Turnhallen für Flüchtlinge:Zwei Welten unter einem Dach

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Weil geeignete Unterkünfte im Landkreis Mangelware sind, werden immer wieder Turnhallen (hier ein Archivfoto von Taufkirchen) genutzt, um Flüchtlingen ein erstes Quartier anzubieten. Das hat Folgen für die Nutzer der Hallen wie Schüler, Vereine und Volkshochschulen. (Foto: Claus Schunk)

Sporthallen im Landkreis sollen verstärkt als Wohnstätte dienen. Für viele Schüler bedeutet das Ausfall des Sportunterrichts. Bürgermeister äußern Verständnis, sorgen sich aber um die Akzeptanz bei den Bürgern

Von Bernhard Lohr, Landkreis

Jetzt heißt es zusammenrücken. Das gilt für die Flüchtlinge, die von Februar an wohl zusätzlich in Turnhallen im Landkreis untergebracht werden. Aber das trifft auch auf die Menschen in den neun Kommunen zu, in denen Turnhallen nach Priorität eins oder zwei belegt werden sollen. In erster Linie müssen sich Pullach, Baierbrunn, Straßlach-Dingharting, Feldkirchen, Grasbrunn und Neuried darauf einstellen, dass Sportunterricht ausfällt und Vereine, Volkshochschulen und Freizeitgruppen zurückstecken müssen. Wenn dort alles belegt ist, sollen stattdessen Hallen in Hohenbrunn, Unterhaching und Sauerlach genutzt werden.

Vor allem dürfte sich das Schulleben verändern. Einen Ausgleich für den entfallenen Sportunterricht wird es in den wenigsten Fällen geben. Und das Schicksal der Flüchtlinge wird für Lehrer und Schüler direkt erfahrbar. Die Jagdfeldschulen in Haar haben seit Oktober Erfahrung mit solch einer Situation gesammelt. Damals ließ das Landratsamt die vom Ernst-Mach-Gymnasium und von der Grundschule am Jagdfeld genutzte Dreifachturnhalle mit Flüchtlingen belegen. 230 Personen aus Pakistan, Syrien, Afghanistan, Mali, Uganda und Irak leben dort seitdem provisorisch mit Sichtblenden vom übrigen Betrieb im Schulzentrum getrennt. Auf die Frage, ob sie das Nebeneinander von Schule und Flüchtlingsunterkunft als problematisch erlebe, sagt Gymnasial-Direktorin Gabriele Langner rundheraus: "Nein". Im Alltag gebe es sogar nur wenige Berührungspunkte. Allerdings suchten Lehrer und Schüler des Gymnasiums, das sich dem Netzwerk "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" angeschlossen hat, den Kontakt.

Lehrer, Schüler und Flüchtlinge feierten ein gemeinsames Begrüßungsfest. Der Arbeitskreis Soziales organisierte vor Weihnachten ein Fest in der Aula, und Gymnasiasten stellten mit Mittelschülern eine Geschenkaktion auf die Beine. Langner sagt, Flüchtlinge kämen nachmittags an die Schule, wo 20 Lehrer ehrenamtlich eine Art Hausaufgabenhilfe anböten, begleitend zu Kursen der Volkshochschule. Man spreche immer von "den Flüchtlingen", sagt die Direktorin. Doch jetzt biete sich die Gelegenheit, Menschen zu treffen und "unterschiedliche Lebenswelten" kennen zu lernen. Die Neugier sei bei den Schülern vorhanden, bei allem Respekt vor der Privatsphäre der neuen Nachbarn.

Dass Langner relativ entspannt auf die Situation blickt, hat auch damit zu tun, dass der Sportunterricht in Teilen zumindest in anderen Hallen stattfinden kann. Das wird etwa in Feldkirchen, sollten die Flüchtlinge kommen, nicht möglich sein. Bürgermeister Werner van der Weck (SPD) sagt, der Sportunterricht werde wohl "komplett flachfallen". Auch für die Gesundheitskurse der VHS und des TSV, also die Rückenschule und die Herzgymnastik, werde es wohl keine Kompensation geben. Das sei schon "ein ernstes Thema". In zwei Jahren könnte Feldkirchen, das gerade den Bau einer neuen Dreifachturnhalle im Sportpark plant, flexibler reagieren. Jetzt noch nicht.

Ähnlich schwierig ist die Lage in Baierbrunn, wo seit langem über eine Erweiterung der Grundschule diskutiert wird und wo auch die Mittagsbetreuung die angeschlossene Sporthalle intensiv nutzt. Bürgermeisterin Barbara Angermaier (BIG) äußert wie alle anderen Bürgermeister, mit denen man über das Thema spricht, Verständnis für Landrat Christoph Göbel (CSU), der sich zu der Aktion gezwungen sieht. Sie ist ja in ihrer Gemeinde selbst seit Monaten auf der Suche nach Gebäuden und Grundstücken, um Unterkünfte für Flüchtlinge aufzutun. Der Erfolg ist mäßig. Jetzt, sagt sie, müsse es darum gehen, auch die Flüchtlinge, die in die Schulturnhalle kämen, zu integrieren. Man könne von den Erfahrungen anderer lernen. So etwa von Pullach, wo die Turnhalle der Mittelschule, die womöglich wieder belegt wird, bereits einmal Notunterkunft war.

Ähnlich wie Angermaier ringen Susanna Tausendfreund (Grüne) in Pullach und Klaus Korneder (SPD) in Grasbrunn seit Monaten vergeblich darum, Flüchtlinge dezentral unterzubringen. Nun sollen, ob Korneder will oder nicht, Flüchtlinge in die Turnhalle der Grundschule Neukeferloh. Korneder hat mit der Schulleiterin die Lage besprochen. Die Schule sei willens, die Sache "mutig zu begleiten", sagt er. Doch er würde das der Schule und auch sich gerne ersparen. So will er ausloten, ob Flüchtlinge nicht wenig genutzte Räume der Bürgerhäuser beziehen könnten. Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) glaubt in der Kürze der Zeit allerdings nicht mehr an alternative Lösungen. Jetzt müsse man an Erfahrungen aus der ersten Hallenbelegung anknüpfen, sagt sie. Damals gab es einen runden Tisch. Härten wurden "einigermaßen gut" vermieden. Man habe die kleine Turnhalle der Grundschule mehr genutzt. Die Flüchtlinge wirkten am Schulfest mit und tischten exotische Gerichte auf. Aber es gab auch Ärger mit den Nachbarn. Die Akzeptanz in der Bevölkerung, befürchtet Tausendfreund, sei zuletzt eher nicht gewachsen.

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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