonwertkorrektur zum Beispiel, die mit Schlagzeug, Keyboard und Bass irgendwo zwischen originell und experimentell so viel musikalische Energie versprühten, dass es locker für einen ganzen Abend gereicht hätte.

Doch in der Tanzbar galt ein strikter Zeitplan; drei Bands mussten sich einen Abend teilen und gegen die Weltuntergangsstimmung vor dem Zelt anspielen. Die Mädchen von The Coxx fuhren dafür harte Geschütze auf: mitunter spärlich bekleidet, und wenn, dann in schrillen Klamotten und leuchtenden Perücken, zelebrierten sie eine Rockshow, bei der das Auftreten leider hinter dem Auftritt zurückblieb.

Lag wohl am entzündeten Kehlkopf von Sängerin Marlena. Immerhin sorgten ihre hüpfenden Hinterbacken für Gesprächsstoff: Während die Frauen erwartungsgemäß skeptisch reagierten, freuten sich die Männer.

Einigkeit zwischen den Geschlechtern herrschte hingegen beim Auftritt des Gitarren-Duos El Rancho. "Der Sänger ist so süß", stellte ein Mädchen fest, und auch der Freund musste zugeben "der kann wirklich singen". Kann er, kein Zweifel. Dabei sind die Zeiten, in denen Patty und Luca als Gitarristen in brachialen Metalbands schrammelten, noch gar nicht so lange her.

Ein bisschen rau und roh klingen ihre Akustik-Songs immer noch, doch ansonsten haben die beiden Melodik, Harmonie und Rhythmus für sich entdeckt. Die Pogo-Fraktion zog sogar brav Stühle heran, um den Liedern über "Taco-Typen und Road-Trips" zu lauschen und kaufte nach dem Konzert fleißig die am gleichen Tag veröffentlichte Platte "Strangelands".

Ganz in die Knie gehen ließ die Hip-Hop-Formation Flüsterton ihr Publikum, allerdings nur, um es anschließend umso ausgelassener hüpfen und springen zu lassen. Die Band rückte gleich mit vier Sängern an, um ihre sozialkritischen Texte in die Welt zu rappen. So ernst ging es bei den Talking Pets, von den Veranstaltern als "Pop zwischen Indie und Westküstensound" angekündigt, nicht zu.

Die Jungs brachten das durchnässte Publikum zuverlässig zum Mitwippen und heizten besonders den weiblichen Fans direkt vor der Tanzbar-Bühne ein. Nach einem kleinen Ausflug mit der Akustik-Gitarre bewiesen die smarten Boys im Britpop-Look zudem gegen Ende ihres Gigs, dass sie auch für Ohrwürmer taugen. Die Groupies jedenfalls konnten nicht genug bekommen und forderten vergeblich eine Zugabe.

Diese gab es dafür von der nächsten Band - Goldline. Goldig war vor allem Sängerin Miriam samt dem grellpinkfarbenen Tutu. Der Synthie-Sound klang wider Erwarten wenig eingängig, dafür aber melancholisch-elektronisch. Tanzmusik für späte Nächte, bei der der Gesang und die Sängerin akustisch wie optisch unbedingt im Vordergrund stehen; insbesondere wenn Miriam durch den Hörer eines schwarzen Retro-Telefons synthetische Sounds produziert.

Hello Gravity klangen da deutlich organischer. Der Sänger, einer von drei Lockenköpfen an der Front, trommelte mit dem Schlagzeuger kräftig um die Wette. Heraus kam atmosphärischer Alternativ-Pop mit romantischen Texten, die unter anderem von "Carlotta" erzählen, ohne die Hello Gravity wohl immer noch in Venedig herum irren würden. Und das wäre nicht nur schade für das Stadt-Land-Rock-Festival, sondern für die gesamte Münchner Musikszene.

Diese zu fördern, ist das erklärte Ziel des Stadt-Land-Rock-Festivals, das mit Ginger Redcliff, den Like Loonies und Reste von Gestern ausklang. Der Moderator, SZ-Redakteur Michael Bremmer, zog trotz Wetterwut ein positives Fazit: "Wir hatten etwa 300 bis 400 Gäste pro Abend - inklusive bester Stimmung".

© SZ vom 26.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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