Sport im Landkreis:Erst die Kür, dann die Pflicht

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Fanny Domscheit begann vor 70 Jahren mit dem Kunstradfahren beim SV Solidarität Ismaning. Auch wenn sie längst nicht mehr selbst im Sattel sitzt, bleibt sie dem Verein verbunden

Von Sara della Malva

Mit ihren fünf Jahren klammert sie sich entschlossen an das Fahrrad ihres großen Bruders. Lernen will sie's, auch wenn das Herrenrad viel zu groß für sie ist. Ihr Bruder ist im Krieg, nur deshalb erlaubt sie sich, sein Fahrrad zu borgen. Stets darauf bedacht, keine Kratzer oder Dellen am Fahrrad zu verursachen, leiden dafür ihre Hände und Knöchel bei jedem Sturz umso mehr. Doch sie ist nicht zimperlich, von Jammern hält sie nichts.

So hat Fanny Domscheit sich vor 75 Jahren das Fahrradfahren selbst beigebracht und es lieben gelernt. Ein paar Jahre später trat sie dem Verein SV Solidarität Ismaning bei und lernte Kunstradfahren. Dieser Verein, der für sie Familie geworden ist, ehrt die Seniorin nun für 70 Jahre Mitgliedschaft. Tochter Corinna Domscheit, die durchs Rollschuhlaufen zum Verein kam, ist auch seit mehr als 40 Jahren dabei und engagiert sich ehrenamtlich für den Klub. Auch Fanny Domscheits Mann hat sich vor drei Jahren offiziell als Mitglied angemeldet. "Er war immer schon dabei, wollte jedoch endlich auch auf dem Papier ein Teil davon sein", sagt Fanny Domscheit und schmunzelt. Nun ist die ganze Familie im Verein vereint.

Als Fanny Domscheit noch aktiv war, war sie stets die Fahrerin, die ihre Partnerin auf den Schultern trug. (Foto: Repro: Stephan Rumpf)

Die 80-Jährige denkt gerne an die Anfänge zurück. Mit einem Fahrrad in der richtigen Größe und ihrer Freundin Rosie fuhr sie mit neun Jahren ihren ersten Auftritt. Alle Kunststücke saßen, das Publikum applaudierte kräftig. Daran erinnert sich die Seniorin heute noch. 1954 erfuhren sich die beiden sogar den dritten Platz bei den Bundesmeisterschaften - einer der Höhepunkte ihrer sportlichen Laufbahn.

Kunstradfahren ist die Verbindung von Radfahren und Akrobatik. Allein, zu zweit, zu viert oder gar zu sechst führen Sportler ihre Küren auf. Fanny Domscheit fuhr meist Fahrrad, während die Kameraden auf ihren Schultern turnten. Als Fahrerin muss man ruhig bleiben, konzentriert und sicher fahren, erklärt Domscheit. Die Partnerin darf nicht fallen, sie muss einem vertrauen können. Wie sie da sitzt, die Hände ruhig im Schoß gefaltet, mit sanfter Stimme erklärend, man würde sofort zu ihr aufs Fahrrad steigen.

Fanny Domscheit ist seit 70 Jahren Mitglied im SV Solidarität Ismaning und hat dort auch ihren Mann kennengelernt. (Foto: Stephan Rumpf)

Klaus Domscheit erinnert sich genau an den Tag, als er seine heutige Frau zum ersten Mal beim Training beobachtet und sich in sie verliebt hat. "Ihre Eleganz hat mich beeindruckt. Ich war direkt ein Fan von ihr und bin es noch heute", sagt er. Fanny Domscheit winkt beschämt ab. Bescheiden ist sie, doch ein Lächeln verrät ihre Freude über das Kompliment.

Mit Mitte 20 saß Fanny Domscheit das letzte Mal auf einem Kunstrad. Irgendwann wird man zu alt für den Sport. Schade findet Fanny Domscheit, dass es so wenig Nachwuchs gibt. Was damals ein populärer Trendsport war, ist heute eher zur Nischensportart mutiert. Im Landkreis München wird Kunstradsport heute von nur drei Vereinen angeboten.

Bis vor drei Jahren war das Fahrrad Fanny Domscheits liebstes Fortbewegungsmittel. Seit einem schweren Sturz kann sie jedoch nicht mehr fahren. Das schmerzt. Man kann es sehen, wenn sie davon erzählt. Heute schaut sie dafür umso lieber dem jungen Kunstrad-Nachwuchs des SV Solidarität beim Trainieren zu. Viele Kunststücke kennt sie noch aus vergangener Zeit.

Fanny Domscheit ist dankbar für die wundervolle Zeit im SV Solidarität. Das betont sie immer wieder. Solange sie kann, will sie dabei bleiben, sich um das Vereinsheim kümmern und dem Nachwuchs bei jenem Sport zusehen, der ihr einst eine wunderbare Jugend und ihre große Liebe beschert hat.

© SZ vom 30.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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