Notrufe:Eine Frage von Leben und Tod

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Die Notrufnummer 112 wird häufig von Anrufern missbraucht, die einfach nur einen Arzt konsultieren wollen. Damit beschäftigen sie die Leitstelle und die First Responder, die sich um dringendere Fälle kümmern müssen.

Von Bernhard Lohr, Landkreis

Ein Mann bricht mit Herzinfarkt auf der Straße zusammen, eine Rentnerin stürzt in ihrer Wohnung und verliert das Bewusstsein: Dann ist schnelle Hilfe gefragt. Minuten entscheiden über Leben und Tod. In solchen Fällen rücken heute wie selbstverständlich ehrenamtliche Helfer aus. 16 Feuerwehren unterhalten im Landkreis München so genannte First-Responder-Einheiten, die im Notfall in wenigen Minuten bei den Patienten sind. Knapp ein Drittel aller Feuerwehreinsätze machen diese Erste-Hilfe-Dienste mittlerweile aus. Falsche und unnötige Alarmierungen belasten die Helfer zusätzlich.

Die Notrufnummer 112 kennt heute zum Glück jeder. Wer die zentrale, bundesweit gültige Nummer in einer Gemeinde im Landkreis München wählt, landet bei der Integrierten Leitstelle an der Heßstraße in München, wo Einsätze der Münchner Berufsfeuerwehr, der Freiwilligen Feuerwehr und der Rettungsdienste koordiniert werden. Ein Disponent notiert, um was es geht und wo die Hilfe benötigt wird. Sobald der Fall lebensbedrohlich ist und eine First-Responder-Einheit die schnellste Hilfe verspricht, werden direkt über die Feuerwehreinsatzzentrale im Landratsamt die freiwilligen Ersthelfer losgeschickt.

Gleiches gelte auch dann, wenn die Verletzung oder die Notlage nicht so brisant, aber ein Rettungswagen gerade nicht verfügbar sei, sagt Sprecher Andreas Felsner von der Branddirektion München. Die Disponenten klärten das beim Notruf ab und vermittelten die Anrufer mitunter auch weiter. Eine heikle Aufgabe: Die Anrufer stehen oft unter Stress. Und es darf ja auch kein Notfall als Bagatelle abgetan werden. Es sei eine schwierige Aufgabe, sagt Felsner, die "Erfahrung, Fingerspitzengefühl und Bauchgefühl" erfordere.

First Responder sind stark gefordert

Denn immer wieder kommt es vor, dass die Notrufnummer 112 gewählt wird, obwohl etwa wegen einer Grippe einfach ein Arzt benötigt wird. Auch nehmen viele direkt den Weg in die Ambulanzen der Krankenhäuser. Dabei sollte zunächst der Hausarzt kontaktiert werden. Und wenn der nicht mehr Dienst hat, sollten sich Patienten direkt an die zentrale Nummer 116117 der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) wenden, die einen ärztlichen Bereitschaftsdienst unterhält. An Wochenenden, Feiertagen und in den Abend- und Nachtstunden ist über diesen Dienst im Landkreis München die ärztliche Versorgung gesichert. Doch vielen ist das Angebot nicht bekannt. Ein Problem in ganz Deutschland. Die Bundesregierung hat deshalb aktuell auf ihrer Facebook-Seite den Hinweis gepostet, nur in Notfällen die 112 zu wählen. "Den Notruf so zu entlasten, kann im Ernstfall Leben retten."

Überlastet sind die First Responder im Landkreis nicht. Stark gefordert aber schon. Kreisbrandrat Josef Vielhuber geht davon aus, dass von 10 000 Feuerwehreinsätzen im Landkreis alleine 3000 auf die First Responder entfallen. In kleinen Feuerwehren könne es sogar die Hälfte sein. Klaus Sprenzel, Kommandant der Feuerwehr in Brunnthal, berichtete jüngst auf der Jahreshauptversammlung sogar von einem rasanten Anstieg der Einsatzzahlen insgesamt von 157 im Jahr 2016 auf 233 im Jahr 2017. Die First-Responder-Alarmierungen hätten sich von 81 auf 122 erhöht. Sprenzel fährt selbst Erste-Hilfe-Einsätze mit dem First-Responder-Fahrzeug.

"Der Mensch wird immer hilfloser."

Und obwohl die Disponenten in den Einsatzzentralen solche Fälle ausfiltern, stellt er fest, dass die Nothilfe-Einsätze wegen einer Grippe oder wegen Fiebers häufiger werden. "Der Mensch wird immer hilfsloser", sagt Sprenzel. Viele Eltern wüssten sich nicht zu helfen, wenn ihre Kinder Fieber hätten und griffen zum Telefon. Dennoch: Den Anstieg der Einsatzzahlen macht er an der neuen "Alarmierungsbekanntmachung" vom Juli 2017 fest, die den Brunnthalern ein größeres Einsatzgebiet zuschreibt. Weil jetzt strikt das nächstgelegene Einsatzgerät alarmiert werde, müssten diese Notdienst-Fahrten bis in die Ortsmitte von Höhenkirchen übernehmen, sagt Sprenzel. Die Kollegen aus Hohenbrunn fahren dafür entsprechend seltener, was das austarierte System durcheinander gebracht hat. Über einen Ausgleich wird angeblich schon diskutiert.

Trotz der vereinzelten Klagen haben die Feuerwehren die Erste-Hilfe-Fahrten, mit denen die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes oder Rettungsdienstes überbrückt wird, als Aufgabe angenommen. Sprenzel erzählt von Fällen, in denen Menschen reanimiert werden mussten und von der Wertschätzung der Bevölkerung: "Die ist auf jeden Fall da." Dabei rückt die eigentlich dünne Personaldecke in den Hintergrund. Die Feuerwehren in Brunnthal und im benachbarten Hofolding taten sich 2017 zu einer konzertierten Mitgliederwerbung zusammen, um die Einsatzbereitschaft tagsüber zu sichern. Zugleich war die Hofoldinger First-Responder-Einheit im Januar fast täglich gefordert. Derzeit sei es wieder etwas ruhiger, sagt Einsatzleiter Maximilian Jaensch aus Hofolding. Im vergangenen Jahr entfielen in Hofolding auf die Ersthelfer 120 von 200 Einsätzen der gesamten Feuerwehr. 2002 waren sie noch 45 Mal ausgerückt.

© SZ vom 21.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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