Menschen an der Isar:Der Frei-Schwimmer

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Völlig losgelöst: Der US-Amerikaner Robert Robinson erfreut sich am Flaucher-Ufer seines Lebens. (Foto: Robert Haas)

Robert Robinson hat die Hektik New Yorks hinter sich gelassen und sich in München verliebt. Die Isar genießt er am liebsten so, wie Gott ihn erschuf

Von Margarethe Gallersdörfer, Sendling

Wenn Robert Robinson, so wie Gott ihn schuf, nachmittags am Flaucher sitzt und lernt, schaut er manchmal von seinen Deutsch-Vokabeln hoch. Dann denkt er darüber nach, was seine Freunde wohl sagen würden, wenn sie ihn jetzt sähen. "Seid ihr immer noch nicht überzeugt, meine amerikanischen Freunde?", hat er sie in seinem Blog "Bobertmr" gefragt. Der Eintrag, den er über seinen zweiten Tag in München verfasst hat, war zu einer Hymne geworden - eine Hymne aufs Volksbad, in dem Männlein und Weiblein gemeinsam in der Sauna schwitzen. Eine Hymne aufs Nacktsein in der Öffentlichkeit. Robert Robinson rechnet mit Widerspruch, das merkt man in jeder Zeile. Doch ihm ist das egal. Er ist angekommen.

Zum ersten Mal im Freien nackt gebadet hat der 24-jährige US-Amerikaner am Flaucher - und zwar ohne zu zögern: "Es war 35 Grad heiß, ich habe einfach alles ausgezogen und bin direkt ins Wasser gegangen." Bei Robinson musste niemand Überzeugungsarbeit leisten. Und seine ungebremste Begeisterung für die neue Heimat dürfte noch den eingefleischtesten Münchner zum Schmunzeln bringen - Robert Robinson spricht über die bayerische Landeshauptstadt wie ein frisch Entflammter über seine Angebetete. In seinen Augen ist München eine Wunderstadt: voller schöner Orte und freundlicher Menschen, denen der US-Amerikaner eine "Leben und leben lassen"-Mentalität attestiert. Mit echten Traditionen, die den Menschen noch etwas bedeuten. Die "ultimative Stadt" nennt er München - der Ort, an dem er noch glücklicher sein kann als in New York City. "München hat mich die Wunder und Schönheit der Erde ganz neu schätzen lassen", hat er in seinem Blog geschrieben. So viel Liebe, versichert er, könnten nicht mal die bayerischen Ladenschlusszeiten trüben: "Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse."

Robert Robinson ist ausgewandert, hat New York verlassen, obwohl er dort mit nur 24 Jahren alles erreicht hat, was er sich gewünscht hatte. Aufgewachsen in Atlanta, Georgia, hat er in Manhattan einen College-Abschluss in "theater arts" und Betriebswirtschaft im Nebenfach gemacht. Mit nur 22 Jahren fing er an, in einem kleinen Theater zu arbeiten - erst als Praktikant, dann als Vollzeitkraft, im Ticketverkauf, im Marketing und überall, wo er gebraucht wurde.

Und doch: "It's show business", erklärt er ein wenig resigniert. Obwohl er alles erreicht hatte, worauf er "sein ganzes Leben lang", wie er sagt, hingearbeitet habe, sei er gestresst gewesen und habe damit sich und die Menschen in seiner Umgebung heruntergezogen. "Ich habe gemerkt, dass ich immer noch auf der Suche war", sagt er. "Manche Menschen finden ihr ganzes Glück in der Arbeit. Ich wurde immer unzufriedener." Irgendwann war klar: Er musste nach München, die Stadt, die ihm bei einem 14-Länder-Trip mit dem Rucksack so imponiert hatte. Fünf Mal ist er seither zurückgekehrt, zu neuen Freunden und auf der Suche nach den Wurzeln. Robinsons Urgroßeltern stammen aus Deutschland.

Diesmal will er bleiben. Er ist überzeugt: Wie so vieles andere, kriegen die Münchner auch die Sache mit der "Work-Life-Balance" besser hin, weshalb sie glücklicher seien. Er hofft, an einem der Theater in der Stadt Arbeit zu finden. "Wenn nicht, habe ich ja auch noch Betriebswirtschaft studiert", sagt er zuversichtlich, "ich bin ein fähiger Arbeiter."

Jetzt aber lernt er erst einmal Deutsch. In einem Intensivkurs an der Ludwig-Maximilians-Universität, drei Stunden am Tag, fünf Tage die Woche, acht Monate lang. Und bei heißem Wetter nachmittags am Flaucher, das Vokabelblatt in der Hand - ein naked American unter lauter nackerten Münchnern. "Schon so lange habe ich mir das gewünscht", schwärmt er, "in den USA ist Nacktheit immer noch ein großes Tabu." Warum das so ist, versteht er einfach nicht: "Nacktheit muss doch nichts Sexuelles sein. Wir haben alle einen Körper. Es gibt keinen Grund, sich zu schämen."

Zu Hause, im "land of the free", verstehen sie das nicht. "Aber wie frei kann man schon sein in den Vereinigten Staaten, wenn man sich nicht mal am Fluss ausziehen und dabei ein Bier trinken darf?", fragt er und zeigt auf die Flasche neben sich. "Abgesehen davon, dass man in den New Yorker Hudson River sowieso nicht rein sollte - viel zu dreckig. Die Isar ist kristallklar!" Es ist Sommer. Der Stress in New York ist weit weg. Die Deutsch-Vokabeln sind nicht so schwer. Robinson ist nackt - und glücklich. Er hat sich freigeschwommen.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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